Titelverzicht Blomes ist "Baldrianpille"

Kai-Hinrich Renner im Gespräch mit Ulrike Timm · 28.08.2013
Als "bloße Kosmetik" bewertet Kai-Hinrich Renner, dass Nikolaus Blome beim Magazin "Spiegel" auf den Titel stellvertretender Chefredakteur verzichten soll. Die Ressortleiter seien in der Tat sehr aufgebracht, weil ihr Veto gegen den "Bild"-Mann nicht greift, so der Medienjournalist.
Ulrike Timm: Man wäre da schon gern mal Mäuschen am Tisch, müsste sich aber warm anziehen, denn die Stimmung, die soll eisig sein beim Wochenmagazin "Spiegel". Die Mitarbeiter KG ist heute zu einer Informationsveranstaltung gerufen, und jeder weiß: Das bedeutet Krach. Grund des Wirbels: Sämtliche Ressortleiter des "Spiegels" haben sich dagegen ausgesprochen, dass der neue Chefredakteur Wolfgang Büchner Nikolaus Blome, bislang "Bild"-Zeitung, zu seinem Stellvertreter macht. Ist das ein Glaubenskrieg "Bild" gegen "Spiegel", oder nur noch eine Posse? Ist dieser Wechsel tatsächlich relevant, auch für die Leser, oder reichlich hochjazzt?

Wir reden darüber mit dem Medienjournalisten Kai-Hinrich Renner vom "Hamburger Abendblatt". Also aus alten Zeiten wieder aufgeflammte Grabenkämpfe auch gleich gesagt, aus "Spiegel"-Sicht, aus dem anderen Lager kommend, nämlich von Springer. Herr Renner, ich grüße Sie!

Kai-Hinrich Renner: Ja, hallo!

Timm: Ein klein bisschen ist ja herausgedrungen: Blome kommt, aber ohne den Titel "stellvertretender Chefredakteur". Was sagt uns das? Bloße Kosmetik?

Renner: Ja, das ist bloße Kosmetik. Als stellvertretender Chefredakteur, so viel stand auch vorher schon fest, hätte er eigentlich auch keine Befugnisse gehabt. Das heißt, eigentlich hat man ihn geholt, um das Berliner Hauptstadtbüro des "Spiegel" auf Vordermann zu bringen. Blome ist im politischen Berlin bestens vernetzt. Das ist seine eigentliche Aufgabe. Er hatte offenbar auf den Titel "stellvertretender Chefredakteur" gedrungen, weil er das bereits bei "Bild" ist. Dem ist Büchner entgegengekommen, allerdings ohne ihm die Befugnisse zu geben, die ein stellvertretender Chefredakteur hat. Er ist also nicht weisungsbefugt den übrigen "Spiegel"-Mitarbeitern gegenüber, die halt eben nicht in Berlin sitzen.

Timm: Aber niemand wechselt den Job, um beim neuen Job nichts zu machen, mit Titel oder ohne. Ist das nicht eine Baldrianpille für die Ressortleiter, die im Aufstand sind?

Renner: Das sehen Sie ganz richtig. Es ist eine Baldrianpille. Ob die Wirkung haben wird, wage ich zu bezweifeln, weil die Ressortleiter sind in der Tat sehr aufgebracht. Die haben jetzt halt eben auch gemerkt, dass diese Bezeichnung "Mitglied der Chefredaktion", ja, im Prinzip gehupft wie gesprungen ist. Ob er sich nun Stellvertreter des Chefredakteurs nennt und nichts zu sagen hat oder als Mitglied der Chefredaktion nichts zu sagen hat, das ist egal. Es geht hier offenbar um diesen Titel, und da befürchten die Ressortleiter, dass irgendwie so hinten rum er dann vielleicht doch ein klein bisschen mehr Einfluss hat als sie selber.

Timm: Es heißt derzeit, die Ressortleiter beim "Spiegel" würden eine echte Front bilden, sie fürchten um Image, um Ausrichtung, wenn mit Blome ein "Bild"-Mann zum Spiegel kommt. Bei Orchestern, Herr Renner, gibt es die Weisheit: Kein Dirigent kann auf Dauer gegen seine Musiker gewinnen und Erfolg haben, wenn man die gegen sich hat. Gilt diese Situation eigentlich auch für eine Zeitung oder beruhigt sich das wieder?

