Tracey Rose: Südafrika braucht Bildung statt Fußball

Tracey Rose im Gespräch mit Susanne Burkhardt · 25.06.2010
Für sieben Sitzplätze in den Fußball-WM-Stadien könnte eine komplette Schulbibliothek eingerichtet werden, kritisiert die südafrikanische Performance-Künstlerin Tracey Rose. Bildung hätten die Menschen dringender nötig als vorübergehenden Fußball-Glanz.
Susanne Burkhardt: Tracey Rose, Sie haben einmal beklagt, es gäbe in Südafrika eine Zensur und konservativen Strukturen – wie macht sich das aus Ihrer Sicht bemerkbar?

Tracey Rose: Wir haben unglaublich inkompetente Menschen in der Regierung, die da nicht hingehören. Zum Beispiel die Kulturministerin. Sie hat eine Ausstellung verhindert, weil dort Nackte zu sehen sein sollten. Das zeugt von einer ignoranten, dogmatischen Arroganz, die Leuten diktieren will, was sie zu denken haben.

In diesem Denken wird Traditionalismus gleichgesetzt mit Stammeszugehörigkeit – und das ist Quatsch. Und wenn du das ablehnst, wirst du gleich Rassist genannt. Das ist absolut rückständig. Und aus dieser Rückständigkeit entspringt eine konservative Gesinnung. Da ist dann Zensur auch nicht mehr weit.

Bildung ist hier ein ganz wichtiges Stichwort. Es gab hier sehr lange keinerlei Kunstunterricht an staatlichen Schulen, nicht einmal an den weiterführenden Schulen – kein Musik-, kein Kunst-, kein Tanzunterricht – nichts! Es fehlt also jeder kreative Ausdruck in diesem Umfeld.

Und wie drücken die Kinder in so einer Umgebung ihre Gefühle dann aus? Die sind völlig abgefuckt, die besaufen sich, sind aggressiv – so drücken die ihre Gefühle aus. Das ist aus meiner Sicht eine Art Zensur – eine zivile Zensur. Das ist wirklich eine Sache, die diese Regierung richtig versaut hat: Sie hat sich nie wirklich um Bildung gekümmert. Bildung aber sollte hier das Wichtigste sein! Es ist widerlich, was die gemacht haben: Sie haben eine Nation von mentalen Sklaven geschaffen.

Burkhardt: Aber wenn es bislang gar keine Kunstausbildung für Schwarze gab – ist dann Ihr Lebensweg, Tracey Rose, eine Ausnahme für eine südafrikanische Schwarze?

Rose: Ich habe Glück gehabt – auf meiner Schule gab es Kunstunterricht, denn es war eine katholische Schule. Und mein Vater hat mir zusätzlich Kunststunden ermöglicht.
Und genau das macht mich so wütend: Es sollte kein Privileg sein. Das ist eine Notwendigkeit.

Burkhardt: Tracey Rose, Sie sind eine international bekannte und erfolgreiche Künstlerin – ist es eigentlich schwieriger, im eigenen Land Gehör zu finden?

Rose: Es geht weniger darum, ein Publikum zu finden, als darum, Menschen zu finden, die so mutig sind, meine Arbeiten zu zeigen. Das ist der Unterschied in Südafrika. Die Kunstszene ist hier sehr klein und wird von ganz wenigen Leuten kontrolliert. Und die bestimmen, wer der nächste Kunst-Star sein wird, die nächste große Ausstellung haben darf. Die bestimmen auch, wer hier Kunst lehren darf. Das ist eine wichtige Entscheidung.

Ich habe mich jahrelang an Kunsthochschulen beworben, um dort zu unterrichten. Es gibt ganz wenig schwarze Lehrer in den Kunstinstitutionen. Da sitzen noch die weißen Lehrer aus den 60er-, 70er-Jahren, also aus der Zeit der Apartheid. Da hat sich nicht viel verändert. Die vermitteln noch immer ihren Kunstbegriff: Afrikanische Kultur als Kunsthandwerk, gemacht von so einer Handvoll Wilden, die bemalt rumlaufen.

Die führen dich nicht an schwarze Künstler ran, die Revolutionen auslösen könnten. Das sind so richtige Klon-Maschinen – die wollen nichts, was erfrischend anders ist, keine Herausforderung. Diese alten weißen Lehrer, voll von liberaler weißer Schuld, mit ihren alten Maßstäben, da kannst du als junge Schwarze nur verlieren. Da werden deine Arbeiten schnell einfach als "zu politisch" bezeichnet. Das ist so ein Kreislauf, in dem jede soziale und auch intellektuelle Herausforderung unterdrückt wird – damit das Monster und die Maschine erhalten bleiben.

Burkhardt: Hat sich die Frage Schwarz oder Weiß heute nicht insofern verändert, als dass die ökonomischen Unterschiede inzwischen bedeutender geworden sind - also spielt heute Reich oder Arm nicht inzwischen die größere Rolle als die Frage der Hautfarbe?

Rose: Ich glaube das hält sich die Waage. Es scheint, als würde es sich mehr in Richtung der ökonomischen Unterschiede verschieben. Aber die ökonomischen Unterschiede finden sich doch meist gepaart mit den Rassenunterschieden.

