TikTok als Theater

Bühnen verschlafen die Digitalisierung

11:00 Minuten
Eine Frau seht mit zur Seite ausgestreckten Armen und einem offenen Mund vor der Smartphone-Kamera.
Während Ältere ins Theater gingen, würden junge Menschen theatrale Performances bei Tiktok erleben, sagt Bühnenautor Konstantin Küspert. © unsplash / Amanda Vick
Konstantin Küspert im Gespräch mit André Mumot · 27.06.2020
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Die Theaterszene ist nicht technik- und digitalisierungsfreundlich, sagt der Autor und Dramaturg Konstantin Küspert. Er wünscht sich die digitale Aufrüstung der deutschsprachigen Theater und schwärmt von der Videoplattform TikTok als theatralem Raum.
Die Coronazeit hat die deutschsprachigen Theater in Sinnkrisen und Existenzängste gestürzt, aber auch erfinderisch und kämpferisch gemacht. Es wird wieder gespielt, die analogen Bühnen stückweise zurückerobert – unter strengen Hygieneregeln. Zugleich ist das Internet als neuer Spiel- und Bühnenplatz entdeckt worden. Die Social-Media-Plattform TikTok zum Beispiel. Da wird nicht nur Trump theatral parodiert, es werden auch ganz neue andere Ideen möglich gemacht.
Ein Fan davon ist auch Konstantin Küspert – Autor und Dramaturg. Er schreibt gesellschaftskritische Theaterstücke, unter anderem "Die Reichsbürger", gerade hat er an den Corona-Monologen mitgearbeitet, einem virtuellen Writer‘s Room der Autorin Anna Rabe, zusammen mit fünf anderen Dramatikerinnen und Dramatikern.
Auf Twitter hat er sich kürzlich folgendermaßen über TikTok geäußert: "Können wir auch mal darüber reden, dass mit TikTok ein genuin theatrales Social Media riesig groß wird? Die Kids klauen uns das alles, weil wir pennen – und mit wir meine ich die Häuser."

Kampf um WLAN auf Probebühne

Tatsächlich sieht Küspert große Defizite an den Bühnen: "Die Theaterszene ist leider nicht besonders technikfreundlich oder auch digitalisierungsfreundlich." Und er stellt fest: "Wir nutzen Social Media am Theater für gewerbliche Zwecke, wir machen Instagram-Stories, wir machen Facebook-Posts – aber das wirklich schöpferisch zu benutzen, als eine neue Kunstform, diese Vorgänge sind ganz am Anfang und werden mit großem Misstrauen betrachtet aus den Häusern heraus."
Er habe genug eigene Erfahrungen damit bei verschiedensten Produktionen gemacht, berichtet er: "Es ist immer ein Kampf gewesen beispielsweise, etwas so Grundständiges wie WLAN auf den Probebühnen zu haben oder auf der tatsächlichen Bühne."
Dabei gebe es durchaus eigene Technikbereiche an den Theatern. "Die IT-Abteilungen sind zwar häufig sehr gut", räumt Küspert ein, "aber sie sind nicht dafür da, schöpferisch tätig zu werden, sondern sie sind dafür da, vereinfacht gesagt, dass die Personalabteilung einen funktionierenden Drucker hat. Das ist schade, da wird was verpasst, auch Manpower nicht genutzt."

Digitalität bleibt außen vor

Aber es geht dem Autor auch darum, die ästhetischen Herausforderungen anzugehen und den theatralen Begriff zu erweitern: "Wir haben in den letzten Jahren unter dem starken Produktionsdruck, unter dem die Stadt- und Staatstheater in Deutschland stehen, angefangen, ganz massiv fremde Texte zu benutzen. Wir haben Filme dramatisiert, wir haben Romane dramatisiert, was ich jetzt als Theaterschriftsteller natürlich nur sehr bedingt gut finde, weil ich das Gefühl habe, wir können im dramatischen Schreiben genug schaffen."
Die Konsequenz daraus? "Wir wildern in allen Bereichen, in allen Kunstformen, aber lassen die Digitalität weitgehend außen vor. Das ist meines Erachtens fahrlässig."
An TikTok reizt Küspert auch das niedrigschwellige Spiel mit den Darstellungsformen: "Für die allermeisten Menschen der Stadtbevölkerung sind Theater etwas, das ihnen nicht passiert, sondern etwas, das drei Stunden offen hat und wo die Eltern reingehen oder wo man mal von der Schule reingezwungen wird. Aber die Leute, die jetzt auf TikTok aktiv sind, das sind Menschen mit allen möglichen Hintergründen, die ganze Diversität unserer Gesellschaft wird da abgebildet. Und diese Leute gehen sonst nicht oder kaum ins Theater. Und hier erleben sie theatrale Mittel, theatrale Performances, was eigentlich unsere Kernkompetenz sein sollte."
Für Konstantin Küspert haben die Bühnen damit einen klaren Auftrag: "Wir müssen uns als komplette Szene massiv in diese Richtung bewegen, auch in Bezug auf unsere Daseinsberechtigung und Verantwortung als staatlich geförderter Kulturbetrieb, die auch in einer zweiten, dritten, vierten Coronawelle vorkommen wollen."
(amu)

Die New Yorker Stand-up-Comedienne Sarah Cooper produziert auf TikTok kurze Videos, in denen sie lippensynchron Worte von Donald Trump nachspielt – ein Millionenerfolg. Wie viel Theater in den Clips und damit dem Erfolg von Sarah Cooper steckt, hat sich unser Autor Matthias Dell angeschaut.

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