Tigran Hamasyan

Einfache Melodien, komplexe Rhythmen

Jerewan, im Hintergrund der Berg Ararat
Jerewan und der Berg Ararat: Der armenische Pianist Tigran Hamasyan pflegt die Klänge aus seiner Heimat © AFP / STEPHANE DE SAKUTIN
Von Johannes Kaiser · 02.03.2015
Der armenische Pianist Tigran Hamasyan schlägt eine Brücke zwischen der Volksmusik seiner Heimat und amerikanischem Jazz. Selbst Metal-Bands inspirieren ihn. Jetzt hat der Musiker sein sechstes Album veröffentlicht.
Tigran Hamasyan wurde 1987 in Armenien, geboren. Als 19-jähriger gewann er den renommierten Thelonious-Monk-Wettbewerb. Mittlerweile ist er 27 Jahre alt und hat sich darauf spezialisiert, die musikalische Tradition seiner armenischen Heimat mit dem amerikanischen Jazz zu verbinden.Tigran verfügt über eine atemberaubende Technik - und über die Fähigkeit, große Emotionen zu erzeugen. "Mockroot" heißt seine neue CD.
Musik
"Kars ist eine Stadt im westlichen Armenien. Sie liegt gute 35 Kilometer von dem Ort entfernt, an dem ich lebe und wo ich geboren wurde. Meine Großeltern sowohl mütterlicher- wie väterlicherseits stammen aus Kars bzw. seinen Vororten. Das sind meine Wurzeln. Darüber habe ich eine Menge Geschichten gehört und es gibt ein Volkslied über Kars. Es ist ein Liebeslied und gleichzeitig eine Tragödie. Ich habe mir also diese wunderbare Melodie genommen und sie neu arrangiert."
Und weil die Melodie dem 28jährigen armenischen Pianisten Tigran Hamasyan so gut gefallen hat, hat er sie gleich noch ein zweites Mal auf dem neuem Album aufgegriffen.
Musik
"Im Song Kars 1 so wie in Kars 2 sind das originale Tempo und die Melodie im Viervierteltakt. Ich habe dann den Backbeat auf der Basstrommel und dem Snarebecken in fünf Achtel transponiert. Das ist in der armenischen Volksmusik ganz üblich. Wenn ein Dorfbewohner ein Volkslied singt, dann beginnt er im Viervierteltakt und wechselt plötzlich je nach Stimmung zu einem fünf Achtel Rhythmus. Das sind magische Veränderungen, die sehr weit verbreitet und auch zu einem Bestandteil meines Spiels geworden sind. Das macht wirklich Spaß. Es ist eine unglaubliche Praxis, weil es ziemlich schwer ist, das durchzuführen. Ich habe keine Ahnung, wie diese Volksmusiker das schaffen, ohne darüber nachzudenken."
Aufgewachsen ist Tigran Hamasyan mit den Beatles und Led Zeppelin
Tigran Hamasyan, das merkt man gleich, denkt gründlich über Musik nach, hört genau hin und hat sich diesmal besonders stark von der Volksmusik seiner Heimat, der armenischen Volksmusik, inspirieren lassen. Das war nicht immer so, denn aufgewachsen ist er mit Rockmusik, denn sein Vater liebte die Beatles und Led Zeppelin, war ein Fan von Klassik-Rock. Hinzu kamen dann Heavy Metal und Jazzrock. Eine wilde Mischung – weit entfernt von Volksmusik und klassischer Musik. Da zu Hause ein Klavier stand, versuchte der junge Tigran die Melodien nach Gehör nachzuspielen. Mit elf bekam er dann einen Klavierlehrer, der ein Jazzfan war und dem Jungen Bebop beibrachte.
Vor allem das Improvisieren gefiel ihm. Die Eltern beschlossen angesichts der Musikbegeisterung ihres Sohnes, ihn auf eine Musikschule zu schicken. Dort lernte er erstmals das klassische Repertoire kennen.
"Die ersten drei Jahre hasste ich wie die meisten Kinder diese Musik. Ich fand sie langweilig. Ich durfte nicht machen, was ich wollte. Aber nach dem dritten Jahr fing es an, mir Spaß zu machen. Ich begann zu begreifen, wie es mir half und wie viel ich von ihr lernen konnte. Seitdem ist sie ein wichtiger Teil von mir. Heute höre ich die meiste Zeit Volksmusik oder klassische Musik. Die klassische Musik hat riesigen Einfluss auf mich und ist eine starke Inspiration."
