Tod und Konsum

Wie der Totenschädel zum Mode-Motiv wurde

Eine Halskette mit Totenkopf
Eine Halskette mit Totenkopf © dpa / picture alliance / Jens Kalaene
Ulrike Neurath im Gespräch mit Kirsten Dietrich · 19.07.2015
Unter dem Motto "Buy now, die later" befasst sich das Kasseler Museum für Sepulkralkultur mit dem Thema Tod und Konsum. Warum Todesmotive heute auch in der Mainstream-Mode zu finden sind, erklärt Kuratorin Ulrike Neurath.
Kirsten Dietrich: Wir gehen jetzt einkaufen, einkaufen beim Tod, am Friedhof, mit der Vergänglichkeit: das Kasseler Museum für Sepulkralkultur beschäftigt sich nämlich ab nächster Woche mit dem Thema Tod und Konsum. "Buy now, die later" ist das Motto: Jetzt kaufen, später sterben. Tod und Sterben, Bestattung und Friedhof – mit diesen Themen beschäftigt sich das Museum für Sepulkralkultur. Was das Ganze mit Shopping zu tun hat, das habe ich Kuratorin Ulrike Neurath gefragt.
Ulrike Neurath: Auf den ersten Blick möchte man meinen, das hat gar nicht so sehr viel damit zu tun – Shopping ist ja was Tolles, der Tod ist eigentlich was Trauriges, was Düsteres, und dann gibt es zwei Punkte, wo sich Tod und Shopping doch verbinden, und das liegt daran, dass wir eben seit einigen Jahren diesen Trend beobachten können, dass Todesmotive, zum Beispiel auf Kleidungsstücken, aber natürlich auch auf Alltagsgegenständen jedweder Art, dass wir dieses Todesmotiv finden. Das heißt, dieses Todesmotiv ist absolut salonfähig geworden und in Mode.
Dietrich: Wenn Sie vom Todesmotiv reden, was meinen Sie da – den Totenkopf?
Neurath: Vor allen Dingen den Totenkopf, also den Totenschädel, der sehr oft dargestellt ist über gekreuztem Gebein oder man sieht natürlich auch häufig das Skelett als solches, Gerippe. Das sind die Todesmotive, die am häufigsten auftauchen. Nicht ganz so oft taucht auf zum Beispiel die Rose, die auch ein Sinnbild letzten Endes für den Tod ist, und es gibt noch viele andere, zum Beispiel die Sanduhr, aber der Totenschädel ist natürlich das Motiv schlechthin.
Dietrich: Der dann auf T-Shirts gedruckt wird und der mit Glitzersteinen überall auf die Kleidung drauf getan wird.
Neurath: Genau, sehr dekorativ!
Dietrich: Wie kommt das, warum wandert dieser Totenschädel auf die normale Alltagskleidung?
Alexander McQueen oder auch Vivienne Westwood verwendeten Todesmotive
Neurath: Weil Menschen, Designer, Bekleidungshersteller irgendwann wohl mal die Idee hatten, so ein Motiv, so ein Symbol auf Kleidungsstücke zu bringen. Aber man muss natürlich da genauer nachforschen oder nachschauen, wenn man sich damit beschäftigt. Das haben die ja natürlich nicht einfach so gemacht, sondern im Grunde steht dieses Motiv in einer sehr langen, in einer sehr alten Tradition. Wenn wir uns eher versteifen erst mal so auf die Gegenwart, dann sind es tatsächlich, ich sage mal, Designer gewesen, wie zum Beispiel Alexander McQueen oder auch Vivienne Westwood, die mit diesem Motiv schon sehr früh gespielt haben auf ihren Modenschauen, in ihren Kollektionen, aber dieses Motiv sich natürlich geholt haben aus anderen Zusammenhängen heraus, zum Beispiel von den Subkulturen oder auch Jugendkulturen, wo dieses Motiv natürlich schon sehr viel früher sehr viel gängiger war, um vielleicht auch bestimmte Lebenseinstellungen darüber zu symbolisieren oder auch ein bestimmtes Lebensgefühl zu vermitteln.
Dietrich: Also aus der Gothic-Szene zum Beispiel.
Neurath: Zum Beispiel.
Dietrich: Reichen die Wurzeln noch tiefer?
Neurath: Ja, die Wurzeln reichen noch sehr viel tiefer, denn der Totenschädel ist tatsächlich nicht erst eine Erscheinung des 20. und 21. Jahrhunderts, sondern der Totenschädel ist beheimatet in der sogenannten Vanitasmotivik, und darunter muss man sich vorstellen: Vanitas ist ein lateinischer Begriff, der heißt übersetzt Eitelkeit, Nichtigkeit, aber eben auch Vergänglichkeit, und in früheren Jahrhunderten, vom Mittelalter an bis hin zur Frühen Neuzeit und noch ein bisschen darüber hinaus war es ja im Grunde für die Menschen eine Verpflichtung, stets im Bewusstsein des Todes zu leben. Und damit man sich das immer wieder bewusst machte, reichte es nicht unbedingt, einfach nur in die Kirche zu gehen, in die Gottesdienste, sondern die Menschen haben sich auch mit Objekten, mit Darstellungen umgeben, auf denen bestimmte Motive abgebildet waren, und die sollten den Betrachter symbolisch das Verfliegen der Zeit vor Augen führen. Und dazu gehörte eben auch das Symbol des Totenschädels, aber auch viele andere Symbole, zum Beispiel die herabbrennende Kerze oder Seifenblasen, die zerplatzen, also ganz viele verschiedene Dinge, die eben das Verfliegen der Zeit verdeutlichen.
