Thüringens FDP-Chef Thomas Kemmerich

"Dass er so abdriftet, ist schon erschreckend"

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Thomas Kemmerich, Vorsitzender der FDP-Fraktion in Thüringen, gestikuliert im Landtag während der Debatte über eine neue Hochschulrahmenvereinbarung.
Kaum noch Freunde in der eigenen Partei: Thomas Kemmerich im Thüringer Landtag. © picture alliance / dpa / Michael Reichel
Von Henry Bernhard · 28.10.2020
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Gegen das eindringliche Votum der Bundes-FDP weigert sich der thüringische Landesvorsitzende Thomas Kemmerich bislang, auf eine erneute Spitzenkandidatur zu verzichten. Für das Ministerpräsidentenwahldebakel im Februar gibt er anderen die Schuld.
"Meine sehr verehrte Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht um Thüringen!"
Es war die erste und letzte Rede von Thomas Kemmerich als Ministerpräsident vor dem Thüringer Landtag, am 5. Februar dieses Jahres.
"Die Arbeit beginnt jetzt. Ich zeige den höchsten …"
Der Liberale war gerade auch mit den Stimmen der AfD ins Amt gewählt worden und sollte es nur wenige Tage behalten. Seitdem gab es von ihm nur knappe Äußerungen zu dem Vorfall, beispielsweise in einem Sommer-Interview für den MDR: "Die AfD hat unfair gespielt. Sie hat mir eine Banane hingeworfen, ich bin darauf ausgerutscht."

Schuld sind immer die Anderen

Zum Ärger vieler seiner Parteifreunde schweigt der gebürtige Aachener. Viele von ihnen wollen eine Erklärung, eine Rechtfertigung, oder auch ein Eingeständnis. Wollten von ihm hören, warum es falsch gewesen sein könnte, im Februar die Wahl mit den AfD-Stimmen anzunehmen oder aber, warum er nach drei Tagen zurückgetreten ist.
Vor drei Wochen traf er sich mit Journalisten zu einem Hintergrundgespräch. Zum großen Erstaunen aller Anwesenden erläuterte Kemmerich, dass SPD und Grüne daran schuld seien, dass Thüringen im Februar in eine Staatskrise geschlittert ist, weil die nicht mit ihm kooperieren wollten. Die Kollegen fanden jedoch seinen Ansatz zu absurd, sahen keine Notwendigkeit, darüber zu berichten. Also twitterte Kemmerich am nächsten Tag selbst: "Nicht die Annahme der Wahl war der Fehler, sondern der Umgang der anderen demokratischen Parteien mit der Situation."
Für die Thüringer Politik war das nur ein weiterer Dreh in einer grotesken Geschichte. Aber in der FDP-Zentrale in Berlin riss ein vorher schon arg gespannter Geduldsfaden endgültig. Der FDP-Generalsekretär Volker Wissing telefonierte das FDP-Präsidium am nächsten Morgen zusammen. Danach erklärte er, dass sich die gesamte Parteispitze geschlossen von Kemmerichs Aussagen distanziere. Sollte Kemmerich noch einmal als Spitzenkandidat zur Landtagswahl antreten, gebe es "keinerlei finanzielle, logistische oder organisatorische Unterstützung für einen Wahlkampf durch den Bundesverband".

