Tod im Gleisbett

Von Peter Marx · 24.06.2013
Es ist das berühmteste Dorf von Mecklenburg-Vorpommern: Bad Kleinen. Der Bürgermeister nennt es eine "traurige Berühmtheit" und wehrt sich seit 20 Jahren dagegen, dass seine Gemeinde immer wieder in Verbindung mit der RAF genannt wird. Am 27. Juni 1993 sollen hier die RAF-Terroristen Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams festgenommen werden. Es kommt zur Schießerei, ein Beamter der GSG 9 stirbt ebenso wie Wolfgang Grams.
Bürgermeister Hans Kreher geht gemächlich die Stufen hinunter zum Fußgänger-Tunnel, der die Gemeinde mit dem Bahnhofsgebäude verbindet. Dann wieder 20 Stufen hinauf, direkt unter das Vordach des heruntergekommenen Backsteingebäudes, das Teil des Bahngleises 4 ist.

Kreher: "Im Wesentlichen ist leider alles so geblieben, wie es damals war. Sie sehen hier, es sind noch die alten Pflastersteine. Der Bahnhof ist fast noch im gleichen Zustand wie damals, nur das inzwischen vieles leergeräumt ist."

Kreher schreitet weiter, umrundet den Bahnhof. Auf der Rückseite bleibt er stehen, deutet auf ein graues Hochhaus mitten in einem verwilderten Garten. Fünf der insgesamt sieben Bahngleise führen direkt am alten Mühlenzentrum vorbei. Heute ein architektonischer Schandfleck, doch früher das wirtschaftliche Zentrum der Gemeinde:

"Ja, das war hier der Kreuzungspunkt zwischen Lübeck, Rostock, auch nach Stettin hin und von Wismar nach Berlin und so weiter war das hier immer ein Kreuzungspunkt auch im Güterverkehr, Lieferung zu den Seehäfen nach Wismar, Rostock. Deshalb war das hier zu DDR-Zeiten mit der größte Güterbahnhof im Norden der DDR. Das ist hier inzwischen nur noch ein Umsteigebahnhof mit ganz wenigen Beschäftigten. Wir hatten ein großes Mühlenwerk hier, wir hatten Baubetriebe hier, eine große landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft mit vielen Arbeitskräften. Die Post hatte hier eine wichtige Umschlagsstelle. Das ist alles erst mal weggebrochen."

Das "RAF-Menü"

Das alles geschah gleich nach der politischen Wende und bevor die RAF-Terroristen Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams im Bahnhof-Bistro Pommes mit Wiener und Würzfleisch bestellten: Das "RAF-Menü", das Gäste nach dem 27. Juni 1993 gerne mal bestellten. Für ein kleines Trinkgeld platzierte die Kellnerin Besucher auch an den Tisch, wo das Paar gegessen hatte. 70 mal 70 Zentimeter, Eichenholz, rotbraun gestrichen. Für die Bildzeitung für kurze Zeit "Deutschlands berühmtester Tisch."

Heute ist das Billard Café geschlossen und durch die verstaubten Fenster sind nur schemenhaft die Umrisse der Einrichtung zu erkennen. Ob der Tisch noch da ist? Der Bürgermeister weiß darauf keine Antwort. Er spricht lieber über seine Gemeinde:

"Also Bad Kleinen hat circa 3800 Einwohner mit seinen Ortsteilen. Wir liegen an der Nordspitze des Schweriner Sees, viele Landschafts- und Naturschutzgebiete, die wir hier rundherum haben. Und was sogar zu Zuzug nach der Wende geführt hat, dass sich viele sagten, von Bad Kleinen aus kann ich schnell nach Lübeck kommen, nach Schwerin kommen, zur Ostsee kommen, nach Rostock kommen."

Vermutlich deshalb wählten die RAF-Terroristen und ihr Kontaktmann Klaus Steinmetz aus der Unterstützer-Szene Bad Kleinen als Treffpunkt aus. Doch Steinmetz, V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz hatte den Treffpunkt bereits verpfiffen und der Bahnhof wurde vom Bundesgrenzschutz überwacht.

Sommer 1993. Rund um die Gemeinde blühten die Weizen- und Gerstenfelder. Den Schock nach der Wende hatten die Einwohner von Bad Kleinen überwunden. Hans Kreher, damals wie heute Bürgermeister, setzt auf den anschwellenden Tourismus in Mecklenburg-Vorpommern. Die schöne Endmoränen-Landschaft, die guten Zugverbindungen und dazu noch das verkaufsfördernde "Bad" im Ortsnamen. Der Bürgermeister war 1993 zuversichtlich und ist es heute:

"Zwischen Wismar, also der Ostsee, und der Landeshauptstadt Schwerin gelegen, haben wir hier, wenn wir die touristische Infrastruktur weiter entwickeln, durchaus auch Aussichten, von der touristischen Entwicklung des Landes stärker abzubekommen."

