Träume sind Maulwürfe

Von Helmut Böttiger · 04.02.2007
Günter Eich, am 1. Februar 1907 in Lebus an der Oder geboren, hat der deutschen Literaturgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts gleich zweimal einen bleibenden Stempel aufgedrückt.
Zum einen ist er der bedeutendste Vertreter einer Gattung, die in den fünfziger Jahren den höchsten Grad ihrer Wirksamkeit erreichte und bis heute ein wichtiger Indikator für Zeitstimmungen und ihre Veränderungen ist: dem Hörspiel. Günter Eichs "Träume" waren bei ihrer Ursendung 1951 ein Skandalon: Mit dem Aufruf "Wacht auf, denn eure Träume sind schlecht" zielten sie mitten in die Verdrängung des beginnenden Wirtschaftswunders, zielten auf die Wunde des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs, als man schon längst überall zu einer pragmatischen Tagesordnung übergegangen war.

Zum anderen ist Günter Eich mit einem folgenreichen Einschnitt der deutschsprachigen Lyrik verbunden: Sein Gedicht "Inventur" stand 1949 am Beginn einer Strömung, die bald den Namen "Kahlschlagliteratur" bekam und zum Gründungsmythos der legendären "Gruppe 47" wurde.

Dabei hatte Eich bereits eine verwickelte Vorgeschichte: er hatte schon in der Weimarer Republik als Naturlyriker begonnen, und während der Zeit des Nationalsozialismus überlebte er als Radiomitarbeiter und Hörspielschreiber, fand eine zwiespältige Existenzform zwischen Anpassung und innerer Emigration.

Die Verve seiner Gesellschaftskritik in der Adenauerzeit, mit dem Höhepunkt seiner fulminanten Büchnerpreisrede 1959, ist nicht zuletzt von diesen biographischen Erfahrungen her erklärbar. Während der politisierten 60er Jahre, als die Studenten sich noch auf seine unbestechlichen Analysen und pointierten Formulierungen beriefen, entwickelte Eich jedoch eine neue Form von Literatur: die Prosastücke, die er "Maulwürfe" nannte, bewegten sich in einer Welt voller Aberwitz und Absurdität, und bis zu seinem Tod 1972 wurden sie immer knapper und grotesker. Eich war seiner Zeit immer ein bisschen voraus.
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