Tod aus den Wolken

Von Holmar Attila Mück · 25.04.2012
Am 27. April 1937 greift die deutsche "Legion Condor" um 16.30 Uhr unterstützt von italienischen Kampfflugzeugen die militärisch völlig unbedeutende Stadt Guernica an. Drei Stunden dauert die breitflächige Bombardierung. Fast 2000 Menschen sterben und die 1000-jährige baskische Stadt ist zu 70 Prozent zerstört. Warum es zu diesem sinnlosen Angriff kam, hat Forscher jahrzehntelang umgetrieben. Tatsächlich aber steht der Name der Stadt Guernica spätestens seit dem berühmten Bild von Pablo Picasso für die Sinnlosigkeit von Kriegen.
Die republikanische Regierung erteilt nur Wochen später Pablo Picasso den Auftrag, als "ewige Mahnung" das Gemälde "Guernica" zu malen. Im Sommer 1938 marschieren die Flieger der Legion Condor als Helden durchs Brandenburger Tor. Aus ihren Berichten entsteht der "Mythos Legion Condor", der bis in die 70er und 80er Jahre des letzten Jahrhunderts gepflegt wurde. Historiker von heute beurteilen den neuesten Stand der Forschung und die Gründe für die unterschiedlichen Interpretationen der letzten Jahrzehnte.

Paris im Mai 1937. Durch die Straßen an der Seine irrt ziellos ein Junge. Er trägt eine Baskenmütze. Er ist eines von vielen Tausend Flüchtlingskindern, die verstört durch die Straßen Europas gehen, auf der Suche nach jemandem, der zuhören und vielleicht eine Antwort. geben könnte.

Vor wenigen Tagen noch hatte er jenseits der Pyrenäen Schulkameraden, eine Familie, ein Elternhaus. Das alles gibt es nicht mehr. Nein, es war keine Naturkatastrophe. Es waren deutsche Flugzeuge.

"Ich heiße Carlos. Ich bin aus Guernica. Mein Vater hatte die Apotheke am Markt. Er war der beste Mensch auf Erden. Als der Kirchner Alarm läutete, liefen wir in den Keller. Der Vater hielt unseren jüngsten Bruder Ghil auf dem Arm und Innozencia, meine älteste Schwester, an der Hand. Die beiden waren seine Lieblinge. Ghil lachte. Innozencia weinte. Mein Vater sagte in einem fort: 'Kinderchen, seid still Kinderchen, seid still!' Glaubte er, uns hörte einer, droben im Himmel, in ihren sirrenden Flugzeugen?"

Den Zustand des 16-jährigen Carlos Espinosa aus Guernica bezeichnen die Psychologen als "posttraumatisch". Das ist oft – nach langer Therapie – heilbar. Die Ursache aber bleibt unvergessen.

Am 27. April 1937 liest der im holländischen Exil lebende deutsche Schriftsteller Hermann Kesten in der britischen Tageszeitung "Times" einen Artikel des Korrespondenten George Lowther Steer zum "Fall Guernica":

"Zuerst warfen kleine Gruppen von Flugzeugen schwere Bomben und Handgranaten über der ganzen Stadt ab, wobei sie sich hübsch ordentlich ein Gebiet nach dem andern vornahmen. Dann kamen die Jagdflieger im Tiefflug und beschossen aus Maschinengewehren die, die in Panik aus den Bunkern rannten."

Kesten beginnt sofort mit den Recherchen für seinen Roman. Er wird ihn "Die Kinder von Guernica" nennen. 1938 erscheint er mit einem Vorwort von Thomas Mann in den USA. Klaus Mann schreibt später:

"Die Tragödie von Carlos und seiner Familie ist die Tragödie des spanischen Volkes. Der Bürgerkrieg, der tragische Kampf zwischen Brüdern, hat seinen Prolog in dieser privaten Sphäre."

Am 27.April sehen und hören die Deutschen in der "Wochenschau":

"Das sind die Ruinen der altspanischen Stadt Guernica wenige Stunden, nachdem die bolschewistischen Mordbrenner von den nationalen Truppen vertrieben worden waren."

Diese Lüge hatte Dr. Joseph Goebbels abgezeichnet.