Musik
Heavy Metal, Keith Jarrett, Verdi: Tigran Hamasyan hört alles
Die musikalische Bandbreite der Musik, die Tigran Hamasyan gerne hört und von der er sich zu eigenen Stücken anregen lässt, ist enorm: sie reicht von Heavy Metal über Keith Jarrett bis zu Ligetti, umfasst Volksmusik jeglicher Couleur, reicht zurück bis zu Monteverdi. Er lässt sich von all dieser Musik zu eigenen Ideen inspirieren:
"Ich bin ein Fan einiger Metal Bands. Mir gefallen die Intensität, der Klang, wie die Basstrommel benutzt wird und der Gitarrensound und ich versuche, das auf mein Klavierspiel zu übertragen, diesen Sound zu erzeugen. Ich nehme gerne verschiedene Klänge als Vorbilder, zum Beispiel klassische Gitarristen oder Flamenco-Gitarristen. Sie benutzen eine besondere Spieltechnik, viele sich wiederholende Noten sowie Arpeggios. Das ist absolut keine pianistische Spielweise. Ich versuche herauszufinden, wie man das auf dem Klavier spielen kann, denn es ist ein wunderbarer Klang. Ich liebe es zwar, andere Pianisten zu transkribieren, aber mir gefällt noch besser, einen John Coltrane Song zu transkribieren, 10 Minuten verrückte Soli, und auszuprobieren, wie es auf dem Klavier klingt."
Musik
Ideen für neue Stücke probiert Tigran Hamasyan normalerweise zuerst am Klavier aus. Falls er gerade unterwegs ist, singt er sich Einfälle für Melodien in seinen Smartphonerecorder oder schreibt sie ganz klassisch auf, um sie dann später am Klavier auszubauen, umzubauen, zu ergänzen. Manchmal geht das ganz schnell, manchmal braucht es Monate, bis eine Komposition ihre endgültige Form angenommen hat - und selbst dann ist sie nie in Stein gemeißelt, denn als Jazzmusiker ist er natürlich offen für Vorschläge seiner Mitspieler. Auch diesmal hat er ihnen seine Ideen für die zwölf neuen Songs zuerst als Demos zugeschickt, bevor sie sich zum ersten Mal trafen.
"Der größte Teil der Sachen ist tatsächlich ausgeschrieben, aber bestimmte Sachen sind verändert worden, als wir angefangen haben zu proben. Manches, was sich bei mir im Kopf großartig anhört, muss in der Realität geändert werden. Man muss etwas rausnehmen oder hinzufügen, um es zum Klingen zu bringen, um jenes Gefühl rüberzubringen, das man erreichen möchte."
Das neues Album betrachtet Tigran Hamasyan als sein bisher persönlichstes Werk
Tigran Hamasyan sieht das neue Album als sein bisher persönlichstes Werk an. Viele Songs erinnern an Erlebnisse in Armenien, wie zum Beispiel "The Apple Orchard in Saghmosavanc", in dem der Pianist einen Apfelhain zu Füssen eines alten Klosters aus dem 12. Jahrhundert musikalisch bewundert. Die armenische Volksmusik hat deutliche Spuren hinterlassen. Tigran Hamasyan hat sie zum Vorbild des eigenen Schaffens genommen.
"Ich habe begriffen, das mag sich sehr generell und sehr kitschig anhören, wie wichtig es ist, weniger Noten zu haben. Mir reichen im Prinzip zwei Noten in der Bass-Linie und zwei in der Hauptmelodie und dennoch kann ich damit viel mehr sagen, als wenn ich eine ganze Seite voller Noten schreibe. Ich erkunde, wie man wirklich komplizierte Sachen einfacher und zugänglicher machen kann. Für mich heißt komplizierte Musik zu spielen, dass sie grooven muss und ganz einfach ist, und ich habe das Gefühl, dieses Album versucht genau das zu entwickeln: diese Energie, Einfachheit und Kompliziertheit."
Für einen 28jährigen Musiker eine erstaunliche Erkenntnis. Sein neues Album zeigt allerdings, dass er auf diesem Weg schon ein gutes Stück vorangekommen ist. Seine Songs zeichnet tatsächlich diese raffinierte Mischung aus oftmals leicht eingängigen, einfachen Melodien und komplexen Rhythmen aus. "Mockroot" - ein Kunstwort aus Nachahmung und Wurzel - hat er sein Album genannt, eine treffende Bezeichnung für diese gelungene, sehr jazzige Einvernahme armenischer Volksmusik.
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