Tödliche Flucht übers Mittelmeer

Ertrinken mehr Menschen als wir wissen können?

Flüchtlinge auf einem Schiff im Mittelmeer.
Flüchtlinge auf einem Schiff im Mittelmeer. © Deutschlandradio / Peter Marx
Von Tilmann Kleinjung · 18.04.2016
Die Meldungen über ertrunkene Flüchtlinge häufen sich wieder. Aber wie lassen sich gesicherte Erkenntnisse finden? Tilmann Kleinjung geht den Meldungen über die Schiffsunglücke nach.
Die Unglücksnachricht ist gerade einmal sechs dürftige Zeilen lang und steht bereits seit gestern auf den Seiten des arabischen Dienstes der BBC. Dieser zitiert den Botschafter Somalias in Ägypten. Mehr als 400 Menschen auf vier verschiedenen Booten seien bei der Überfahrt nach Italien ertrunken.
29 Menschen sollen gerettet worden sein. Von wem und wann, wird in der Meldung nicht erwähnt, nicht einmal, von wo aus die Schiffe gestartet sind. Von ägyptischen oder libyschen Küsten? Die griechische und die italienische Küstenwache können entsprechende Nachrichten nicht bestätigen, auch die Internationale Organisation für Migration stellt auf Nachfrage klar: Wir wissen nichts von einem derartigen Unglück. Doch Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella zweifelt nicht am Wahrheitsgehalt der Meldungen aus Ägypten und spricht bei einem Empfang in Rom von einer "erneuten Tragödie" im Mittelmeer.
Mattarella: "Diese erneute Tragödie im Mittelmeer gibt uns zu denken. Es scheint, dass dabei einige hundert Menschen gestorben sind."
Ein Regierungssprecher in Somalia sagte der Deutschen Presse-Agentur, auf den Booten hätten sich rund 500 Migranten befunden: "Unseren Informationen zufolge sind viele Somalis in dieser Tragödie ums Leben gekommen", so der Sprecher.
In somalischen Medien kursieren Fotos handgeschriebener Passagierlisten und Vermisstenanzeigen. Die BBC hat eine Angehörige kontaktiert. Die Frau lebt in Ägypten und bestätigt dem Sender, dass sie drei Verwandte bei dem Schiffbruch verloren habe. "Sie riefen mich an, als sie am Donnerstag morgen ablegten", berichtet sie. Da sei das Schiff bereits ein paar Kilometer von der Küste entfernt gewesen.

Menschen ertrinken auch bei Rettungsaktionen

"Betet für uns", sei das letzte gewesen, was diese Frau von ihren Verwandten gehört habe. Nach diesem Bericht wäre tatsächlich Ägypten und dort vermutlich die Hafenstadt Alexandria Ausgangspunkt der Flucht gewesen. Davon geht auch Italiens Außenminister Paolo Gentiloni aus, der vor dem EU Außenministertreffen in Luxemburg sagte: Man versuche noch mehr Informationen von ägyptischer Seite zu bekommen.
Gentiloni: "Das ist für uns ein weiterer Anlass um zu sagen, dass Europa in diesem Moment nicht weitere Mauern errichten darf, sondern seine Anstrengungen vervielfachen muss. Unsere Idee ist, dass wir unser Engagement und unsere Investitionen in Afrika deutlich verstärken und die afrikanischen Staaten miteinbeziehen, wenn es darum geht, die Migration zu begrenzen."
Ein weiteres Schiffsunglück ereignete sich im Kanal von Sizilien. Ein Schlauchboot in Seenot setzte einen Notruf ab und wurde im letzten Moment von dem privaten Rettungsschiff "Aquarius" erreicht. Da zählte man bereits sechs Todesopfer und das Boot stand schon zur Hälfte unter Wasser. Zwei weitere Menschen ertranken bei der Rettungsaktion.
Am Mittag wurden die 108 Überlebenden dieses Unglücks nach Lampedusa gebracht und berichteten, dass bei ihrer Abfahrt in Libyen deutlich mehr Menschen an Bord gewesen seien. Von 140 Passagieren ist in italienischen Medien die Rede. Das hieße: Mehr als 20 Bootsflüchtlinge sind bei dieser Überfahrt ums Leben gekommen.
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