Am Tag des Angriffs, am 26. April 1937, es ist ein Montag, hält sich der deutsche Interbrigadist Fritz Teppich in Guerinca auf:

"Ich war auf dieser kahlen runden Bergkuppe und auf einmal war es im Norden – Guernica lag ja kurz vor dem Meer – was wie ein Gewitter grollte, sehr massiv; wir dachten erst, es ist ein Gewitter… Kleine Wolken; zuerst waren da kleine weiße, rote, braune Wolken zogen dann wurden sie ganz mächtig und groß und wir wurden dann auch schon angeklingelt: Alarm! Achtung! Angriff auf Guernica! Die Flugzeuge kamen vom Meer."

Carlos: "Ich wollte schreien, meine Kehle war versperrt. Später kamen fremde Leute. Sie gruben uns heraus … da konnte ich schreien. Ich rannte, ich suchte meine Lebenden und meine Toten. Ich sah die zerteilten Glieder meines Vaters, meiner Brüder Ghil, Bartholomeo und Eugenio und meiner Schwester Innozentia. Ich sah die zerstückelten Glieder und glaubte es nicht …
Vier tote Schafe lagen in ihrem Blut, das im Brandlicht rot und warm glänzte. Wo war der Schäfer?"

Wer waren die Täter?

Hermann Kesten lässt Carlos nicht danach fragen. Aber man kannte sie, man wusste, woher sie kamen und nannte sie beim Namen: Legion Condor! Francos verlässlicher Partner.

Dieses "Treue-Bündnis" nimmt bereits in der Nacht vom 25. zum 26. Juli 1936 in Bayreuth seinen Anfang. Eine Woche zuvor hat Franco seinen Putsch gegen die legitime Regierung in Madrid begonnen. Nach den letzten Klängen von Wagners "Siegfried" zieht sich der Führer zum Tête-à-tête ins "Haus Wahnfried" zurück. Unter seinen Gästen befinden sich auch die in Marokko tätigen NS-Unternehmer Johannes Bernhardt und Adolf Langenheim. In dem Schreiben, das sie Hitler überreichen, bittet Franco persönlich, nachdem er bereits bei Mussolini vorstellig wurde, um die Lieferung von Transportflugzeugen.

"Innerhalb von 24 Stunden organisierte der Sonderstab, der im Reichsluftfahrtministerium eingerichtet wurde, die Lieferung."

20 Junkers-Maschinen vom Typ JU 52 (doppelt so viele, wie Franco gewünscht hatte), sechs Heinkel–51–Kampfbomber, 20 Flugabwehrgeschütze und andere Ausrüstungen.

Göring gab dem Unternehmen in einer typisch theatralischen Geste den Decknamen Operation Feuerzauber, nach dem letzten Akt von "Siegfried."

Im September 1936, Franco will möglichst schnell Madrid überrennen, hebt Göring in seinem ostpreußischen Jagdhaus das Luftwaffengeschwader aus der Taufe. "Taufpaten" und verantwortlich für sein Gedeihen sind Flieger-General Hugo Sperrle und sein Stabschef Oberstleutnant Wolfram Freiherr von Richthofen.

Im Zweiten Weltkrieg gehen große Teile des "Legion-Condor-Archivs" verloren. Es bleiben Briefe, Augenzeugenberichte, Tagebücher, vereinzelte Einsatzberichte erhalten. Eine gewissenhafte wissenschaftliche Aufarbeitung dieses Themas ist schwierig. Dennoch gelingt dem Militärhistorikern Klaus A. Maier bereits Mitte der 70er Jahre eine glaubwürdige, auch kritische Dokumentation: "Die deutsche Intervention in Spanien - der "Fall Guernica". Sein Nachfolger im Militärhistorischen Forschungsamt der Bundeswehr in Potsdam ist der Historiker Oberstleutnant Wolfgang Schmidt.

"Die Legion Condor war eine geheime Truppe. Sie wird offiziell mit Freiwilligen bestückt aus der Luftwaffe. Nur diese Freiwilligen wechseln natürlich, alle paar Monate werden die Soldaten, die Offiziere ausgewechselt, und von Freiwilligkeit kann so sehr nicht die Rede sein. Die Ausbildung erfolgte weitgehend hier im Raum Berlin, etwa in Döberitz, wo im Umfeld des großen Truppenübungsplatzes Luftwaffenverbände stationiert waren. Ein anderer Ort, der stark mit der Legion Condor und Spanien zusammenhängt ist Wunsdorf bei Hannover, ein Fliegerhorst, wo die Transportverbände oftmals nach Spanien verlegt worden sind. Aber auch mit Teilen der Handels- und Kriegsmarine wird das bewerkstelligt."