Renner: Ja, das wird sehr davon abhängen, wie Büchner mit der Situation jetzt umgeht. Also nach allem, was man hört, was aus dem "Spiegel" dringt, hat die Mitarbeiter KG diesem Kompromissvorschlag bereits zugestimmt, also Blome kommt als Mitglied der Chefredaktion. Es ist damit zu rechnen, dass die Ressortleiter sehr erbost sind. Es kann aber durchaus sein, dass sich das irgendwann mal wieder legt. Man muss darauf achten, wie Büchner damit umgeht. Es gab schon mal eine vergleichbare Situation in der "Spiegel"-Geschichte, das war Ende 1994, als Rudolf Augstein gegen den Willen der Mitarbeiter KG und gegen den Willen fast aller Redakteure und Ressortleiter Stefan Aust als Chefredakteur durchgedrückt hat. Das ging dann ja mehrere Jahre auch gut. Also das muss jetzt nicht heißen – auch wenn viele Ressortleiter jetzt das Gefühl haben, ihnen werde Blome aufoktroyiert –, dass das nicht funktioniert. Das muss es nicht heißen.

Timm: Nun wühlen wir da ein bisschen im Journalistensumpf und aalen uns im Internen. Ist es wirklich so eine Staatsaffäre, wenn man von der Zeitung mit den großen Buchstaben zum "Spiegel" kommt?

Renner: Für einige ist es das nach wie vor, weil historisch trennen beide Blätter ja Welten. Der Streit ist zuletzt ja auch wieder aufgeflammt, denken Sie an den Brandstifter-Titel, den der "Spiegel" vor zwei Jahren auf dem Titel hatte, da ging es um die "Bild"-Zeitung, die halt eben dort praktisch etikettiert wurde als eine rechtspopulistische Partei. Umgekehrt hat "Bild" immer wieder gegen den "Spiegel" gestichelt, zuletzt mit einer Geschichte über einen ehemaligen "Spiegel Online"-Mitarbeiter, der seit 20 Monaten in einem islamischen Land in Geiselhaft ist. Dass das so ist, haben viele gewusst, haben aber halt eben, um diesen Mann nicht zu gefährden, darüber gar nicht berichtet. Und "Bild" hat unappetitlicherweise das Ganze noch mit einer Kritik an den NSA-Geschichten des "Spiegel" verknüpft – kurzum, da gibt es immer noch einen Kulturunterschied. Dennoch, eines ist anders als früher: Es ist so, dass ja praktisch der Arbeitsmarkt durchlässig ist. Früher gab es das ganz, ganz selten, dass jemand von Springer oder gar von "Bild" zum "Spiegel" oder zurückgewechselt ist, das ist heute eigentlich relativ normal. Was noch nicht so etabliert ist, dass hat einer von einer Chefredaktion in die andere wechselt, das ist in der Tat was Neues.

Timm: Nun haben Sie die Grabenkämpfe, zum Beispiel aus den 70ern angesprochen, als man mit einer tendenziell linken Meinung nie, nie, nie zu "Welt" oder "Bild" ging, und mit einer tendenziell konservativen Meinung nie, nie, nie zu "Taz" oder "Zeit". Hat das nur mit Arbeit zu tun, dass man das heute macht, oder ist einfach die Zeit von auch plumpen Grabenkämpfen einfach überwunden? ist die Meinungsvielfalt in einer Redaktion vielleicht heute auch größer?

Renner: Ich denke, diese Polarisierung, die es früher gegeben hat so, das waren ja auch die Zeiten des Kalten Krieges, die gibt es so nicht mehr. Da hat sich vieles normalisiert. Und dieses Argument, dass man heute in einem sehr viel enger gewordenen journalistischen Arbeitsmarkt es auch schwieriger hat, ein Blatt zu finden, das die eigene politische Meinung zu 100 Prozent spiegelt, und dann ist da auch noch zufälligerweise ein Arbeitsplatz frei, das ist natürlich auch ein ganz wichtiges Argument. Also von daher verläuft die Karriere von Journalisten heute nicht mehr so, wenn man halt eben linksliberal eingestellt ist, dass man nur für "TAZ" oder – na "FR" gibt es ja kaum mehr – arbeiten kann. Sondern da kann man auch vielleicht mal zu Springer gehen, vielleicht nicht eben sein ganzes Berufsleben lang, aber diese klaren, politisch ungebrochenen Karrierewege gibt es längst nicht mehr.

Timm: Sie selber sind auch gerade auf dem Sprung, stehen vor dem Wechsel zum "Handelsblatt". Wenn diese Grabenkämpfe heute so sehr nicht mehr gelten, dann führt man doch beim "Spiegel" letztlich eine Dinosaurierdebatte.

Renner: Ja und nein. Beim "Spiegel" geht es jetzt auch um mehr als die politische Ausrichtung. Das ist ein Punkt, der übrigens auch nicht zu unterschätzen ist. Also, auch wenn wir jetzt eben festgestellt haben, dass es diese starken Polarisierungen nicht mal mehr gibt. Bei der Leserschaft gibt es die zum Teil nach wie vor. Denn wir dürfen nicht vergessen, Leute, die heute Printmedien lesen, sind meistens etwas älter und tragen diese alten Bilder natürlich immer noch mit sich rum. Es geht aber natürlich auch um mehr, da haben Sie völlig recht, weil der neue Chefredakteur Büchner ist ja auch angetreten, um den "Spiegel" von Grund auf aufzumischen, sprich um ihn für die digitale Zukunft fit zu machen. Und da wird eines der ersten großen Projekte sein, "Spiegel" und "Spiegel online" auf irgendeine Art und Weise miteinander zu verschmelzen. Das sind ja bisher zwei Veranstaltungen, die komplett getrennt nebeneinander herlaufen.

