Tierische Symphonien

22.09.2013
Sein Erweckungserlebnis hatte der Pionier der elektronischen Musik, Bernie Krause, in einem Naturschutzgebiet: Dort nahm der Amerikaner erstmals den Klangreichtum eines Biotops wahr. Inzwischen ist der Naturforscher mit dem Mikrofon überzeugt, dass Tiere Musikstücke aufführen.
Der Name klingt deutsch, dabei ist Bernie Krause 1938 in Detroit geboren. Eines Tages legte er die Violine weg, die seine Eltern ihn so gern hatten spielen sehen, und griff zur Gitarre. Er spielte kurz bei Pete Seegers Weavers, aber als er von den neuen Möglichkeiten Wind bekam, die ein Mann namens Moog nutzte, um alle möglichen Klänge synthetisch herzustellen, da legte er auch die Gitarre beiseite und stieß zu den Pionieren den elektronischen Musik. Ein Tüftler am Synthesizer, der so unterschiedliche Bands wie die Monkees, die Doors und die Byrds mit den ungeahnten neuen Sounds versorgte.

Im Oktober 1968 aber erlebte Krause wohl eine Art Erweckungserlebnis: Der Pionier der unbegrenzten neuen Kunstklänge war mit seinem Aufnahmeequipment aus dem Studio in das Naturschutzgebiet Muir Woods gezogen, um für ein Plattenprojekt einmal den Sound der Wildnis einzufangen. Über die feinen Membranen der Mikrophone, unter den Stereo-Kopfhörern nahm er zum ersten Mal wahr, was seine Normalohren bis dahin überhört hatten: den überwältigenden Reichtum von Klängen, den der gewaltige Organismus eines Biotops hervorbringt.

"Das große Orchester der Tiere" erzählt, was dann geschah, wie Krause vom Synthie-Freak zum Bio-Phoniker wurde, zum Naturforscher mit dem Mikrofon - unterwegs auf dem ganzen Planeten, um diesen Reichtum aufzuzeichnen, der schneller vergeht als wir ahnen.

Das Orchester der Tiere führt auch Symphonien auf
Der Titel des Buchs klingt ein bisschen wie "Karneval der Tiere" und erinnert daran, dass wir unserem Nachwuchs die klassische Musik ja am liebsten beibringen, indem sie mit Saint-Saens Löwe, Huhn und Schwan, Fische und Schildkröten im Orchesterklang wiedererkennen lernen sollen; oder mit Prokofjews "Peter und der Wolf" hören, wie die Katze als Klarinette durchs Gras schleicht.

Krause aber zielt in die entgegengesetzte Richtung, er will die Ohren öffnen für das, was er als Symphonie der Natur versteht - und der Untertitel enthält eine steile These: "Vom Ursprung der Musik in der Natur."

Krause zeigt, dass Musik, verstanden als Ausdruck in Schall, nicht nur ein evolutionsgeschichtlicher Vorteil ist, der einer Spezies auf vielfältige Weise Überlebensvorteile sichert, als Mittel der Orientierung und Verständigung, der Gefahrenabwehr, der sozialen Wahrnehmung oder auch der emotionalen Äußerung.

Er glaubt, dass dieses Orchester der Tiere tatsächlich auch Symphonien aufführt, dass wir es also mit strukturierten, organisierten, womöglich "komponierten" Klangereignissen zu tun haben. Jeder Ort klingt anders, und Krause, der längst zum Archivar verwehender Naturklänge wurde, kann auch zeigen, wie empfindlich das symphonische Gleichgewicht ist und wie schnell es gestört werden kann.


Besprochen von Holger Noltze

Bernie Krause: Das große Orchester der Tiere. Vom Ursprung der Musik in der Natur
Übersetzt von Gabriele Gockel und Sonja Schumacher
Kunstmann Verlag, München 2013
272 Seiten, 22,95 Euro