Mitte November 1936 treffen die ersten Kontingente der Legion Condor in Spanien ein. In der Luft wird General Sperrle, am Boden Oberstleutnant Wilhelm Ritter von Thoma. kommandieren. Über das von der Luftwaffe mitgeführte Material ist bei Antony Beevor zu lesen:

Vier Staffeln zu je zwölf Heinkel He-51-Doppeldecker, vier Staffeln von ebenfalls je zwölf Junkers Ju-52-Bomber. Später kamen auch noch andere Flugzeuge zum Einsatz; tatsächlich wurden alle wichtigen Flugzeugtypen, die die Luftwaffe am Beginn des Zweiten Weltkrieges einsetzte, in Spanien erprobt.

Schmidt: "Die wussten natürlich, dass es nach Spanien ging und dass es auch geheim war, denn sie mussten aus der Wehrmacht ausscheiden, sie konnten ihren Familienangehörigen nur mitteilen, dass sie für eine gewisse Zeit jetzt weg müssten, wohin, durfte so nicht gesagt werden, und es wurde eine Tarnorganisation für den Postverkehr, Geldverkehr hier in Deutschland eingerichtet. Also, sie wussten, dass es eine geheime Operation war."

Ein geheimnisumwittertes Unternehmen von der ersten Stunde an.

Bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen gibt der Angeklagte Göring den entscheidenden Beweggrund für die Teilnahme der "Legion Condor" am spanischen Bürgerkrieg zu Protokoll. Er bestätigt, dass es sich beim deutschen "Spanien–Engagement" nicht nur um das" Abwenden des drohenden Bolschewismus" handelte.

"Ich sandte mit Genehmigung des Führers einen großen Teil meiner Transportflotte und sandte eine Reihe von Erprobungskommandos meiner Jäger, Bomber und Flakgeschütze hinunter und hatte auf diese Weise Gelegenheit, im scharfen Schuss zu erproben, ob das Material zweckentsprechend entwickelt wurde."

"Wir jagten sie wie eine Herde
Und der Teufel, der lachte dazu,
Ha ha ha ha ha,
die Roten in spanischer Luft
und zur Erde,
wir ließen sie nirgends in Ruh…"

Der Parademarsch der Legion Condor. Er ist der Anfang vom "Mythos der Legion Condor". Im April 1937 kann man diesen Fliegerhymnus gelegentlich auch in den Straßen von Burgos und Vitoria hören, den Standorten der Staffeln von Oberstleutnant von Richthofen. Am 26. April erhält er vom spanischen Oberkommando in Salamanca die Order: Flugeinsätze im Norden!

Das heißt unmissverständlich: Baskenland und Guernica!

Die kleine baskische "7OOO-Seelen-Stadt" liegt am Ufer des Oca-Flusses, gut 30 Kilometer von Bilbao entfernt. Dort, hinter dem so genannten "Eisernen Ring", liegen zu dieser Zeit noch Teile republikanischer Verbände und Hunderte von Flüchtlingen.

So ist die nördlichste Zone der Republik das logische Ziel der Nationalisten.

Aber die Beziehung des Baskenlandes, das als einzige Region im Land noch den katholischen Ritus pflegen darf, zur Regierung in Madrid, ist von Misstrauen geprägt. Die Basken gelten als erzkatholisch. Und so sind hier die Massaker antiklerikaler, anarchistisch und ultralinks orientierter Truppen an Priestern, Nonnen und Gläubigen zu Beginn des Bürgerkrieges, wie im katalonischen Talavera oder im aragonischen Barbastro, in lebendiger Erinnerung. Die Forschung findet am Ende Beweise für die Ermordung von:

Elf Bischöfen, 7000 Welt- und Ordenspriestern, Nonnen und Seminaristen, die Zerstörung Hunderter Kirchen, Klöster und konfessioneller Schulen.

