Torsten Schulz: "Skandinavisches Viertel"

Ein Makler gegen den Ausverkauf eines Viertels

Schwarzweißaufnahme aus den 80ern aus dem Berliner Prenzlauer Berg. Zu sehen ist ein altes Geschäft, auf dem Gehsteig steht Leergut. Davor das Cover zu Torsten Schulz' Roman "Skandinavisches Viertel".
Das alte Ost-Berlin in Torsten Schulz' Roman "Skandinavisches Viertel" © Foto: Imago/Seeliger, Cover: Klett-Cotta
Von Ursula März · 11.06.2018
Torsten Schulz erzählt in "Skandinavisches Viertel" von einem Tagträumer, dem die Affären und Jobs nur so zufliegen: Ausgerechnet als Makler kämpft er darum, ein altes Ostberliner Viertel vor dem Ausverkauf zu retten. Ein unterhaltsamer und stilistisch stimmiger Roman.
Mietpreisbremse, Spekulationskauf, Gentrifizierung: Diese Begriffe ordnet man eher der Soziologie als der Literatur zu. Der Immobilienmarkt zählt kaum zu ihren vertrauten Sujets. Schon deshalb verdient der Roman "Skandinavisches Viertel" des 1959 in Ostberlin geborenen, auch als Drehbuchautor erfolgreichen Schriftstellers Torsten Schulz einen Originalitätsbonus. Denn in seinem neuen Roman geht es um das Mieten, Kaufen und Verkaufen von Wohnungen. Matthias Weber, der Held der Geschichte, ist Makler von Beruf.

Berlin als fiktiver Schelmentraum

Nach vielen Jahren in Los Angeles und Südafrika, wo er sein Brot mehr schlecht als recht im Journalismus verdient hat, kehrt er an den Ort seiner Kindheit zurück, ins sogenannte "Skandinavische Viertel". Es existiert tatsächlich und liegt unmittelbar an der ehemaligen Grenze im Nordosten Berlins. Seine literarische Topografie weicht allerdings von der realen ab.
Im Roman gibt es Straßen mit norwegischen, schwedischen und finnländischen Namen, die man im Berliner Stadtplan vergeblich sucht. Sie entstammen der Fantasie des Protagonisten. Als Kind verwandelte er das Viertel in seinen Tagträumen in ein fiktives Ausland, indem er die Straßen nach Orten benannte, deren Besuch den Bürgern des DDR-Regimes verwehrt war.

Das soziale Milieu des alten Ostberlins

Auch als Erwachsener nimmt es Matthias Weber mit der Wahrheit nicht so genau. Sein notorischer Hang zum Erfinden von Lügengeschichten stellt ihn in die literarische Tradition der Schelme, die sich durchs Leben schwindeln.
Ins Maklergeschäft rutscht er so zufällig wie in alles andere auch, ob Jobs oder wechselnde Amouren. Da er die Wohnung seiner kürzlich verstorbenen Großmutter zu einem Spottpreis erwerben kann, kauft er sie spontan und bald darauf noch drei weitere Wohnungen. Sein wirtschaftlicher Erfolg dient jedoch - und das ist die politische Pointe des Romans – einem idealistischen Ziel: Der frischgebackene Makler nimmt den Kampf gegen den kapitalistischen Ausverkauf des "Skandinavischen Viertels" durch Immobilienhaie und Großinvestoren auf, gegen die Zerstörung des sozialen Milieus des alten Ostberliner Quartiers, aus dem die Eckkneipen und ihre Stammbesucher mehr und mehr verschwinden. Es ist ein Kampf, den er nur verlieren kann.

Politisch bedeutsam

Diese, in der unmittelbaren Gegenwart spielende Erzählebene verbindet der Roman auf dramaturgisch versierte Weise mit der Familiengeschichte der Hauptfigur. Ihre über Jahrzehnte streng gehüteten Geheimnisse und ihre Zerwürfnisse reichen tief in die deutsche Zeitgeschichte zurück, von der Nazizeit über die DDR-Epoche bis zum Umsturz der Wende.
Die erhebliche Stofffülle des Romans transportiert Torsten Schulz mit erstaunlich leichter Hand und humoristischer Erzählfreude. Ihm gelingt, was in der deutschen Literatur keineswegs selbstverständlich ist: Ein politisch bedeutsames Thema frei zu halten von Belehrung und finsterer Bedeutungsschwere. Das "Skandinavische Viertel" ist nicht zuletzt ein unterhaltsamer, stilistisch stimmiger Roman über das Schicksal von Immobilien und ihrer Bewohner.

Torsten Schulz: "Skandinavisches Viertel"
Klett-Cotta, Stuttgart 2018
265 Seiten, 20.- EUR

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