Tragödie der Fremdheit

Von Stefan Keim · 21.02.2009
In Jason glüht eine Traumgewissheit. Wie ein Kleistscher Held glaubt er, die absolute Liebe gefunden zu haben. Zweimal hat ihm Medea das Leben gerettet, aber einen Liebesschwur leistet sie ihm nicht. Erst als sie von ihrem Vater bedrängt wird, entscheidet sie sich für Jason. Der Beziehung der beiden fehlt von Anfang an eine ehrliche Reflexion, sie entwickeln Traumbilder voneinander. Jasons Liebe schlägt um in Hass.
Zurück in der Heimat erträgt er den Druck nicht, als Gatte einer Fremden zu den Außenseitern zu gehören. Er will wieder zurück in die Arme der bürgerlichen Gesellschaft, zwängt sich in ein Jackett, das ihm viel zu klein ist, will seinen zunächst bockigen Söhnen die Sitte des Handschlags beibringen. Nora Schlocker erzählt in ihrer "Medea" am Nationaltheater Weimar präzise von den Problemen,die entstehen, wenn Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammen leben. Und in den Überlebenskampf geraten.

Auf dem Spielplan stand eigentlich nur "Medea", der dritte Teil von Franz Grillparzers Tragödientrilogie "Das goldene Vließ". Doch ohne die Vorgeschichte lässt sich nicht begreifen, warum Medea ihre Kinder tötet und die neue Geliebte ihres Mannes mit einem vergifteten Kleid bestialisch ermordet. Deshalb inszeniert Nora Schlocker - ähnlich wie es Karin Beier in Köln getan hat – vor der Pause die ersten beiden Teile "Der Gastfreund" und "Die Argonauten", um dann nach Korinth zu wechseln, aus der Welt der "Barbaren" in die bürgerliche Gesellschaft. Erst ist Magdalena Musials Bühnenbild nach hinten offen, dann ein geschlossener weißer Kasten mit einem Springbrunnen in der Mitte. Auf einer Bank sitzen nun die Toten aus dem ersten Teil und haben die Lebenden im Blick.

Beide Herrscher kommen nicht gut weg. Kreon, Korinths König, ist in Gestalt von Christian Ehrich ein dicklicher Dandy, Detlef Heintze spielt Aietes, den Machthaber auf Kolchis, als verschlagenen alten Mann mit Hang zur Albernheit. Das Hassliebespaar überzeugt weit mehr. Marie Burchard gibt sich als Medea alle Mühe, sich in Korinth anzupassen. Die Demütigungen fressen an ihr, sie kann ihr Temperament immer weniger bändigen. Schließlich ist sie so weit, dass sie sich nur deshalb nicht selbst umbringt, weil sie weiß, dass sie Jason damit nicht weh tun kann. Deshalb ermordet sie die Kinder. Marie Burchard zeigt die Entwicklung zum Monster absolut überzeugend. Simon Zagermanns Jason ist ein Mensch mit zwei Gesichtern. Seine Verwandlung geschieht in der Pause, er ist schon bei der Ankunft in Korinth vom Abenteurer und Träumer zum Speichellecker geworden, der Medea nur noch mit Verachtung begegnet. In Zagermanns unbewegtem Gesicht spiegelt sich noch eine Ahnung dessen, was da zerbrochen ist.

Mit Songs und Geräuschen verdichtet der Musiker Jens Thomas viele Szenen. Er verkörpert den Gott der Kolcher, ist ständig präsent, begleitet Medea auf ihrer Reise. Wie er "Hell´s Bells" von AC/DC a cappella singt und in Obertongesang enden lässt, fasziniert ebenso wie die Kratzgeräusche und Laute, mit denen er viele Dialoge unterfüttert. Nora Schlocker stellt sich den mythischen Dimensionen der Tragödie und lädt Grillparzers "Medea" mit Gegenwartsnähe auf, ohne dafür aufdringliche Bilder zu benötigen. Die Aktualität entsteht aus dem dichten Spiel der zum Teil sehr jungen Schauspieler, wobei mit Elke Wieditz als Medeas Dienerin Gora auch eine ältere Darstellerin Glanzpunkte setzt. Nora Schlocker ist nun Hausregisseurin in Weimar, das Nationaltheater hat nach Tilmann Köhler die nächste große Begabung entdeckt.

"Medea"-Trilogie
Inszenierung: Nora Schlocker
Nationaltheater Weimar