Der im Vatikan arbeitende Historiker Professor Pater Peter Gumpel hat im Zusammenhang mit dem Seligsprechungsprozess für den ermordeten baskischen Priester Ramiro de Maeztu einen bemerkenswerten Umstand entdeckt:

"Sie haben sogar den merkwürdigen Fall, dass katholische Priester nicht nur die Leute angeleitet haben, gegen Franco zu kämpfen, sondern zum Teil sogar mit Maschinengewehren und anderem an den Kämpfen teilgenommen haben. Ich habe diesen Fall untersuchen müssen, weil ich als Untersuchungsrichter beauftragt war mich zu befassen mit dem Fall eines Bischofs im Baskenland, der alles versucht hat, um das Todesurteil einer Anzahl von Priestern zu verhindern. Das ist ihm auch gelungen. Aber Tatsache ist und bleibt, dass die Basken, die sich katholisch nannten, gemeinsame Sache gemacht haben gegen Franco. Für die stand scheinbar die baskische Nationalität über der Tatsache ihres katholischen Glaubens."

Die Forderung der Basken war und ist: Territoriale und politische Autonomie. Die republikanische Regierung in Madrid hatte ihnen 1936 eine Teilautonomie garantiert.

In den letzten Apriltagen warten Teile der Internationalen Brigaden in und um Guernica auf Befehle.

1974 haben die englischen Journalisten Gordon Thomas und Max Morgan Witts über zwei Jahre, ankämpfend gegen eine Wand des Schweigens, der Angst, Drohung und Resignation Opfer und Täter befragt. In ihrem Buch "Der Tag, an dem Guernica starb" schreiben sie:

"Auf den Flugplätzen von Burgos und Vitoria stand eine Streitmacht von insgesamt 41 Flugzeugen. – Bombern und Jägern – bereit. Die Last sämtlicher Bomben, welche all die Maschinen geladen hatten, betrug immerhin rund 50.000 Kilo, was, wie später behauptet wurde, nur einem einzigen Zweck dienen sollte: der Zerstörung einer Steinbrücke, die rund 25 Meter lang und zehn Meter breit war."

Von Richthofens Adjutant Leutnant Hans Asmus gibt den britischen Journalisten über den 26. April zu Protokoll:

"Nach der Karte begann ungefähr 300 Meter westlich von der Brücke Guernica. Aber wir waren im Krieg, und es gab niemanden, der sagte: Augenblick, in der Nähe der Brücke befindet sich eine Stadt. Es war einfach so, dass das in unseren Überlegungen keine Rolle spielte. Die Renteria-Brücke sei als Hauptangriffsziel und die zu ihr führenden Straßen als Nebenangriffsziel gewählt worden, weil es auf diesen einen Punkt angekommen sei – sie für den Feind möglichst unpassierbar zu machen."

Der amerikanische Journalist und Augenzeuge Mark Kulansky schreibt in seinem Artikel:

"Eine einzelne Heinkel 111, ein neuer Bomber, den die Deutschen unter den Gesichtspunkten Geschwindigkeit und Nutzlast entwickelt hatten, flog in geringer Höhe vom Gebirge heran … Dann folgte eine Art von tödlicher Luftfahrtschau, bei der alles vorgeführt wurde, was im deutschen und italienischen Kriegsflugzeugbau neu war."

Gegen die von Richthofen angegebene Abwurfhöhe bringt kein Staffelführer Einwände vor. "Dabei hatten", wie einige von ihnen später Thomas und Morgan-Witt bestätigen,

"Dabei hatten die bisherigen Erfahrungen gezeigt, dass man bei Bombern vom Typ Ju 52 aus einer Höhe von 2000 Metern mit einem hohen Prozentsatz von Fehlwürfen rechnen musste, zumindest bei Zielen von so geringer Ausdehnung."

Im Tagebuch von Condor-Pilot Hauptmann Erhardt von Krafft steht der poetisch Satz:

"Aus einer derartigen Höhe fallen die leichten Bomben wie Herbstblätter ..."

Das erhärtet den Verdacht, dass man unabhängig vom offiziellen Befehl – Zerstörung der Brücke! – die breitflächige Bombardierung einkalkulierte. Noch nie hatte man vor Guernica die Auswirkungen eines Flächenbombardements beobachten können. Die Legion Condor machte es möglich und schrieb ein weiteres unrühmliches Kapitel Militärgeschichte.
Klaus A. Maier kommt in seiner Untersuchung zum Schluss:

"… dass der Angriff wohl primär der Brücke galt, aber die Bombardierung der Stadt nicht die Folge von Fehlabwürfen wegen schlechter Wetterverhältnisse gewesen sein kann."

