Tragikomödie über die Grenzen der Machbarkeit

Von Bernd Sobolla · 05.08.2013
Aron Lehmanns Film "Kohlhaas – oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel" war 2012 für den Nachwuchsfilmpreis "First Steps" nominiert. Er handelt von einem Filmteam, das Kleists Novelle auf die Leinwand bringen will, aber wegen einer Budgetkürzung alles anders machen muss.
Filmszene: "Also, ich will gar nicht lange drum herum reden: Die Produzenten sind ausgestiegen, die Förderung ist geplatzt, und das Restgeld ist auch weg. Ich bin hier hergekommen, um ein historisches Epos zu drehen. Und das historische Epos wird wahrscheinlich nicht so aussehen, wie wir uns das vorgestellt haben."

Noch bevor der Regisseur, gespielt von Robert Gwisdek, die erste Szene im Kasten hat, erfährt er vom Zusammenbruch seiner Filmfinanzierung und informiert sein Team. Aber die plötzliche Hiobsbotschaft im Film hat einen realen Hintergrund: Denn die aktuelle europäische Finanzkrise wirkt sich auch auf kulturelle Institutionen und Filmhochschulen aus.

Aron Lehmann wollte eigentlich vor Abschluss seines Studiums einen Spielfilm drehen. Als es dann aber hieß, nur Studenten bis zum 11. Semester bekommen noch Geld, musste er seine Pläne ändern. Denn in der kurzen Zeit war es ihm nicht mehr möglich, eine Finanzierung auf die Beine zu stellen:

"Und dann habe ich gesucht nach einem gehaltvollen Stoff. Ein Stoff mit Tiefe und einer Botschaft. Weil ich gemerkt habe: Sonst landen wir ganz schnell beim Klamauk. Also es brauchte wirklich einen ernsthaften Stoff als Grundlage für diesen fiktiven Film für den Regisseur. Und dann arbeitete ich mich durch die ältere deutsche Literatur. Zum 100. Mal wanderte der 'Kohlhaas' durch meine Hände. Ich bin ja Buchhändlersohn und kenne den Stoff vom Sehen. Wir haben uns so oft angesehen. Und dann habe ich es aufgeschlagen und las es die ersten Seiten und dachte: 'Mein Gott, der Kohlhaas ist ja wie mein Regisseur. Die zwei sind einfach seelenverwandt'."

So bekommt der Filmtitel "Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel" auch eine zusätzliche Bedeutung. Denn beide haben es mit einem scheinbar übermächtigen Gegner zu tun: Kohlhaas mit dem mächtigen Junker und der Regisseur mit einer riesigen Finanzlücke.

Filmszene:
"Man kann sich das alles vorstellen, man braucht sozusagen das Geld gar nicht."
"Sag mal, was heißt das eigentlich für unsere Gagen?"
"Na, da kann ich nur versprechen, dass jeder Cent, den der Film dann einnehmen wird, auch in eure Gagen fließt."
"Weißt du, ich bewundere deinen Idealismus, wirklich. Ich finde das toll. Aber…"

Aber der Regisseur lässt sich nicht beirren und improvisiert: Bildausschnitte werden geändert, Rüstungen fallen weg, Pferde werden durch Kühe ersetzt und flüchtende Schauspieler durch Laiendarsteller. So entsteht in der bayerischen Provinz das Historiendrama "Kohlhaas". Nur dass sich die Schauspieler statt in prächtigen Kostümen in selbst gehäkelten Kettenhemden gegenüberstehen und sich mit imaginären Schwertern und Pistolen bekämpfen. Das Ganze vor dem Hintergrund einer zerfallenen Burgruine. Was als große Historieninszenierung begann, mutiert allmählich zur Farce und zehrt auch an den Nerven der Darsteller.

"Ich bin Schauspieler. Ich spiele dir einen LKW-Fahrer, ich spiele dir sogar einen LKW-Reifen. Das mache ich. Aber das, das kann ich nicht."

Aron Lehmann entwickelt viele skurrile Momente, aber er gönnt seinen Protagonisten auch ein wenig Glück. Denn die Dorfbewohner unterstützen das Filmteam mit einem Dach über dem Kopf und agieren vor der Kamera zudem als Kohlhaas' kämpfende Mannen. Was nichts daran ändert, dass der Dreh schon bald dem Zeitplan weit hinterher hinkt:

Filmszene:
"Ja, gut, nächste Szenen."
"Kann ich eine noch haben, in der du ein bisschen …"
"Wir haben noch drei Drehtage, wir sind im ersten Akt, und wir brennen noch Leipzig nieder. Also können wir jetzt bitte einfach den Film zu Ende bringen?"
"Sag mal, bist du jetzt der Regisseur, oder was?"
"Halt dich da raus!"
"Ich brauche noch eine, die du mit ein bisschen mehr Zuversicht spielst."
"Ich habe keine Zuversicht. Das spiele ich nicht."
"Spiele ich nicht? Was bist denn du für ein Schauspieler?"

"Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel" ist gleichermaßen Abenteuerfilm und Tragikomödie, ein bisschen Historienfilm und ein Hauch Farce. Er ist aber vor allem auch eine Reflektion über das Medium Film, seine Imaginationskraft und die Grenzen der Machbarkeit. Wobei Robert Gwisdek als verbissen kämpfender Regisseur geniale Momente zwischen Perfektionsstreben, Improvisation und Ohnmacht hat. Er steigert die Zahl seiner Bewunderer und Feinde kontinuierlich und führt mit dem ganzen Ensemble überzeugend den Wahnsinn einer No-Budget-Produktion vor.

Darüber hinaus gelingt es Aron Lehmann, seinem Film immer wieder auch poetische Momente zu geben.

Aron Lehmann: "Die Poesie ist das, was das Herz berührt und was hängen bleibt. Also es bedeutet mir fast mehr, wenn ein paar Leute drinsitzen, die einfach auch weinen bei diesem Film. Durch die Poesie bekommt ja die Komödie erst die Kraft, die eine Komödie haben kann. Dann bleibt es nicht oberflächlich. Ich liebe die Poesie."
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