Tierkunde

Dummheit oder eleganter Eigensinn?

Von Günther Wessel · 25.11.2013
Esel gelten als dumm und störrisch, eigensinnig und blöd, bestenfalls als gutmütig. Die Kulturwissenschaftlerin Jutta Person hat sich jetzt des langohrigen Tieres angenommen. Herausgekommen ist ein kluges Porträt über sanftmütige Rebellen. Eingebunden ist das feine Buch in eselgraue Pappe mit zahlreichen schönen Grafiken sowie Zeichnungen von Falk Nordmann.
Etwas Biologie vorweg: Esel zählen zu den Unpaarhufern, zur Familie der Equiden und zur Gattung Equus, zu denen auch noch die Pferde und Zebras gehören. Die meisten Eselarten stammen vom Afrikanischen oder Asiatischen Wildesel ab, die Hausesel fast alle vom Afrikanischen Wildesel. Seit etwa 6000 Jahren wird der Esel als Haustier gehalten, somit zwar kürzer als Schaf, Schwein oder Rind, aber länger als Pferd oder Kamel.
Seither existiert auch sein Bild in der Kunst – auf ägyptischen Ketten – und in der Literatur, in der der Esel von Anbeginn mit gegensätzlichen Eigenschaften versehen wird: Er gilt dank seiner Duldsamkeit und geringen Aggressivität als blödes, auch langweiliges Tier, zugleich weist man ihm bereits in der Antike durchaus positive Eigenschaften zu: Stärke und eine große Potenz. Und – wie Jutta Person schlüssig zeigt –sein Image ist durchaus veränderlich: Im Christentum reitet Jesus auf einem Esel in Jerusalem ein. Der Friedensfürst kommt auf einem sanftmütigen, friedlichen Tier.
Demut, Duldsamkeit und Zähigkeit – was in der Bibel noch als positiv gilt, hat dem Esel später in der öffentlichen Meinung nicht mehr gut getan. In der Physiognomik, der Formenlehre des menschlichen Körpers, mit deren Hilfe man vom Äußeren auf das Innere schließen wollte, schauen Esel von der Antike bis weit ins 19. Jahrhundert langgesichtig und langohrig immer blöde drein. Wehe dem Menschen, der diesem Tier glich: Friedrich Nietzsche legte besonderen Wert auf seine kleinen Ohren.
Fünf Esel auf einem Baum
Jutta Person liefert dank großer Belesenheit erstaunliche Fakten aus der Welt der Esel: Wissenswertes über Kreuzungen zwischen Esel, Pferd und Zebra oder auch über Esel als Arzneimittel – im 16. Jahrhundert lehrt man, dass Eselkot Gelbsucht und Eselsharn Geschwulste an den Geschlechtorganen vertreiben. Und sie bietet erstaunliche kunsthistorische Funde wie die Bilder Johann Heinrich Wilhelm Tischbeins, der nicht nur „Goethe in der Campagna“ malte, sondern auch fünf Esel in einem Nest hoch auf einem Baum.
So gelingt der Autorin ein Kunststück. Sie taucht tief in die Literatur, die Kunst und die Philosophie ein, ohne jedoch ihr Thema, den Esel als Lebewesen aus dem Blick zu verlieren. Natürlich vermenschlicht sie ihn mit seinen Eigenschaften genauso wie es schon Alfred Brehm tat: Wenn sie seinen Eigensinn als trickreiche Eleganz enthüllt. Aber sie schreibt ja ein kulturhistorisches Portrait, keine biologische Studie. Und so erfährt man am Ende nicht nur viel über den Esel, darüber wie wir mit ihm und er mit uns umgeht, sondern auch viel über uns selbst.
Jutta Person: Esel. Ein Portrait
Matthes & Seitz, Berlin 2013
148 Seiten, 18 Euro