Touristen auf der Flüchtlingsinsel Kos

"Wir haben genügend Bargeld dabei"

Urlauber auf dem Internationalen Hippokrates-Flughafen auf der griechischen Insel Kos.
Urlauber auf dem Internationalen Hippokrates-Flughafen auf der griechischen Insel Kos. © picture alliance / dpa / Peter Zimmermann
Von Jakob Schmidt · 24.08.2015
Tausende Flüchtlinge sitzen auf der griechischen Insel Kos fest. Deutsche Urlauber zieht es trotz des Elends dorthin. Eine Umfrage kurz vor dem Abflug offenbart das Bedürfnis, nichts davon mitbekommen zu wollen, aber auch Mitleid und den Wunsch zu helfen.
Berlin, Flughafen Tegel am Samstagnachmittag. Etwa 150 Fluggäste warten gerade auf ihren Direktflug nach Kos, eine der griechischen Inseln an der Grenze zur Türkei, auf denen täglich auch immer mehr Flüchtlinge eintreffen. Andrej faltet gerade sein Flugticket zusammen.
Reporter: "Sie können sich ja wahrscheinlich denken, warum ich Sie jetzt auf dem Weg nach Kos."
Andrej: "Ja! Schlechte Gedanken, ne? Ich hoffe, das wird alles wieder gut und dass die Touristen da jetzt doch in Ruhe gelassen werden, sage ich mal einfach so. Die Lage sieht ein bisschen schlecht aus, auch für die Touristen, weil sie eben nicht die ganzen Tourismussachen sozusagen nutzen können. Und die werden damit eingeschränkt, auch in ihren Leistungen dann eingeschränkt. Und ich meine: Wofür zahlen wir dann, wenn wir dann in unserer Leistung eingeschränkt werden? Aber wir sind ja hier, arbeiten auch das ganze Jahr und so weiter. Ackern, ackern! Und wollen schon den Urlaub einfach genießen! Das klingt vielleicht nicht menschlich. Aber so ist es einfach! So ist die Lage. Die Bilder machen Angst. Und die Touristen, ich hoffe, die werden nicht belästigt. Sage ich mal so. Das klingt hart, ist aber so!"
Kinder nehmen Spenden mit in den Urlaub
Reporter: "Aber es ist ja andererseits auch schwer, den Asylbewerbern zu sagen: 'Bleibt doch bitte zu Hause!'"
Andrej: "Aber wir können hier auch nicht alle aufnehmen!"
Andrej pocht auf sein Recht, einen unbeschwerten Urlaub ohne Hindernisse zu verbringen. Er wird bei meinen Gesprächen hier der einzigen bleiben, die sich so äußern. Frau Weber und ihre drei Kinder etwa blicken anders auf diese Reise.
Frau Weber: "Hier! Die Kinder befragen, die sind am besten. Viktoria."
Viktoria: "Es ist natürlich traurig, was da ist. Und man überlegt natürlich, wie man helfen kann. Und jetzt, wenn man da vor Ort ist, ist es natürlich auch schwierig, da zu helfen."
Reporter: "Die Frage ist ja, wie das mit dem schlechten Gewissen ist. Müssen wir, denen es so wahnsinnig gut geht, müssen wir jetzt ein schlechtes Gewissen haben, wenn wir in den Urlaub fliegen? Oder wie können wir damit umgehen. Mit unserer Empathie?"
Frau Weber: "Schlechtes Gewissen müssen wir nicht haben. Aber wir müssen bereit sein, zu helfen. Und das ist kein Grund, deswegen dort nicht hinzufahren. Sondern einfach überlegen: Was kann ich persönlich tun? Aber ich habe ja keine Angst, da hin zu fahren. Die tun mir ja nichts. Sondern es ist einfach nur ganz viel Elend, ganz viel Armut, ganz viel Leid. Und da muss man sich überlegen: Wie kann ich den Leuten aktiv helfen? Was kann ich tun? Also die Kinder haben diese Woche ihre Zimmer aufgeräumt. Und jeder hat irgendwelche Tüten bereitgestellt. Und hat gesagt: 'Das möchte ich gerne spenden.' Und ansonsten werden wir sehen, wie wir vor Ort sind. Also wir haben genügend Bargeld dabei."
Urlaub als Chance, Empathie zu entwickeln
Auch Christine hat sich in den letzten Wochen vor dem Urlaub viel mit ihrer Rolle als Touristin auf Kos auseinandergesetzt.
Christine: "Also passieren wird uns da nichts, Angst habe ich keine. Das wäre höchstens nur für mich ein bisschen peinlich, wenn die da sehen, dass wir fett Urlaub machen. Und die schwimmen da um ihr Überleben. Das ist nur halt ein bisschen doof. Ich hab dann nur immer gesagt: „Na gut, dann wird halt zum Frühstück ein Brötchen mehr geschmiert und dann halt verteilt..." So wie immer: Einfach Mensch sein! Es ist ja überhaupt ein heiß diskutiertes Thema gerade überall, bei Facebook, sonstwo. Man darf ja gar nichts mehr sagen, sonst ist man ein Nazi oder man ist total doof. Und natürlich muss man unterscheiden zwischen Flüchtlingen und jemandem, der nur ein besseres Leben will. Und selbst der, der nur ein besseres Leben will, warum nicht? Wir sind nur reich, weil die anderen arm sind. Ich bin zufällig hier geboren. Ich habe Glück gehabt. Ich hätte auch sonst wo in Äthiopien hier verhungert schon als Kind... Das ist... Welt ist für alle da!"
Der Check-In Schalter wird gleich schließen. Daneben verabschiedet sich Corinna von ihrem Freund.
Reporter: "Sie können sich wahrscheinlich denken, was mein Überfall jetzt soll, ne?"
Corinna: "Na klar!"
Reporter: "Die Leute sagen: 'Ich fühle mich um meinen zwei Kilometer langen Sandstrand betrogen.'"
Corinna: "Nee! So bin ich wirklich nicht drauf. Ich denke, wir müssen teilen. Und das müssen wir lernen. Und das müssen wir, egal wo wir sind, lernen. Und da ist doch vielleicht ein ganz guter Anfang. Das ist wahrscheinlich einfacher, im Urlaub damit anzufangen, als in dem Alltag, wo man unter Druck und unter Stress steht, denke ich. Weil man irgendwie sich mehr darauf einlassen kann. Also wenn ich in meiner Alltagshektik bin, dann stören viele Menschen, die irgendwie nicht in meinen Rhythmus passen, ja? Aber wenn ich im Urlaub bin, dann kann ich mich darauf einlassen."
Vielleicht ist das der interessanteste Gedanke: Urlaub nicht zwingend als Möglichkeit, unserer Welt vollständig zu entfliehen, sondern unseren Blick weiter öffnen zu können, als es unser Alltag manchmal erlaubt.
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