Burkhardt: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit der südafrikanischen Künstlerin Tracey Rose. Tracey Rose, ich habe hier in Südafrika immer wieder gehört, dass der Zustand, in dem sich das Land befindet, als "transition" bezeichnet wird, also als eine Situation des Übergangs. Als Grund dafür wurden immer wieder die Wunden der Apartheid genannt, die noch immer sehr frisch seien - sehen Sie denn Fortschritte, was die Überwindung des Traumas der Apartheid betrifft?

Rose: Ich glaube das ist eine Frage der Generation. Es gibt eine junge Generation, die nicht belästigt werden will mit dem, was früher war. Die wollen einfach Geld verdienen und vorwärtskommen. Und dann sind da die Älteren, die noch sehr verwundet sind – wie die Generation meiner Eltern, aber auch meine eigene.

Für mich spielt auch hier Bildung die entscheidende Rolle. Als wichtige Basis. Wenn du jemanden ausbildest, brauchst du ihn nicht zu füttern – dann kann er für sich selbst sorgen. Der kann dann auch selbst denken. Leute fürchten sich davor, Dinge zu wagen, weil sie nicht wissen, dass es überhaupt möglich ist. Es fehlt jedes Selbstvertrauen.

Das hat die Apartheid geschafft, Angst zu erzeugen. Ich glaube nicht, dass das nicht zu reparieren ist. Aber wenn dann mal ein weißer Politiker die aktuellen Probleme klar benennt, die Situation beschreibt, dann wird er gleich als Rassist bezeichnet, weil diese Kritik sich an eine schwarze Regierung richtet.

Burkhardt: Tracey Rose, auch wenn Südafrika in der Vorrunde ausgestiegen ist aus der Fußball-WM - glauben Sie, dass die zurzeit noch stattfindende Fußball-Weltmeisterschaft einen positiven Einfluss haben kann auf das Selbstverständnis dieses Landes?

Rose: Oh ja – es hilft an einer Illusion festzuhalten! Was ist FIFA? Ich mag keinen Fußball. Ich mag Museen. Wir brauchen Geld für die Restaurierung von Museen und Galerien, wir brauchen Bücher in den Schulen. Für sieben Sitzplätze in den Stadien könnte eine komplette Bibliothek in einer Schule eingerichtet werden. Für sieben Sitze. Das zeigt, wie viel Geld die in die Stadien investieren.

Schön – Fußball hat uns einen neuen Glanz gegeben, das letzte Mal, als hier was gestrahlt hat, war, als Mandela Präsident wurde. Diesen Glanz haben wir verloren – jetzt haben wir Fußball-Glanz. Es geht nur um Geld, darum, wie man in diesem kurzen Monat so viel Geld wie möglich verdienen kann.

Burkhardt: Es heißt, ein Fünftel Ihrer Landsleute denkt darüber nach, Südafrika zu verlassen. Tracey Rose, haben Sie Verständnis dafür?

Rose: Dieses Land ist wunderschön. Die Menschen sind in großen Schwierigkeiten, aber sie sind unglaublich schön. Das ist das Traurige. Die Leute sind echt zerstört. Wir hatten hier mehr als 40 Jahre lang extrem repressive, beklemmende soziale Strukturen. Aber keiner will hier wirklich kämpfen.

Wir wollen vorankommen, etwas schaffen – aber irgendwie steckt man fest und das erzeugt Bitterkeit und Missachtung und daraus entsteht dieser Kreis aus Gewalt. Es ist in Ordnung, sein Land zu verlassen. Ich bin kein Nationalist. Was heißt das schon: Zu seinem Land zu stehen? Was ist schon ein Land? Für mich nicht mehr als ein Unternehmen.

Warum soll ich einer Ideologie folgen, die von einer Horde von machthungrigen Schwanzköpfen ausgeheckt wurde? Nur weil du irgendwo geboren wurdest, musst du da nicht bleiben. Du gehörst immer nur dir selbst. Das ist Freiheit. Freiheit ist, zu sich selbst gehören.

Und all diese Verkleidungen, die wir um uns haben – ob das die Hautfarbe ist oder unsere ökonomischen Rahmenbedingungen oder Klassifizierungen, unsere kulturelle Identität – das sind alles nur Kostüme. Labels. Masken, die man am Morgen aufsetzt – auf dem Weg zur Arbeit, zu Hause, mit den Eltern, mit den Kindern.

Immer ist man eine andere Person. Das sind alles Masken, alles Illusionen. Weißsein ist eine Maske, eine Illusion – genau wie Schwarzsein. Es ist immer die Frage, ob man an diese Illusion glauben will oder nicht. Du kannst dich nur emanzipieren, wenn du aufhörst, an diese Illusionen zu glauben. Denn du hast sie nicht gemacht. Du musst diese Illusionen zerstören. Und das ist harte Arbeit. Aber es ist toll – denn immerhin lebst du!
Tracey Rose, südafrikanische Performance-Künstlerin
Tracey Rose© Deutschlandradio - Susanne Burkhardt