26. April, 19.30 Uhr. Eine Heinkel 51 führt ihren letzten Angriffsflug über der Stadt durch und strebte zu ihrem Stützpunkt zurück. Nach dreieinhalb Stunden verkündet ein schwaches Glockengeläut das Ende des Bombardements von Guernica. Die Brücke, das Hauptziel des Angriffs, bleibt unversehrt.

Am Abend notiert Oberstleutnant von Richthofen:

"Verbände im allgemeinen Ruhe. Jäger und Heinkel 70 haben freie Jagd auf Straßen um Guernica. Brigaden drücken langsam, aber energisch auf Guernica und Durango. Beunruhigend die Nachricht, dass Guernica zu brennen scheint und der Verkehr – ziemlich stark – ostwärts Guernicas nach Südwesten geht. 1. Brigade hat also Hoffnung, Straßen dort zu durchschneiden, nicht erfüllt. Da Guernica gesperrt zu sein scheint, wäre das die Voraussetzung zum Fangen der Roten gewesen, die nun also wieder herauskommen. Dass alle Bemühungen durch Schlappheit der Spanier immer wieder umsonst sind.
Der Operettenkrieg rundet sich … Nach Essen schöne Fahrt an die Küste … Abends Skat mit Sander und Jaenecke."

Aus militärhistorischer Sicht wird heute gesagt:

Schmidt: "An diesem Tag griffen als erste die Italiener an und haben versucht, augenscheinlich auch diese Brücke zu treffen. Danach kam die Legion Condor am späten Nachmittag, am frühen Abend, und über der Stadt herrschte bereits Qualm und Rauch. Die deutschen Bomber haben in diesem Qualm, man muss schon sagen, bedenkenlos ihre Bombenlast abgeworfen."

Dienstag, der 27. April 1937. Auf Guernica fällt ein leichter Regen. Das 1000-jährige schöne, ehrwürdige Guernica ist zu 70 Prozent zerstört, ist nur noch eine hässliche, traurige Fratze. Man zählt mehrere Hundert Tote. Das Leben nimmt seinen Lauf. Wer republikanisch ist, zieht mit den Resten der Brigaden weiter. Wer Tote hat, begräbt sie. Pater Jose de Iturran von Santa Maria zieht einen Zaun um seine zerbombte Kirche. Die Kinder sollen nicht darin spielen. Man hört Stunde für Stunde sein Glöckchen, wenn er schweigend hinter einem Sarg geht. Nach sieben Jahrzehnten sind sich die Historiker darin einige, dass die Stadt Guernica trotz der Verbindungswege, zweier kleiner Fabriken für Heerespistolen und einer Kaserne, militärisch verhältnismäßig uninteressant war. Bleibt also die Frage: Warum und wofür wurde Guernica geopfert?

Zu den bemerkenswerten Publikationen der letzten Zeit zum "Spanischen Bürgerkrieg" zählt das Buch des deutsch-spanischen Historikers Carlos Collado Seidel. Er antwortet auf diese Frage:

"Sicher, wir haben es in der Gegend um Guernica/Durango mit dem Frontverlauf zu tun und der Schwächung der Moral der Basken oder der baskischen Einheiten im Hinterland. Hinzu kommt aber, dass Guernica ein für die Basken mythischer Ort ist. In Guernica stand die 'Eiche von Guernica'. An der Eiche von Guernica haben traditionell die Herrscher Spaniens die Wahrung der Rechte der Basken geschworen. In Guernica an der Eiche hat der erste Ministerpräsident des Baskenlandes, nachdem die Basken eine Autonomie-Regierung 1936 bekommen haben, dort einen Treue-Eid geschworen. Diese Stadt hat einen sehr hohen symbolischen Wert. Gleichzeitig aber hatte zweifellos die deutsche Militärführung in der taktischen Umsetzung der Angriffe einen großen Spielraum. Die Dimension der Angriffe scheint in der Tat sogar die spanische Führung beeindruckt zu haben; vor allem dann beeindruckt und erschreckt zu haben, als ein Aufschrei der Empörung durch die Weltöffentlichkeit ging, und vor allen Dingen die katholische Weltöffentlichkeit betroffen hat. Der Vatikan hat versucht, ist aber gescheitert, zu vermitteln, dass es zu einem paktierten Sonderfrieden kommt zwischen der baskischen Nationalregierung und den Einheiten Francos. Franco hat das nicht akzeptiert. Franco wollte auch das Baskenland überrollen und eine bedingungslose Kapitulation entgegennehmen."