Ein Ort mutiert zur Festung

1895 hatte der Sanitätsrat Dr. Armin eine Wasserheilanstalt im Dorf Kleinen am Schweriner See eröffnet. 1915 bekam der Ort den Namenszusatz "Bad" verliehen. Doch das größte Problem der Gemeinde war damals: außerhalb des Bundesland kannte Bad Kleinen niemand. Bis zum 27. Juni vor 20 Jahren:

Stimmen aus dem Archiv:
"Der Zierorer Weg in Wismar. Hier hatte die als Terroristin der RAF gesuchte Birgit Hogefeld unter dem Namen Doris Peters eine Wohnung gemietet, zusammen mit Klaus Steinmetz. Am 27. Juni 93 verließen beide die Wohnung und gingen hinüber zur Bushaltestelle, gefolgt unbemerkt von einem Kleintransporter mit Beamten der Sondereinheit GSG 9."

"In den Agenturmeldungen heißt es: bei einem Schusswechsel bei der Festnahme von zwei mutmaßlichen RAF-Terroristen im mecklenburgischen Bad Kleinen ..."

"Der Innenminister von MV Rudi Geil hat die dramatische Verhaftung der zwei mutmaßlichen RAF-Mitglieder als Beweis dafür gewertet, dass die Terrororganisation nach wie vor aktiv ist."

Gegen 14 Uhr stürmen 97 Beamte des Bundeskriminalamtes, der Landespolizei und der Bundesgrenzschutz-Spezialeinheit GSG 9 den Bahnhof, um die beiden Terroristen festzunehmen.

"Da fiel eine Salve von Schüssen, ich vermute 30 bis 50 Schuss etwa, hintereinander, von einer Maschinenpistole abgezogen und die machten einen ganz schönen Rabatz. Und dann war Ruhe und etwa 20 Minuten später tauchte dann der erste Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes auf und landete ummittelbar vor dem Bahnhof Bad Kleinen auf einer kleinen Straßenkreuzung. Es fielen, soweit ich das beobachten und beurteilen kann, nur einmal Schüsse am Anfang und dann anschließend war Ruhe."

berichtet ein Augenzeuge dem NDR und die 14-jährige Schülerin Karina ergänzt:

"Ich war oben auf dem Bahnsteig, auf einmal hörten wir laute Stimmen in der Vorhalle da. Die Stimmen wurden immer lauter und kamen hoch und auf einmal schrie der Mann da ‚Stehenbleiben!‘ zum Terroristen und die Frau schoss auch gleich los mit dem Gewehr auf alle Passanten. Da standen etwa fünf bis sechs Passanten."

Bürgermeister Kreher geht zu diesem Zeitpunkt mit seiner Tochter spazieren. Die beiden wollen ein Eis essen, unten am Strand von Bad Kleinen, als er plötzlich das Echo von Pistolenschüssen hört:

"Das da irgendwas Besonderes los sein musste, war mir klar. Allerdings, was wussten wir nicht. Die Bürger bestürmten mich, Herr Kreher was ist hier los, meine Kinder sind auf dem Bahnhof. Es gingen Gerüchte rum, dass, damals war ja der Golfkrieg, dass da ein Munitionszug ausgeraubt worden sei."

Binnen weniger Minuten gleicht der Ort einer Festung. An allen Zu- und Ausfallstraßen von Bad Kleinen werden Spaziergänger und Autofahrer kontrolliert. Selbst die Einkaufstüten von Hausfrauen sind vor der GSG 9 nicht mehr sicher. Penibel prüfen die Grenzschützer Eier, Mehl und Gemüse, so als wären es Waffen. Die Stimmung in der Bevölkerung ist entsprechend:

Kurzzeitig berühmter als die Landeshauptstadt

Stimmen von Bürgern aus Bad Kleinen:

"Man hat gedacht, in Bad Kleinen kann so was gar nicht vorkommen!"

"Ja, erst mal entsetzt, dass diese Leute immer noch mit Waffen rumgelaufen sind, wie gefährlich wie hier jetzt leben. Also wir sind alle recht schockiert, muss ich sagen."

