Todbringender Kuss

Von Uwe Friedrich · 20.02.2011
Der Regisseur Barrie Kosky betont an der Komischen Oper Berlin die albtraumhaften Züge des Märchens von der traurigen Wassernixe. Das behindert ein wenig die Absicht des Chefdirigenten Patrick Lange, Antonín Dvořáks "Rusalka" modern und unsentimental zu verstehen.
In einer offenbar sehr schmerzhaften Operation wird der Wassernixe Rusalka zuerst die Gräte aus ihrem Fischschwanz herausgezogen, dann wird die ganze Flosse abgeschnitten. Endlich kann sie auf eigenen Füßen stehen, kann ihrem geliebten Prinzen entgegenlaufen. Erst steht sie noch sehr wacklig auf ihren neuen Beinen, doch dann läuft sie lustvoll immer wieder im Kreis. Die Gräte ist nur noch Abfall, nutzlos und überflüssig.

Nichts hatte Rusalka sich sehnlicher gewünscht als ihren Körper zu verändern, ein Mensch zu werden und den Waldsee zu verlassen. Zwar hatten alle Freunde sie gewarnt, zwar hat sie ihre Stimme verloren im Tausch für ihre Beine, zwar wird sie nie zurückkehren können, doch sie ist sicher: Die Liebe des Prinzen wird über alle Schwierigkeiten hinweghelfen.

Konsequent erzählt der Regisseur Barrie Kosky die Geschichte dieser jungen Frau, eliminiert alles Märchenhafte und betont die albtraumhaften Züge der unglücklichen Liebesgeschichte. Statt eines Waldsees hat Bühnenbildner Klaus Grünberg eine verkleinerte Kopie des Bühnenportals nachbauen lassen, vor der sich das schreckliche Geschehen abspielt.

Mit blutigen Händen kommt der Prinz von der Jagd, auch an der Tür hinterlässt er tiefrote Spuren, wenig später wird er auch mit Rusalka nicht besonders zimperlich umgehen. Obwohl er ewige Liebe und Treue schwört, betrügt er sie mit der Fremden Fürstin verraten, sobald die Beziehung zu Rusalka kompliziert wird. Aus dem Zuschauerraum warnt der Wassermann immer wieder vor dem drohenden Verderben, doch Rusalka hofft noch immer auf eine glückliche Zukunft. Erschrocken beobachtet sie, wie zur Vorbereitung ihrer Hochzeit Fische ausgenommen werden und die Küchenjungen über sie herziehen. Fische, Angeln, Köder und Gräten ziehen sich leitmotivisch durch die Bilderwelt dieser betont sachlichen Inszenierung.

Überzeugend singt und spielt Ina Kringelborn die wachsende Verzweiflung der jungen Frau, die sich trotz aller Bemühungen in einer feindlichen Umgebung nicht zurechtfindet. Ihre Stimme ist nicht ganz so dramatisch, wie sie die Rolle zu Beginn anlegt, die lyrischen Passagen fallen nicht besonders anrührend aus, auch der Tenor Timothy Richards macht den schwachen Charakter des Prinzen mit überwältigenden Spitzentönen und einer eher stumpfen Mittellage nicht zum Sympathieträger. Wieder einmal müssen alle Sänger mit der brutalen, unpoetischen und beinahe unsingbaren Übersetzung von Werner Hintze und Bettina Bartz kämpfen. Immer wieder verstößt diese Textfassung gegen den Rhythmus und den Sinn der Musik, da haben es die Sänger naturgemäß schwer, eine schöne und elegante Linie zu singen.

Aber Eleganz in der Umsetzung ist ohnehin nicht Barrie Koskys Hauptinteresse. Immer wieder brechen die Personen in hysterisches Gelächter aus, mal kreischt ein Statist die Verzweiflungstöne Rusalkas nach, dann lärmen die Protagonisten hemmungslos auf der Bühne oder werden Türen zugeknallt. Dabei handelt es sich jedoch bloß um aufgesetzte Effekte, die das Bemühen des Chefdirigenten Patrick Lange um ein modernes und unsentimentales Verständnis von Dvořáks Musik eher behindern als befördern.

Er seziert die Komposition, ist weniger an Hörnerklang und Streicherschimmer interessiert als an einer Offenlegung der handwerklichen Machart dieser Partitur. Das fügt sich zwar in nahtlos in das Regiekonzept ein, aber die Höhepunkte des Abends geraten zu laut ohne bedrohlich zu sein, während die lyrischen Naturschilderungen zu wenig Charme und emotionale Wucht abkriegen.

Ganz bewusst hat der Regisseur Barrie Kosky dem Märchen von der traurigen und schließlich todbringenden Wassernixe alle Poesie ausgetrieben, um die Geschichte einer verhängnisvollen Abhängigkeit zu erzählen. In einigen der ruhigen Szenen gelingt, was das Regieteam wohl für den gesamten Abend erreichen wollte, etwa wenn hilflose Wasserwesen mit zu Gräten verdorrten Schwänzen über die Bühne kriechen oder der Prinz Tanzschritte mit der ungeschickten Rusalka einübt. Selbst der todbringende Kuss bedeutet für das ehemalige Wasserwesen Rusalka keine Erlösung. Sie hat den Köder geschluckt und hängt nun an der Angel des toten Prinzen. Aus diesem selbst gewählten Verhängnis kann sie sich nicht mehr befreien.

Rusalka
Oper von Antonín Dvořák
Regie: Barrie Kosky
Musikalische Leitung: Patrick Lange
Komische Oper Berlin