Diese Aussage bestätigt, was der spätere Bürgermeister von Guernica Eduardo Vallejo sagte:

"Guernica wurde nicht berühmt, weil es bombardiert wurde, Guernica wurde bombardiert, weil es berühmt war."

Carlos und sein Schöpfer Kesten wissen nicht, dass nur wenige Metro-Stationen weiter, in der Rue des Grands-Augustins, ein Künstler mit seinen Mitteln das "Sterben Guernicas" für alle Zeit dokumentieren wird: Es ist der Spanier, der Emigrant Pablo Picasso! Schon im Januar 1937 hatte er von der republikanischen Regierung den Auftrag zu einem Wandgemälde für den spanischen Pavillon bei der Weltausstellung in Paris erhalten. Bis zum 27. April war er noch mit Skizzen dazu befasst. Sie wurden hinfällig. Er begann "Guernica" zu malen. Bis heute hält Picassos Bild die Erinnerung an Guernicas Sterben wach. Keiner bleibt unberührt von diesem in weiß und in dunklen Farben gehaltenen Bild des Infernos.

Denken wir noch einmal an Kestens Carlos Espinosa. Der Junge könnte mit Picasso vor dem Bild gestanden haben. Er könnte gespürt haben, dass diese stummen Schreie, dieses machtvolle, doch aber vergebliche Aufbäumen gegen den Tod, das Gefühl ohnmächtigen Preisgegebenseins genau das ist, was er empfand, doch nie wird ausdrücken können. Er könnte neben dem "Warum" auch nach den "Schicksalen der Täter" gefragt haben.

Am 1. April 1939 verkündet der Caudillo Franco das Ende des Krieges. Die Legion Condor war bis zum Ende dabei, flog in allen entscheidenden Schlachten Einsätze. In Leon wird sie von Franco mit einer Parade verabschiedet. An Bord eines Dampfers der "Kraft-durch-Freude-Flotte" nehmen die deutschen Verbände Kurs auf Hamburg. Die Mission ist erfüllt. Über die Bilanz schreibt Antony Beevor:

"Die Legion Condor hielt in ihren Berichten die Wirkung der neuen Waffensysteme bis ins kleinste Detail fest. Die psychologisch wohl wichtigste Waffe, die von der Legion Condor in Spanien getestet wurde, war der Sturzkampfbomber Junker 87, kurz 'Stuka' genannt. Am Boden machten die Deutschen wichtige Erfahrungen, die ihnen in den folgenden Jahren sehr von Nutzen waren."

Der Führer und sein Reichsluftmarschall waren zufrieden. Der Export von 21 Millionen Tonnen Bomben, 100.000Tonnen Militärgerät, Transport-, Kampf-, Jagdflieger, Flak-, Panzer-, Panzerabwehr-, Aufklärer-, Nachrichten- und Transporttruppen – Gesamtwert 500 Millionen Reichmark - hatte sich gelohnt. Der ständige Personalbestand der Legion Condor betrug 5000 bis 6000 Mann. Durch das Rotationsverfahren beteiligten sich im Spanischen Bürgerkrieg ca. 20.000 deutsche Soldaten an Kampfhandlungen.

Nun dürfen sich die tapferen Legionäre mit dem eigens für sie kreierten "Legion Condor Orden" schmücken. Berlin-Zehlendorf erhält ihnen zu Ehren eine "Spanische Allee". Erst sechs Jahrzehnte später ist man soweit, ihr einen "Guernica-Platz" gegenüber zu stellen und um Vergebung und Versöhnung zu bitten.

Am 6. Juni 1939 jedoch spricht am Lustgarten der Führer seinen Fliegerhelden von Guernica den Dank des Volks aus. Wolfram von Richthofen, inzwischen zum General, später zum Generalfeldmarschall avanciert, weiß seinem Oberbefehlshaber gebührend zu antworten:

"Was haben wir denn groß getan? Wir haben unsere Pflicht erfüllt, wie es alle deutschen Soldaten tun, wenn der Führer ruft, wie es alle deutschen Volksgenossen, wie sie alle tun und tun werden."