"Dass da was los war, merkten wir ja. Aber keiner wusste, was. So was haben wir hier noch gar nicht gehabt."

Kerstin Moll, damals Mitarbeiterin im Tourismusbüro erinnert sich an die turbulenten Tage und Wochen nach der Schießerei:

"Es kannte eigentlich fast jeder Bad Kleinen von dieser Schießerei aus. Es kamen auch Anrufe, wo man denn fragte, ich habe noch nie was von Bad Kleinen gehört und wenn ich dann geantwortet habe, vielleicht haben sie das in den Medien gehört mit der Schießerei, kam als Antwort: ‚Ach das ist Bad Kleinen!‘. "


Auch für Hans Kreher verändert sich die Welt. Plötzlich ist er ein gefragter Gesprächspartner:

" "Also unmittelbar habe ich es mal in Bayreuth erlebt, also da war ‚Oh, Bad Kleinen!‘ und alle wussten über Bad Kleinen Bescheid. Aber, als ich sagte: ‚Wo liegt denn Bad Kleinen, sagte bei Schwerin‘ und ‚Was ist Schwerin?‘. Also damals war Bad Kleinen bekannter in Deutschland als unsere Landeshauptstadt!"

Der Ort erlebt – zynisch gesagt – eine Blütezeit. Kerstin Moll wirkt verlegen, als sie davon erzählt:

"In der Tourismusbranche war es ein Werbeträger. Einige kamen auf mich zu, haben gesagt, ja ich muss auch mal Bad Kleinen besuchen, da war das und das los. Oder wenn ich dann gesagt habe, Bad Kleinen ist da mit den Terroristen auf dem Bahnhof, haben sie bestimmt schon gehört. ‚Ja, das habe ich auch schon gehört, schon gehört.‘"

Bis zu Hundert Journalisten durchstöbern den Ort tage-, wochenlang nach Informanten und Informationen.

Collage Stimmen aus dem Archiv:

"Die Schießerei gestern zwischen zwei mutmaßlichen RAF-Terroristen und der Polizei hat sich möglicherweise anders zugetragen, als es die Bundesanwaltschaft bisher darstellt."

"Zeugen widersprechen den Polizeiangaben über die Festnahme der mutmaßlichen RAF-Terroristen in Bad Kleinen. ""

"4. Juli. Am Sonntag gibt das Bundeskriminalamt weitere Einzelheiten über den Hergang in Bad Kleinen bekannt. Demnach fielen bei dem Feuergefecht 44 Schüsse. 33 gaben Polizisten ab, elfmal schoss Grams."


Die Schießerei kurbelt die örtliche Wirtschaft an. Taxi-Zentralen melden Hochbetrieb, die Gästestätten sind überfüllt, die wenigen Ferienwohnungen ausgebucht. Eine Baufirma beseitigt die Einschusslöcher in den Bahnhofswänden, ein Malerbetrieb muss den Bahnhofstunnel neu streichen, um die letzten Spuren zu beseitigen. Nicht zu vergessen, die sogenannten Blut-Touristen, die in Scharen kommen, wie der Bürgermeister erzählt:

"Ja, das gab es. Ich habe es mal erlebt, dass ein Ehepaar hier ankam und fragte: ‚Wo ist hier der Bahnhof‘ und ich habe dann direkt gefragt: ‚Warum wollen Sie denn zum Bahnhof?‘ ‚Ja wir wollen uns das mal anschauen, wo das passiert ist.‘"

Die Gäste sind gezwungen, den Bahnhof samt Blutlachen selbst zu finden. Es gibt keine pietätlosen Stadtführungen rund um den Bahnhof, zu getrockneten Blutflecken und den gelben Markierungen der Spurensicherung. Oder? Wieder wirkt Kerstin Moll verlegen:

"Nein, um Gottes Willen, so was habe ich nicht gemacht! Nein, nein, nein, das habe ich nicht gemacht! Na gut, einige habe es sich angeschaut und andere waren mit meiner Antwort zufrieden oder halt mit dem Text, den sie lesen konnten."

Nachdenklich schüttelt der Bürgermeister den Kopf. Ihm gefällt es nicht, dass seiner Gemeinde unterstellt wird, aus dem Tod des RAF-Terroristen Grams und des GSG-9-Polizisten Michael Newrzella, einen wirtschaftlichen Nutzen gezogen zu haben. Ihm wurde das schon 1993 von Medien vorgeworfen. Vielleicht gab es einen Aufschwung. Kurzfristig, langfristig jedoch nicht. Denn die Gemeinde steht heute noch immer am Anfang ihrer touristischen Entwicklung. So deutlich will es jedoch Brigitte Bullerjahn, Leiterin der Geschäftsstelle vom Tourismusverband Schweriner See, nicht sagen:

"Also wir haben hier sehr viele Anbieter von Ferienwohnungen bzw. Pensionen in Bad Kleinen. Und wir hatten letztes Jahr eine sehr gute Auslastung, also in den Monaten Juni bis Anfang September hatten wir fast eine 100-prozentige Auslastung der Ferienwohnungen, Ferienzimmer."

