Töchter schreiben über ihre Väter

Wie reden mit wortkargen, alternden Männern?

Die norwegische Schriftstellerin Linn Ullmann
Linn Ullmann setzt sich in "Die Unruhigen" mit ihrem Vater Ingmar Bergmann auseinander © MTI
Von Stefan Mesch · 21.06.2018
Despoten, Stoiker, Täter: Töchter schreiben intime Bücher über den Versuch, neu mit ihrem Vater ins Gespräch zu kommen. Drei Neuerscheinungen über eine Annäherung mit Hürden und Überraschungen.
Seit 50 Jahren stellt die 68er-Generation ihre Nazi- und Mitläufer-Väter zur Rede - auch literarisch, in Erinnerungsbüchern und Romanen über Schuld und Schweigen. Bis heute werden vor allem dunkle, traumatische Familiengeschichten zu großer Literatur: Alison Bechdels "Fun Home" und Miriam Toews' "Swing Low" handeln vom Selbstmord des Vaters, Liane Dirks schreibt in "Vier Arten, meinen Vater zu beerdigen" über Sextourismus und pädophile Gewalt.

Gemeinsamer Roadtrip in den Schwarzwald

Brauchen Tochter-Vater-Bücher überlebensgroße, monströse Väter? Die Berliner Journalistin Mareike Nieberding, geboren 1987, will im kurzen, optimistischen "Ach Papa" erklären, "wie mein Vater und ich wieder zueinanderfanden": auf einem harmlosen Tochter-Vater-Roadtrip vom Heimatdorf bei Oldenburg bis in den Schwarzwald, zum Studienort des Vaters.
Nieberding erzählt diskret, manchmal verkniffen bis verklemmt von zwei nervösen, introvertieren Norddeutschen, die ungern über Gefühle sprechen. Es gibt kein tiefes Trauma, keine hässlichen Fragen oder schockierende Einsichten. Doch obwohl Vater wie Tochter das eigene Buchprojekt eher beklemmend erleben, nicht gern im Mittelpunkt stehen, wenig preisgeben, wird man beim Lesen dauernd auf die eigene Kindheit gestoßen. "Ach, Papa" ist ein maues, verdruckstes Buch, das trotzdem Mut macht, im Umgang mit den eigenen Eltern proaktiver zu werden. Weniger drucksen!

Der Übervater

Linn Ullmann, geboren 1966, will mit 40 ihren Vater, Mitte 80, interviewen: Regisseur Ingmar Bergmann lebt nach fünf Ehen (Ullmann hat acht ältere Halbgeschwister) in einem Strandhaus in Farö: diszipliniert, stoisch, streng getaktet. Erst während sechs sehr schleppender Interviews versteht Ullmann, wie körperlich und geistig zerrüttet ihr Vater bereits ist. Sie bricht das Projekt ab.
"Die Unruhigen", ein autofiktionaler Roman, ist Ullmanns (brillanter) Versuch, aus Kompromissen, Teilstücken, Subjektivem sowie literarischen, poetologischen Zweifeln ein Bild der Kindheits-Sommer auf Farö zu zeichnen. Und aufzufädeln, wie Druck, Normen und Regie-Anweisungen des Vaters ihr Leben bis heute prägen. Ihr Buch ist oft überlang, keuchend, voller Redundanzen: 410 Seiten Gedankenspiele und Psychologisierungen, die nur gute 300 Seiten tragen. Faszinierend aber, dass ein viel zu langes Buch über misslungene Interviews trotz allem: unbedingt gelingt!

Aufwachsen ohne Liebe

Elizabeth Garbers Buch "Implosion" dagegen hat keine Angriffsflächen, lose Enden: ein Erinnerungstext, dem man Jahrzehnte literarischer und therapeutischer Arbeit, die ihm vorausgingen, anmerkt - bisher ist es nur auf Englisch erhältlich. Garber, geboren 1953, ist Tochter eines oft erfolglosen, nervösen Architekten in Cincinnati. Die Familie bezieht ein Glashaus ohne jede Privatsphäre, Woodie Garber zwingt die Teenager zu endloser Gartenarbeit.
Erst in der zweiten Hälfte des Buches wird das Ausmaß der (auch sexuellen) Gewalt klar. Das macht "Implosion" besonders dringlich, lesenswert. Nach klugen Kapiteln über einen recht zeittypischen Vater, der viel normiert, einschränkt, bremst, kippt der Bericht in immer wildere, tragischere Leben-oder-Tod-Szenarien: eine Geiselnahme in Panama, Mordfantasien, Überlebens- und Emanzipationskämpfe in den 70er-Jahren.

Ausgeliefert in der Kindheit

Das beliebteste Jugendbuch über Vater und Tochter ist bis heute Harper Lees "Wer die Nachtigall stört". Der bittere, kantigere Vorläufer "Geh hin, stell einen Wächter" zeigt den selben Vater in einem viel kälteren Licht. Nestbeschmutzung? Nein: eine nüchterne Rückschau – die hilft, sich abzulösen, erwachsen zu werden! Im Schreiben liegen Macht, Verantwortung und Deutungshoheit nun bei denen, die ihre Kindheit lang ausgeliefert waren.
Mareike Nieberding: "Ach, Papa. Wie mein Vater und ich wieder zueinanderfanden". Suhrkamp Nova, 187 Seiten, Januar 2018
Linn Ullmann: "Die Unruhigen. Roman." Aus dem Norwegischen von Pau Berf. Luchterhand, 416 Seiten, Juni 2018
Elizabeth Garber: "Implosion. A Memoir of an Architect's Daughter". She Writes Press, 343 Seiten, Juni 2018
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