Dietrich: Waren das denn auch Gegenstände, die man gekauft hat, dann besessen hat und im privaten Bereich gehabt hat oder ist das dann doch eher im öffentlichen Bereich gewesen?
Neurath: Sowohl als auch. Es gibt Objekte, es gibt Darstellungen, es gibt Gemälde, die man sich tatsächlich kaufen konnte, die man sich zu Hause hingehängt hat, ins traute Heim, je nachdem, was man sich leisten konnte. Der eine konnte sich vielleicht wirklich ein aufwendigeres Gemälde, ein sogenanntes Vanitasgemälde leisten, der andere nicht, der musste sich dann mit etwas einfachem zufrieden geben.
In der Frühen Neuzeit bis ins 18. oder auch Anfang des 19. Jahrhunderts hat es auch kleine Betrachtungssärglein gegeben. Da muss man sich vorstellen, das sind kleine geschnitzte Särge, Miniatursärge, in denen dann ein geschnitzter Leichnam, entweder als verwesender Leichnam oder als Skelett dargestellt hineingelegt war, und diese Miniatursärge, diese Betrachtungssärge hatten auch die didaktische Aufgabe, den Menschen immer wieder daran zu erinnern, im Bewusstsein des Todes zu leben und daraus einen gottgefälligen Lebenswandel abzuleiten.
"Der Tod wird symbolisch nicht mehr wahrgenommen"
Dietrich: Nun werden Eltern von heute, die ihr Kind in einen süßen Body mit Totenschädel draufstecken, nicht unbedingt damit die Vergänglichkeit meditieren wollen. Was ist mit diesem Motiv passiert, als es in die heutigen Konsumgegenstände gewandert ist?
Neurath: Es ist ein Motiv, das den Tod abbildet, aber der Tod wird eben nicht mehr wahrgenommen, er wird symbolisch nicht mehr wahrgenommen. Es ist im Grunde längst eine Art Mainstreammotiv geworden, mit dem man allenfalls vermitteln will, dass man sich abgrenzt, ohne das jetzt negativ zu werten, oder einfach auch, dass man mit der Mode, dass man mit dem Trend geht, und dieser Trend macht, wie Sie es ganz richtig angesprochen haben, im Grunde auch vor der kleinsten Kindergröße nicht Halt.
Dietrich: Sie haben bei sich im Museum für Sepulkralkultur ein Sepulkralkaufhaus eingerichtet. Was kann ich mir denn da drunter vorstellen? Kann ich da jetzt wirklich einkaufen gehen?
Neurath: Nicht so ganz, aber fast. Also wir haben ein Kaufhaus inszeniert. In diesem Kaufhaus gibt es verschiedene Abteilungen, zum Beispiel eine Sportabteilung, es gibt auch eine Abteilung für Bademoden und Dessous, es gibt eine Abteilung für Kinder, dann haben wir eine Abteilung "Mexiko" genannt und vielleicht ahnen Sie, worauf ich hinaus will – das sind alles Abteilungen, wo wir ausschließlich Kleidungsstücke präsentieren, wie in einem Kaufhaus, auf denen ausschließlich die Todesmotivik zu sehen ist.
Und mit diesem inszenierten Kaufhaus überzeichnen wir natürlich das ganze Thema der Tod in der Mode heutzutage, und wir tun das deshalb, um den Besuchern, um den Betrachtern einfach mal klar zu machen, wie stark wir inzwischen von diesen Todesmotiven umgeben sind und dass wir sie alle irgendwie ja ganz schick finden, denn es ist für jeden was dabei, ob es nun das Kind ist, ob es nun der Jugendliche ist, wo man das vielleicht am ehesten noch vermuten würde – Stichwort Jugendkulturen, Subkulturen –, aber längst haben sich die Bekleidungshersteller und die Designer mit ihrer Mode mit dem Tod an die Generation 50 plus gewendet, also da ist für jeden was dabei. Und ich glaube, diese Fülle kann einem dann erst mal bewusst machen, welchen Stellenwert dieses Motiv in der heutigen Gesellschaft, in der Mode eigentlich hat, ohne dass wir genauer darüber reflektieren.
Und um auf die Frage zurückzukommen, ob man alles kaufen kann – man kann nicht alles kaufen. Das hat ganz bestimmte rechtliche Hintergründe jetzt in Bezug auf unser Museum, aber man kann einen Teil kaufen, denn wir haben für unser Sepulkralkaufhaus auch eine eigene kleine T-Shirt-Kollektion und Beutel- und Taschenkollektion entwickelt, wo wir im Grunde uns des alten Todesmotivs bedienen, das heißt die Vanitasdarstellung, woraus sich dieses Motiv ja ableitet. Diese Motive der Vergänglichkeit, die haben wir nun auf T-Shirts und Taschen gebracht, um das Ganze sozusagen wieder auf ihren Ursprung zurückzuführen.
Dietrich: "Buy now, die later" – über Tod und Konsum sprach ich mit Ulrike Neurath, Kuratorin am Museum für Sepulkralkultur in Kassel. Die Ausstellung ist ab Freitag geöffnet.
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