Bad Kleinen kommt auch nach dem 27. Juni 1993 nicht aus den Schlagzeilen

Collage Archivmaterial:
"Am 8. Juli kommt der ‚Stern‘ mit diesem Titelblatt mit einem grausigen Foto. Aber es beweist zweifelsfrei, Wolfgang Grams wurde durch einen aufgesetzten Nahschuss getötet. Irrtum ausgeschlossen."

"Das Bundesinnenministerium widerspricht, das Grams von Polizisten aus nächster Nähe erschossen worden sei."

"Neue Indizien sollen ergeben, dass der mutmaßliche Terrorist Selbstmord begangen hat, berichtet die ‚Bild‘-Zeitung."

"Grams, von insgesamt fünf Kugeln getroffen, stürzt auf das Gleis und gibt sich im Fallen selbst den tödlichen Schuss."

"Die Bundesregierung will die schnelle und vollständige Aufklärung aller Vorgänge um Bad Kleinen, ohne Wenn und Aber."

Im Laufe der Untersuchungen zeigt sich, dass die GSG-9 in Bad Kleinen gepfuscht hat. Die öffentliche Debatte wird immer lauter. Der damalige Bundesinnenminister Rudolf Seiters muss zurücktreten; Generalbundesanwalt Alexander von Stahl wird entlassen und der Leiter des Bundeskriminalamtes Hans-Ludwig Zachert tritt zurück. Demonstranten ziehen durch Bad Kleinen. Nicht nur für den Bürgermeister eine Schreckenszeit:

"Ziemlich genervt, weil die Journalisten, das kannten wir gar nicht. Es fanden dann hier auch Demonstrationen statt. Dann haben sie an unser Ortseingangsschild geschrieben ‚Grams-Stadt Bad Kleinen‘ und solche Sachen. Wir waren damals, auch ich als Bürgermeister, von der Sache ziemlich genervt."

Die Einheimischen haben das Thema abgehakt

Heute ist das meiste vergessen. Die Einheimischen wollen nicht mehr darüber reden, sagt der Bürgermeister. Sie haben den 27. Juni 1993 vergessen, das Thema abgehakt.

"Ich bin jetzt wieder zehn Jahre Bürgermeister. Das hat uns ab und zu mal beschäftigt, aber die letzten vier, fünf Jahre stand es nicht auf der Tagesordnung."

Brigitte Bullerjahn vom Tourismusbüro unterstreicht die Worte des Bürgermeisters mit einem kräftigen Nicken. Sie hat ähnliche Erfahrungen gemacht:

"Also, als ich hier angefangen habe 2001, da fragte der Gast doch noch nach und sagte ‚Oh, Bad Kleinen, Bad Kleinen kenne ich, da war doch mal das und das auf dem Bahnhof ...!‘. Aber jetzt in den letzten zehn Jahren fragt kein Mensch mehr danach. Der Gast fragt nach anderen Sachen, der fragt, ob er in Bad Kleinen wandern kann, was es alles für Attraktionen in Bad Kleinen gibt."

Selbst die Schüler wollen heute keine Touristen mehr erschrecken. Früher, erzählt der Bürgermeister, riefen sie, wenn der Zug in Bad Kleinen einfuhr: "Auf den Boden, auf den Boden, hier wird geschossen!". Nur Hotelier Isamel Öztürk berichtet von Besuchern, die sich an die Ereignisse erinnern:

"Sie fragen nach Einzelheiten. Ja, leider. Das ist auch, was ich traurig finde. Wenn im Sommer Urlauber kommen. Unser schöner Ort wird immer mit diesem traurigen Anlass verbunden. Wir müssen selber etwas daran ändern."

Moderne Landgemeinde, attraktiver Wohnstandort

Darum bemühen sich die Menschen von Bad Kleinen eifrig. In den Jahren nach 1993 wird immer wieder darüber diskutiert, wie der Ort sich als moderne Landgemeinde präsentieren könnte. Aus der Sicht von Hans Kreher hängt das entscheidend von der wirtschaftlichen Entwicklung ab, denn die Arbeitsplatzverluste nach der Wende sind bis heute nicht ausgeglichen:

"Es sind viele, die hier wohnen, aber in Lübeck, Hamburg, in Wismar, in Schwerin arbeiten."