Timm: Das sind natürlich organisatorische Aufgaben und nicht Meinungsbildungsaufgaben.

Renner: Das ist viel mehr, ja, das ist aber viel mehr als Organisatorisch, da geht es um Pfründe. Der "Spiegel" gehörte ja bekanntlich zur über der Hälfte, genau zu 50,5 Prozent, den Mitarbeitern. Diese Mitarbeiter bekommen recht stattliche Gewinnausschüttungen einmal im Jahr. Und ihrer Gesellschaft, also dem Spiegel-Verlag, der hält sich eine Tochter, die heißt "Spiegel online". Die Mitarbeiter von "Spiegel online" verdienen erst mal viel weniger als die "Spiegel"-Mitarbeiter, und sie sind nicht Mitglieder der Mitarbeiter-KG, also keine stillen Gesellschafter dort. Und sie bekommen auch keine Gewinnausschüttung. Wenn sie jetzt beides irgendwie zusammenführen, dann muss höchstwahrscheinlich die eine Seite, also die Spiegelmitarbeiter, etwas abgeben. Das ist natürlich auch ein ganz wichtiger Punkt, um den es hier geht, den man dann nicht vernachlässigen darf.

Timm: Herr Renner, Sie sind Medienjournalist. Wie wichtig ist der Hausfrieden bei einer Zeitung, oder jetzt beim Spiegel, wie wichtig ist der Hausfrieden eigentlich für die Leser?

Renner: Eigentlich nicht so wichtig, es wird, glaube ich, auch überschätzt. Ich finde es ja klasse, wenn es Redaktionen gibt, in denen um Dinge gestritten wird. Und man muss auch sagen, der Spiegel hat wirklich auch schon turbulente Phasen erlebt – diese hier zählt zu den turbulentesten. Aber ich glaube, die Zeit rund um die Amtseinführung von Stefan Aust war nicht weniger turbulent. Und das kann ja durchaus auch mal befruchtend sein, indem man mal etwas macht, was völlig anders ist als bisher. Vielleicht muss sich jetzt einiges irgendwie klar rütteln, muss man mal abwarten. Also ich finde das erst mal, ist das keine Bedrohung, das heißt jetzt nicht, dass das Blatt schlechter wird. Das heißt jetzt nicht, dass irgendwie möglicherweise, weil die nur noch streiten, auch eine Ausgabe ausfällt, das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, dazu sind die Kollegen vom Spiegel auch viel zu professionell.

Timm: Sie sind beim "Abendblatt", Sie gehen zum "Handelsblatt", und Sie sind, glaube ich, doch ein sehr, sehr unabhängiger Kopf als Medienjournalist. Schauen Sie da mit Spannung drauf, frei nach dem Motto, da kommt noch was nach, oder auch mit einem Schuss Häme. Gucken zu, wie sich da ein Blatt auch selber demontiert?

Renner: Nein, zu Häme gibt es ja überhaupt gar keinen Grund, weil, wenn Sie sehen, wenn Sie die Genese sehen, wie das alles entstanden ist. Das ist ja entstanden aus Problemen, die wir alle haben, egal, wo wir arbeiten. Wir alle als Printjournalisten haben das Problem, dass unsere Häuser irgendwann mal die Transformation ins digitale Zeitalter schaffen müssen. Die Vorgänger von Herrn Büchner sind abgesetzt worden, weil sie sich nicht einigen konnten. Sie konnten sich nicht einigen auf den Weg, wie das der "Spiegel" schaffen soll. Deswegen wurde Herr Büchner geholt. Bei uns, beim "Abendblatt", sind wir auch dabei, uns halbwegs vernünftig digital aufzustellen. Beim "Handelsblatt", wo ich hingehen werde, ist das ein riesengroßes Thema, also da gibt es überhaupt gar keinen Grund zur Häme, weil wir haben alle die gleichen Probleme.

Timm: Der "Spiegel" arbeitet sich an einer Personalie ab, und das schlägt hohe Wellen. In der "Ortszeit" erfahren Sie noch mehr zur heutigen Gesellschafterversammlung beim "Spiegel". Ich sprach eben mit Kai-Hinrich Renner, dem Medienjournalisten, derzeit gerade noch beim "Hamburger Abendblatt". Ich danke Ihnen fürs Gespräch!

Renner: Danke Ihnen!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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