Carlos: "Da liefen sie von Schlachtplatz zu Schlachtplatz. Weiber, die retteten Kochtöpfe, Männer, die retteten einen alten Mantel. Da stürzt sein Haus über ihn und den Mantel. Da retteten Mütter tote Säuglinge. Mit Gewalt riss man ihnen die toten Kinder von der Brust …"

Von Richthofen: "Was haben wir denn groß getan? Wir haben unsere Pflicht erfüllt …"

In die Pflicht genommen fühlen sich nun auch einige Dichter als willfährige Propagandisten. Die Glorifizierung der Flieger von Guernica, Valencia, Bilbao, Durango, Brunete, Barcelona, Madrid und vom Ebro war Staatsauftrag. Keine Zeitung , die nicht mit Legionärserinnerungen aufwartet. Allen voran "Der Adler", das Luftwaffen-Magazin. Autoren wie Wulf Bley – "Das Buch der Spanienflieger" -, Alfred. Lent – "Wir kämpften für Spanien" – oder Görings Hauschronist Werner Beumelburg singen in Romanen und Erzählungen das Hohelied vom Heldenmut, von soldatischer Pflichterfüllung und unerschrockenem Kampfgeist. Die Legion Condor wird zum Mythos stilisiert. Die tollkühnen Flieger sollen die Jugend auf die große Bewährung vorbereiten.

Die lässt nicht lange auf sich warten. Zwei Monate nach dem Triumphzug der Legion ruft Hitler die Jugend zum Waffengang. Der Zweite Weltkrieg beginnt. Spanien hält sich offiziell heraus.

Die meisten Angehörigen der Legion Condor fallen im Krieg. General von Richthofen verliert 1945 seinen letzten Kampf gegen den Krebs. Generalfeldmarschall Hugo Sperrle verlässt den Nürnberger Prozess als freier Mann; er stirbt in München als Pensionär. Viele Deutsche, die in Spanien, ob nun links oder rechts gekämpft, verabschieden sich von ihren Idealen. Manch einer – Legionär oder Brigadist -, der im Westen die Entnazifizierung, im Osten die Folterkeller und Lager des KGB überstand, machte in den Armeen, in der Politik beider deutscher Staaten Karriere. Sie werden Generäle und bis in die 90er Jahre, wie "Legion–Condor–Flieger" Werner Mölders Namenspatrone für Kasernen, Zerstörer, Jagdgeschwader oder Minister für Staatssicherheit wie "KGB- Kommissar" Erich Mielke.

Der Stern der heldenhaften Legion verblasst nach 1945. Noch einmal aber flackert er auf, als der Rest der Truppe 1954 vor dem Bundestag um die Anerkennung ihrer Spanienzeit bei der Rentenberechnung streitet. Bundesinnenminister Schröder, CDU, akzeptiert die Forderung aus "formalrechtlichen Gründen" und fügt hinzu:

"Ich möchte aber für meinen Teil hinzufügen, dass ich sage, ich halte es nicht für richtig, dass wir die politischen Fehlentscheidungen der Großen mit den Knochen der Kleinen bezahlen lassen."

Aber genau das geschah in Guernica.

Guernica ist aus dem "kollektiven Gedächtnis" der Völker nicht zu löschen. Mit einer Kopie seines Bildes mahnt Picasso täglich die Mitglieder der Vereinten Nationen. Guernica lastet auf Deutschland bis in unsere Tage wie ein Stigma. Guernica ein militärisches Versehen, ein Terrorangriff, ein Kriegsverbrechen?

Jüngere baskische Historiker vertreten die These, dass Guernica ein Terrorangriff gewesen sei, der den Sturm auf Bilbao psychologisch vorbereiten sollte.

Bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen wurde der "Fall Guernica" nicht weiter vertieft, obwohl der frühere baskische Justizminister Jesus Leizaola forderte, Guernica zu einem Punkt der Anklage zu machen. Auf der Seite der Ankläger gab es Bedenken. Man vermutete unangenehme Fragen. Carlos Espinosa hätte man nicht angehört.