Tim Parks: "Bin ich mein Gehirn?"

Nicht nur die Neuronen zählen

06:42 Minuten
Zu sehen ist das Buchcover von Tim Parks "Bin ich mein Gehirn?" vor einem orangefarbenen Hintergrund.
Tim Parks beleuchtet die Leerstellen, die der wissenschaftliche Jargon in vielen Bücher zum Gehirn übertüncht, meint unser Rezensent. © Kunstmann Verlag
Von Volkart Wildermuth  · 03.03.2021
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Was macht das menschliche Bewusstsein aus? Tim Parks spricht darüber mit Philosophen und Neurowissenschaftlern. Der Schriftsteller erzählt immer wieder von den eigenen Erfahrung – amüsant und erkenntnisreich.
Ein Apfel ist für Tim Parks rot und irgendwie "apfelig". Die Physik hingegen sagt, da sind nur Elementarteilchen und Wellen. Und Neurowissenschaftler postulieren, das Rot ist eine Illusion, erzeugt vom Gehirn.
Eine Illusion, die sich Tim Parks nicht so einfach nehmen lassen will. Der Schriftsteller diskutiert mit Hirnforschern und protestiert dagegen, Erfahrung einfach in Daten aufzulösen.

Rohdaten für die Erforschung des Bewusstseins

"Bin ich mein Gehirn?" beginnt mit einer Abschweifung. Über viele Seiten berichtet Tim Parks, wie er in einem Hotelzimmer aufwacht, was er sieht, empfindet und denkt. Nicht besonders spannend, aber dafür genau protokolliert.
Im Grunde sind es Rohdaten für die Erforschung des Bewusstseins. Denn leider, so die Kritik des Autors, interessiere sich die Naturwissenschaft nur am Rande für das konkrete Erleben.
Wie sehr, erfährt Tim Parks im Gespräch mit einer Entwicklungspsychologin, einem Psychiater und Philosophen und einer Hirnforscherin. Zu Wort kommt so auch Riccardo Manzotti, dessen Bewusstseinstheorie weit abseits des Mainstreams Tim Parks überhaupt auf das Thema aufmerksam gemacht hat.

Alles nur Nervenimpulse

Für die einen liegt das Erleben verschlüsselt in den Nervenimpulsen, für die anderen ist die Interaktion Gehirn-Welt entscheidend. Manzotti schließlich verortet es nicht im Gehirn, sondern im Objekt, um beim Beispiel Apfel zu bleiben: Der ist rot, und zwar genau für die Person, die ihn gerade jetzt anschaut.
Tim Parks hingegen findet viele Lücken in dieser Theorie – wo sind die Objekte der Traumerfahrung? – und setzt genau an diesen Lücken als Schriftsteller an. Er kontrastiert persönliche Erlebnisse und Empfindungen, schreibt über Depression, Meditation, wie auch über seine jüngere Partnerin und seine Sicht auf wissenschaftliche Artikel.

Wovon genau reden Forscher?

Artikel, in denen die Rede davon ist, dass Nerven und Hirnregionen Informationen austauschen. Was ist damit gemeint, fragt Parks? Das Neuron "weiß" nicht, dass es gerade auf eine Beethoven Symphonie reagiert. Die gleichen Impulse könnten an anderer Stelle etwas mit einem Tritt zu tun haben oder einem Traum. Auch der Begriff "Information" passe hier nicht, genau wie viele andere Begriffe.
Parks ist überrascht, "wie konfus eine Gruppe von Wissenschaftler sich ausdrücken kann, wenn es um Vorstellungen zum Thema Bewusstsein geht". Trotzdem ist Hirnforschung populär, hat ja auch unbestreitbar Erfolge, und im Grunde gefällt es vielen, dass sie sich am Geheimnis um das Bewusstsein die Zähne ausbeißen.
Parks Buch erklärt nicht, wie Bewusstsein tatsächlich entsteht und welche Rolle dabei dieses graue Organ im Kopfe spielt. Aber der Schriftsteller beleuchtet die Leerstellen, die der wissenschaftliche Jargon vieler anderer Bücher zum Gehirn übertüncht, hilft ungemein beim Hinterfragen all der großen Theorien, die versuchen, die eigenen Erfahrungen wegzurationalisieren.
"Was das Thema Bewusstsein angeht, ist jeder Einzelne von uns eine Fundgrube von Indizien, die wesentlich mehr hergibt als alles, was der Neurowissenschaft im Labor zur Verfügung steht", schließt Tim Parks. Eine klare Leseempfehlung, gerade auch für Hirnforscher.

Tim Parks: "Bin ich mein Gehirn? Dem Bewusstsein auf der Spur"
Aus dem Englischen von Ulrike Becker
Antje Kunstmann, München 2021
304 Seiten, 25 Euro

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