Billiges Bauland ist ein Grund dafür, die guten Verkehrsverbindungen ein anderer. Der Ort verfügt über eine intakte Vereinsstruktur. Dazu kommen Schule, Bibliothek, Jugendklub, Kleingartenanlage und Sportplatz. Das alles zusammen führte zu einem Anstieg der Einwohnerzahl, was in Mecklenburg-Vorpommern schon Seltenheitswert hat. "Gelitten haben wir unter dem Ruf nicht", sagt der Bürgermeister und zieht die Augenbraue hoch. Ein Zeichen für Zorn.

"Also, nein, durch dieses Ereignis nicht. Da würde ich eher sagen, der schlechte Ruf geht davon aus, dass an dem Bahnhof seit 1990 nichts Wesentliches verändert wurde, dass er in einem Zustand ist, der katastrophal ist. Wo wir immer wieder vertröstet werden, dass die Bahn AG endlich diesen Bahnhof in Gang setzt. Das ist das, worunter Bad Kleinen leidet."

Hans Kreher, der bis vor zwei Jahren noch Vizepräsident des Landesparlamentes war, geht die Entwicklung seines Dorfes zu langsam. So versucht er seit Jahren, einen Investor für das leer stehende Mühlengelände zu finden, auf dem ein neues Ortszentrum entstehen könnte. Doch die Interessenten sprangen meistens nach der ersten Besichtigung des großen Areals wieder ab. Seither antwortet Kreher nur zurückhaltend auf die Frage, wie sich seine Gemeinde weiter entwickeln wird:

"Wir wünschen uns natürlich, dass diese vielen kleinen Gewerbe sich weiter entwickeln, dass Bad Kleinen weiter ein attraktiver Wohnstandort ist und bleibt, dass wir aber dann auch im Tourismus besser vorankommen."

Und welchen Platz nimmt der 27. Juni 1993 in den Zukunftsplänen des Bürgermeisters ein? Anders als viele Einwohner will Hans Kreher den Tag nicht verdrängen, sondern "lernen" normal damit umzugehen:

"Wenn die Leute schon kommen, das geschichtliche Ereignis aufzuarbeiten, das wäre eine Sache und zwar in seinen ganzen Zusammenhängen. Das wäre eine Sache, die ich durchaus für Bad Kleinen wichtig fände."

Er hätte es gut gefunden, wenn die Idee verwirklicht worden wäre, einen Gedenkstein aufzustellen oder eine Gedenktafel anzubringen:

"Es kamen von verschiedenen Seiten Anfragen, hier etwas aufzustellen. Aber es war immer die Schwierigkeit, der Bahnhofsvorplatz ist nicht Eigentum der Gemeinde und der Bahnhof selber, da habe ich als Bürgermeister, seit ich seit 2004 wieder Bürgermeister war, immer gesagt. Ihr müsst euch da schon an den Bahnhof wenden. Wir sind da nicht Eigentümer. Und deswegen hat das nicht geklappt."

Hans Kreher verlässt den Bahnhof, geht zurück auf die Hauptstraße und weiter in Richtung seines Wohnhauses über dem Schweriner See. Er überquert auf seinem Weg die Bahngleise, schaut nochmals auf den Bahnhof. Die Ereignisse des 27. Juni 1993 lassen ihn nicht mehr los. Seine Schlussbetrachtung lautet deshalb:

"Ach, herrje, ich sage auch zu meinen Bürgern jetzt immer: Im Grunde genommen war mit diesem Ereignis in Bad Kleinen der Schlusspunkt der Roten Armee Fraktion."

Aber kein Schlusspunkt für die Gemeinde selbst, darauf legt Hans Kreher großen Wert. Seine Wünsche für die Gemeinde hat er alle schon erwähnt. Und die RAF-Geschichte? Sie gehört heute für Kreher in die Heimatchronik, zum Nachlesen und Nachdenken für alle, die in die Gemeinde Bad Kleinen am Schweriner See kommen, aus welchen Gründen auch immer.

Archivlinks bei dradio.de:

Sondereinsatz durch die Spezialistentruppe
40 Jahre Anti-Terror-Einheit GSG 9


Keine Gnade für Klar und Hogefeld -
Präsident lehnt Gesuche der Ex-RAF-Terroristen ab