Thurston Moore

"Ich will mit Millionen Menschen das Weiße Haus stürmen"

Thurston Moore bei einem Live-Auftritt im Jazz Café, London, im April 2017
Thurston Moore bei einem Live-Auftritt im Jazz Café, London, im April 2017 © Imago / Alberto Pezzali
Von Marcel Anders · 26.04.2017
Mit Sonic Youth wurde Thurston Moore zu einer Ikone des Indie-Rock, galt als Wegbereiter von Grunge und Noise-Rock. Der 58-Jährige ist inzwischen von New York nach London gezogen, bleibt sich musikalisch aber treu.
Thurston Moore: "Als meine neue Freundin meinte, sie würde in Stoke-Newington leben, habe ich mir echt Sorgen gemacht, weil ich das Viertel als ziemlich runtergekommen kenne. Doch 2012 habe ich es nicht wiedererkannt: Überall waren schicke Boutiquen, und die Gefahr auf den Straßen rührte nicht mehr von Drogendealern, sondern von jungen Ehepaaren, die dich mit dem Kinderwagen überrollen. Dabei galt dieser Teil von London mal als Heimat der radikalen Linken. Dort lebten Künstler und Aktivisten, die kein Geld hatten. Aber das ist vorbei. Heute gehört die City den Schönen und Reichen."
Thurston Moore dagegen ist mit seinem Schaffen zwar berühmt, aber nie reich geworden. Und mit seinen 1,98 Meter und einem leicht zerknautschten Gesicht wirkt er auch nicht wie ein Hipster, sondern eher wie ein verlebter Intellektueller, was 37 Jahren Musikgeschäft mit endlosen Tourneen geschuldet ist.
Dass er nun im hippen Norden von London wohnt, hat insofern etwas Ironisches. Gleichzeitig, so betont er, ändere es aber nichts an seiner rebellischen Ader. Schon gar nicht in Bezug auf die Trump-Regierung.
"Momentan wäre ich gerne in den USA, um mich für die Opposition zu engagieren. Ich möchte mit Millionen Menschen demonstrieren und das Weiße Haus stürmen. Und zwar durch den Haupteingang. Wir sind schließlich genug – sie können uns gar nicht alle töten. Also lasst uns da eindringen, die Typen in den Fluss werfen und die Schlösser auswechseln."

Auf den Spuren von Burroughs, Ginsberg und Snyder

Eine kämpferische Einstellung, die sich auch auf dem neuen Album "Rock'n'Roll Consciousness" niederschlägt. Vor allem in den Texten, in denen sich Thurston Moore als politischer Rebell, aber auch als Beat-Poet präsentiert, der auf den Spuren von Burroughs, Ginsberg und Snyder wandelt und sich betont abstrakt bis mystisch gibt.
Zudem erweist er sich als Feminist, der mehr weibliche Führungspositionen fordert – und die Gedanken seiner Lebensgefährtin Eva Prinz transportiert:
"Sie ist Frauenrechtlerin, Filmemacherin, Buch-Verlegerin und Lektorin. Als ich ein paar Texte brauchte, gab sie mir diese energetischen weiblichen Sachen, und schon beim ersten Singen dachte ich: 'Die sind toll'. Denn ich habe eine Schwäche für das Subversive und Esoterische. Ich finde das sehr erotisch. Es macht die Musik sexy."
Für sein neues Album hat Thurston Moore zugleich eine neue Band gegründet, die aus Koryphäen wie Bassistin Debbie Goog von My Bloody Valentine besteht. Aber auch Steve Shelly, dem Schlagzeuger von Sonic Youth. Ein Indiz dafür, dass sich zumindest musikalisch nicht viel verändert hat.

Krachige Klang-Eruptionen

Der Wegbereiter des Grunge und Alternative Rock setzt weiter auf eine Mischung aus Noise-Rock, Krautrock und Avantgarde – mit krachigen Klang-Eruptionen, permanenten Stil- und Tempiwechseln, aber auch hypnotischen, fast meditativen Leisetretern.
Ein spannender Grenzgang zwischen den Extremen. So, wie man es von ihm gewohnt ist. Und wie er es in Stücken auf dem neuen Album wie "Aphrodite" praktiziert.
"Einen Song wie 'Aphrodite' zu schreiben ist nicht viel anders, als ein Stück für Sonic Youth zu komponieren. Der einzige Unterschied besteht darin, dass es sich um andere Musiker handelt. Und Sonic Youth haben durchaus eine Zukunft. Schließlich habe ich den Namen auf meinem Arm tätowiert. Was bedeutet, dass ich die Band mit ins Grab nehmen werde. Nur: Momentan denke ich nicht darüber nach. Es reicht, wenn das andere Leute tun. Aber es bedeutet mir viel, wenn sie mich auf der Straße ansprechen und mir sagen, wie wichtig ich ihnen bin."
Die Zufriedenheit ist nicht gespielt. Nie war Thurston Moore so locker, redselig und witzig wie 2017. Neben Ex-Frau Kim Gordon, mit der er 27 Jahre liiert war, wirkte er immer etwas zurückhaltend. Das hat er nun abgelegt.
Und: Er ist kreativer denn je. Sei es mit einer Death-Metal-Band namens "Twilight" oder dem Buchverlag Ecstatic Peace Library, bei dem er demnächst seine Autobiografie veröffentlichen will. Die Zwischenbilanz eines Multitalents im dritten Lebensabschnitt – wenn nicht Frühling.

Thurston Moore: "Rock N Roll Consciousness"
erscheint auf Caroline Records

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