Todesfabrik

Von Georg Gruber · 27.01.2010
Auschwitz war Schauplatz eines Massenmordes, wie ihn sich die Menschheit bis dahin nicht vorstellen konnte. Die Zahl der Opfer liegt zwischen 1,1 und 1,5 Millionen. Als die Nationalsozialisten merkten, dass der Krieg nicht zu gewinnen war, versuchten sie, die Spuren dieses Verbrechens zu verwischen. Doch die Sowjetarmee rückte schneller vor als erwartet.
"Es war kein Wachtraum, ein lebender Toter stand mir gegenüber. Hinter ihm waren im nebligen Dunkel Dutzende anderer Schattenwesen zu erahnen, lebende Skelette. Die Luft roch unerträglich nach Exkrementen und verbranntem Fleisch. Ich bekam Angst, mich anzustecken, und war versucht wegzulaufen. Und ich hatte keine Ahnung, wo ich war. Ein Kamerad sagte mir, wir seien in Auschwitz",

erinnert sich Jakow Wintschenko an den 27. Januar 1945. Er war einer der Soldaten der Roten Armee, die das Vernichtungslager Auschwitz befreiten. Das Lager war, auf Befehl von Reichsführer SS Heinrich Himmler im Mai 1940 im okkupierten Polen errichtet, zunächst als Durchgangslager konzipiert. Als Instrument zur Unterdrückung der polnischen Führungsschicht.

In Birkenau, etwa zwei Kilometer vom Stammlager entfernt, wurde im Herbst 1941 mit dem Bau eines weiteren großen Komplexes begonnen, ursprünglich gedacht für sowjetische Kriegsgefangene, die Zwangsarbeit leisten sollten. An billigen Arbeitskräften waren auch deutsche Konzerne interessiert, die sich dort ansiedelten, wie beispielsweise die IG-Farben. Im Herbst 1941 begann dann die bis ins Detail geplante Deportation der Juden aus Deutschland, mit dem Ziel, sie zu ermorden. Auschwitz-Birkenau wurde zum Zentrum der Massenvernichtung für Juden aus ganz Europa.

"Gleich am Bahnhof wurde man sortiert in arbeitsfähig und in nicht arbeitsfähig. Frauen mit Kindern und Männer, die Krankheiten oder irgendwelche Gebrechen hatten, wurden auf Autos geladen, von denen wir nicht wussten, wohin sie fuhren."

Die Jüdin Charlotte Grunow berichtet im April 1945 dem Deutschen Dienst der BBC über die Gräuel, die sie in Auschwitz erlebt hatte.

"Im Lager selbst hörten wir dann erst, dass diese Leute alle in das Gas gegangen sind, eine Sache, die man sich kaum vorstellen kann, wenn man nicht diesen schrecklich roten Himmel tagtäglich vor sich gesehen hat und gewusst hat, dass dort nicht nur Kranke, sondern blühende junge Menschen, die ein kleines winziges Fleckchen am Körper hatten, hingegangen sind."

Rudolf Höß war Kommandant von Auschwitz, von 1940 bis 1943. 1944 kam er noch einmal zurück, um die Ermordung von über 400.000 ungarischen Juden zu organisieren. 1946 wurde ihm in Nürnberg der Prozess gemacht:

Rechtsanwalt Kurt Kauffmann: "Ich frage sie nach Ihrer Erfahrung, ob diese Menschen wussten, was Ihnen bevorstand?"

Rudolf Höß: "Zum größten Teil nicht, denn es waren Vorkehrungen getroffen, die sie darüber im Zweifel ließen und bei ihnen nicht den Verdacht erregen konnten, dass sie in den Tod gehen sollten. So waren überall an den Türen und an den Wänden Schriften angebracht, die darauf hinwiesen, dass dies eine Entlausung, beziehungsweise. eine Badevorkehrung sei."

Als die Ostfront näher rückte, versuchte die Lager-SS alle Beweise für die Verbrechen zu vernichten. Die Tötungsanlagen wurden demontiert oder zerstört. Die Rote Armee, die am 12. Januar 1945 eine Großoffensive begonnen hatte, kam schneller voran als erwartet. Die SS-Führung beschloss daraufhin, das Lager aufzulösen: Die Häftlinge, die noch gehen konnten, wurden auf Todesmärsche gen Westen geschickt. Das Krematorium V blieb bis in die letzten Tage betriebsbereit, erst in der Nacht auf den 26. Januar wurde es gesprengt. Am Tag darauf befreiten sowjetische Soldaten das Lager, unter ihnen Jakow Wintschenko:

"Es war uns klar, dass etwas Schreckliches über diesem Ort lag: Wir fragten uns, wozu all die Baracken, die Schornsteine und die Räume mit den Duschen gedient hatten, die einen seltsamen Geruch verströmten. Ich dachte an ein paar Tausend Tote – nicht an Zyklon B und das Ende der Menschlichkeit."

Zwischen 1,1 und 1,5 Millionen Menschen wurden in Auschwitz ermordet, die meisten davon Juden. Die sowjetischen Soldaten stießen auf Hunderte von Leichen. 7000 Häftlinge, entkräftet und krank, waren noch am Leben.

In den Magazinen fanden die Soldaten rund 370.000 Herrenanzüge, 837.000 Damenmäntel und -kleider, Berge von Brillen, Gebisse, Schuhe und Kinderbekleidung sowie fast acht Tonnen menschliches Haar, das von etwa 140.000 Frauen stammen musste.