Die Bundespartei distanziert sich klar von Kemmerich

"Die Bundespartei muss dann klar Position beziehen und eine klare Haltung äußern, wenn durch Personalentscheidungen und öffentliche Erklärungen von Personen aus Landesverbänden die klare Haltung der FDP in Frage gestellt wird. Es gibt keinerlei Schnittmengen mit der AfD. Und das war meine Aufgabe, klarzustellen."
Kemmerichs Reaktion darauf war: Schweigen. Wenige Stunden später folgte ein offener Brief, unterzeichnet von allen 15 liberalen Landesvorsitzenden und der Vorsitzenden der Jungen Liberalen: "Lieber Thomas, wir sind der Auffassung, dass Du der Partei erheblichen Schaden zufügst. Solltest Du erneut als Spitzenkandidat bei der Landtagswahl in Thüringen antreten, werden die Zweifel an unserer Abgrenzung der FDP zur AfD alles andere übertönen."
Seitdem sind fast drei Wochen vergangen und aus Thüringen kommt noch immer kein einziges offizielles Wort. Nicht von Kemmerich, nicht vom Parteivorstand, nicht vom Thüringer FDP-Generalsekretär.
Wenn einer ihrer Spitzenmänner jegliche Verantwortung von sich weist, hat die die FDP - ein Jahr vor der Bundestagswahl - eine offene Flanke nach Rechtsaußen, meint Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Mitglied im Bundesvorstand der FDP: "Wenn Ehrenamtliche auf der Straße sind, dann wollen sie über die Dinge mit den Bürgerinnen und Bürgern sprechen, die anstehen, und nicht damit konfrontiert werden, ob Herr Kemmerich noch alle Tassen im Schrank hat oder nicht."
Zwar gab es inzwischen in Berlin ein Gespräch zwischen dem Bundesvorsitzenden Christian Lindner, dem Generalsekretär Volker Wissing und Thomas Kemmerich – aber auch darüber schweigen sich alle Beteiligten aus, was Marie-Agnes Strack-Zimmermann fast sprachlos macht: "Ich wundere mich über gar nichts mehr. Da hat er sich jetzt wieder gemeldet, offensichtlich immer noch erstaunt darüber, dass die Bundes-FDP sein Verhalten kritisch sieht – um das mal harmlos auszudrücken. Und jetzt ist wieder Ruhe. Dass er so abdriftet, ist schon erschreckend und erstaunlich. Und das Problem ist, dass man nicht weiß, wann er sich wieder meldet."

Keine Wahlkampfunterstützung von der Bundespartei

Unmut über Kemmerichs Schweigen gibt es auch an der Basis bundesweit. Léon Beck, stellvertretender Vorsitzender der FDP Bochum, hat letztes Jahr beim Wahlkampf in Thüringen ausgeholfen. Noch mal würde er das nicht machen: "Da möchte man eben auch nicht in einem Atemzug genannt werden mit einem Björn Höcke, der Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten mit gewählt hat. Ich weiß einfach nicht, da er diese Einsichtsfähigkeit nicht gezeigt hat, wofür ich dann Wahlkampf mache. Und dafür ist einem dann doch die Zeit zu schade."
Auch im Thüringer FDP-Landesverband regt sich Unmut. Christian Döbel ist Kreisvorsitzender in Gotha. Für den Liberalen steht außer Frage, dass Kemmerich nicht nur kein Spitzenkandidat bei der nächsten Landtagswahl werden darf, sondern auch nicht Parteivorsitzender bleiben solle. Und das nicht nur wegen des Ministerpräsidenten-Abenteuers im Februar: "Ich habe ihn auf Konferenzen eingeladen. Das war intellektuell schon ein Problem, als der vorn stand. Und für so eine Partei, für so ein Amt, brauchst du natürlich irgendwo intellektuell ein bisschen was unter der Haube. Zum anderen aber auch soziales Feingefühl, dass ich so etwas einfach nicht aussitzen kann. Das muss jemand verstehen in dieser Position. Und das kommt halt einfach nicht! Er ist halt ein Karnevalsprinz, aber sobald es ernst wird, zieht er sich lieber zurück."

Kritik an Einmischung der Bundes-FDP

Es gibt aber auch nicht wenige Kreisverbände, die hinter Kemmerich stehen und wollen, dass er Landesvorsitzender bleibt und auch wieder Spitzenkandidat wird. Der Bundesvorstand und auch andere Landesverbände sollen sich da raushalten, meint Patrick Frisch, Kreischef im Verband Jena-Saale-Holzland: "Ich erachte das Vorgehen des Bundespräsidiums nicht nur als sehr unglücklich, sondern zu dem Zeitpunkt auch für unnötig. Und ich sage ausdrücklich auch: Ich sehe nicht, dass Thomas Kemmerich mit seinem Handeln die FDP beschädigt hat."
Sein Kreisverband fordert nun, dass ein Ombudsmann zwischen dem Bundespräsidium der FDP und dem Thüringer Landesverband vermitteln soll. Und wenn der scheitert, dass das Partei-Schiedsgericht eingeschaltet wird, um zu klären, ob das Bundespräsidium gegen die Parteisatzung verstoßen hat, weil es Thomas Kemmerich aufgefordert hat, nicht mehr als Spitzenkandidat anzutreten.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann antwortet darauf sehr knapp: "Ich glaube, es bedarf keiner Vermittlung mehr. Die Taten sind geschehen, wir haben uns öffentlich darüber geäußert, und eigentlich ist jetzt klar, was Sache ist. Kollege Kemmerich sollte sich mal Gedanken machen, ob man eigentlich noch Lust hat, unter diesen Bedingungen Politik zu machen."
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