Tierischer Mythos

Rezensiert von Christine Westerhaus · 06.12.2005
Die Vorstellungen über Vampire, Werwölfe und Drachen stammen aus jahrhundertealten Sagen und Legenden. Auch unser Bild von Hase, Adler und Eule ist von Legenden umrankt. In dem Buch "Von Werwölfen und Vampiren" sind die beiden Autoren Hans Meurer und Klaus Richarz gemeinsam der Frage nachgegangen, wie bestimmte Tiere in unserem mitteleuropäischen Kulturkreis zu mythischen Gestalten wurden.
Der Storch soll ja die Kinder bringen. Doch nicht nur das. Als Vogel des Gewittergottes schützt er das Haus, auf dem er nistet, zusätzlich vor Feuer und Blitzeinschlag. Deshalb befestigten viele Menschen früher Wagenräder auf ihrem Hausgiebel, die den Störchen als Nistunterlage dienen sollten.

"Der tierische Feuerschutz funktionierte nicht immer. Manchmal mussten nach dem Glauben der Menschen die Störche Löschwasser im Schnabel herbeitragen, um Nest und brennendes Hausdach zu retten. (…) Zum Wassertransport für die Nestjungen setzen Störche ihren Schnabel tatsächlich ein."

Nicht nur der Mythos von Meister Adebar trägt einen Funken Wahrheit, auch andere Tiere gelten als besonders schlau oder dumm, als Glücksboten oder Unheilsverkünder. Die beiden Autoren Hans Meurer und Klaus Richarz stellen einige von ihnen in dem Buch "Von Werwölfen und Vampiren" vor. Neben den "Klassikern" wie Storch, Wolf und Fledermaus beschreiben sie auch weniger bekannte Beispiele. Etwa den Seidenschwanz. Denn warum dieser hübsche Vogel früher als Kriegsvogel und Brandstifter galt, ist heute den meisten Menschen unbekannt.

"Die ungewöhnlichen roten Hornplättchen in den Schwingen der Seidenschwänze wurden in der menschlichen Fantasie zu Flämmchen umgedeutet, mit denen man zündeln konnte. Wenn zeitnah mit ihrem unvermittelten Auftreten schreckliche Ereignisse wie Pest, Kriege, Hungersnöte oder Feuersbrünste zusammenfallen, sind die Verursacher rasch ausgemacht. (…) "

Die Auswahl der aufgezählten Beispiele ist vielfältig und bezieht verschiedene Tiergruppen mit ein. So beschreiben die Autoren Mythen um Säugetiere, Amphibien und Insekten, vor allem aber um Vögel. Hier schildern die Autoren neben dem eigentlichen Mythos auch noch ausführlich die Lebensweise der Tiere und ihrer nahen Verwandten. Zudem beschreiben sie ihre Lebensräume und erklären, warum manche Arten vom Aussterben bedroht sind. Auch Fledermäuse und ihr mystischer Wandel in Vampire werden fassettenreich dargestellt. Offensichtlich haben sich die beiden Autoren hier zu sehr von ihrer Leidenschaft leiten lassen: Klaus Richarz ist Leiter einer Vogelschutzwarte, Hans Meurer hat bereits viele Bücher über Vampirmythen geschrieben. Diese umfangreichen Informationen suchen wir bei anderen Arten leider vergeblich.

Interessant sind vor allem die Zitate aus Sagen und Legenden, mit denen die Autoren den Mythos um die beschriebenen Arten kulturhistorisch begründen. Wie zum Beispiel in der griechischen Sage, in der Apoll einen Raben zum Wasser holen an eine Quelle schickt.

"In der Nähe der Quelle stand ein Feigenbaum und der Rabe entdeckte, dass die Feigen beinahe reif waren. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen und blieb solange dort, bis die Feigen reif waren. Dann überlegte er, wie er Apoll erklären konnte, wie es zu dieser Verspätung kommen konnte. Er beschuldigte eine Wasserschlange, die Quelle leer getrunken zu haben. Appoll erkannte die Lüge und färbte das Gefieder des Raben schwarz (…) und verwandelte seine wohlklingende Stimme in ein raues, grässliches Kratzen."

In den meisten Fällen liegt der Ursprung für den Aberglauben der Menschen in der Biologie der Tiere. So werden Vampire deshalb mit Fledermäusen in Verbindung gebracht, weil eine südamerikanische Art tatsächlich Blut leckt, um sich davon zu ernähren. Zudem sind Fledermäuse nachtaktiv und galten früher als "Zwischenwesen", weil sie wie Vögel fliegen können und wie Mäuse ein Fell haben. Ratten galten zu Recht als Todbringer, weil der Erreger der Beulenpest über den Rattenfloh auf den Menschen übertragen wird. Auch der Feldhase verdankt seinen Einsatz zu Ostern seiner Lebensweise. Obwohl er bekanntlich keine Eier legt.

" Hasen sind sehr fruchtbare Tiere und daraus entsteht ihre erotische Symbolik. (…) Die Israeliten durften kein Hasenfleisch essen, aber auch Bonifatius und Papst Zacharias verboten 755 den Genuss von Hasenfleisch und zwar explizit wegen seiner erotischen Wirkung. "

Insgesamt liefert dieses Buch einen gut verständlichen Überblick über die Mythen, die sich um verschiedene Tiergruppen ranken. Zudem ist es kurzweilig und knapp geschrieben – mit Ausnahme der Kapitel über Vögel und Vampire. Ärgerlich ist jedoch, dass es kein Sachregister gibt, mit dem man gesuchte Begriffe schnell wieder findet. Dafür enthält das Buch insgesamt 92 zum großen Teil historische Abbildungen, die alle von Hand gezeichnet sind. Schon allein deshalb blättert man das Buch gerne durch.

Hans Meurer und Klaus Richarz: Von Werwölfen und Vampiren
Kosmos Verlag
207 Seiten
19,95 Euro