Tom Segev: "David Ben Gurion"

Machtbewusst und widersprüchlich

Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Tom Segev: "David Ben Gurion Ein Staat um jeden Preis" © Cover: Siedler Verlag, Hintergrund: dpa, Kombo: Dlf Kultur
Von Carsten Hueck · 07.05.2018
Skulpturen, Untersetzer, Kühlschrankmagnete. In Israel ist Ben Gurions Konterfei omnipräsent, der Staatsgründer wird wie eine Kultfigur verehrt. Der Historiker Tom Segev hat sich die Lichtgestalt genauer angeschaut.
Ben Gurion ist Kult. Kommt man heute nach Israel, begegnet man allerorten seinem Namen und Konterfei: Zuerst an dem nach ihm benannten zentralen Flughafen des Landes. Skulpturen, Bilder, Untersetzer und Kühlschrankmagnete zeigen David Ben Gurion wahlweise mit weißer Löwenmähne, seinem Markenzeichen, im Hawaiihemd ebenso wie im Kopfstand, den er nach Anleitung des Körpertherapeuten Moshé Feldenkrais noch im hohen Alter praktizierte.
Der Mann, der vor siebzig Jahren den Staat Israel ausrief, ihn erfolgreich durch den Unabhängigkeitskrieg brachte und dreizehn Jahre lang das Amt des Premierministers ausübte, dann in einen Kibbuz zog, um die Wüste zu kultivieren, verkörpert wie kaum ein anderer den zionistischen Mythos. Er war Arbeiter und Gewerkschaftsführer, Soldat und Büchernarr, Realpolitiker und Visionär. Sein Credo: Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.
Der Historiker und Journalist Tom Segev, Sohn deutscher Eltern, die in den 1930er-Jahren vor den Nazis nach Palästina geflohen waren, hat über den legendären Staatsgründer, den er noch persönlich kannte, eine Biografie geschrieben. Er setzt damit einen Trend fort - innerhalb der letzten fünf Jahre sind ein halbes Dutzend Bücher über Ben Gurion erschienen.

Ein wenig kratzen am Heiligenschein

Nun gehört Segev aber zur Gruppe der "Neuen Historiker", die seit den 1980er Jahren die Geschichte Israels und des Zionismus kritisch darstellen und deren Mythen hinterfragen. Und das versucht er auch mit dieser Biografie. Sie lebt von der kritischen Faszination, die der Autor für Ben Gurion empfindet und von vielen neuen Dokumenten: Archivmaterial, Briefe und Regierungsprotokolle, die erst vor kurzem für die Forschung zugänglich wurden. Trotz der Fülle des Materials bietet Segev auf achthundert Seiten jedoch keine spektakulären neuen Einsichten. Anders ist nur seine Herangehensweise, das Bemühen, Ben Gurions Heiligenschein ein bißchen zu zerkratzen.
Der Biograf zeigt den Staatsgründer jenseits ideologischer Verklärung - als ehrgeizigen und machtbewußten Politiker, als widersprüchlichen, zweifelnden, immer wieder auch deprimierten Menschen. Als jemanden, der klare moralische Vorstellungen und ein ausgeprägtes Geschichtsbewußtsein besitzt, für die Bedürfnisse von Frau und Kindern jedoch wenig Empathie aufbringt.
Bereits 1919 war Ben Gurion klar, dass die Vollendung des zionistischen Traums einen Frieden mit den Arabern nahezu ausschloß. Ben Gurion war bereit diesen Preis zu zahlen.
Im siebzigsten Jahr der Staatsgründung ist ein Buch wie dieses bedeutsam. Die Vergangenheit Israels wird darin nicht verklärt, die Errungenschaften des jungen Staates nicht bloß gefeiert. Diese Biografie Ben Gurions dient der Selbstbefragung der Israelis in militärisch und wirtschaftlich gefestigter, doch ideologisch zunehmend unsicherer Position: was haben wir getan, wohin sind wir gekommen? Was haben wir erreicht, was müssen wir besser machen? Und es zeigt auf, dass viele der aktuellen Probleme sich bereits bei Staatsgründung abzeichneten.

Tom Segev: "David Ben Gurion. Ein Staat um jeden Preis"
Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama
Siedler Verlag, München 2018
800 Seiten, 35 Euro

Mehr zum Thema