Thüringen vor der Wahl

Wird Bodo Ramelow der erste linke Ministerpräsident?

Von Henry Bernhard · 04.09.2014
Mehrere Skandale haben den Ruf der von Christine Lieberknecht geführten Landesregierung in Thüringen ramponiert. Linken-Spitzenkandidat Bodo Ramelow könnte nun die CDU-Politikerin vom Thron stürzen. Königsmacherin wird die Spitzenkandidatin einer anderen Partei.
Christine Lieberknecht: "Die Thüringer können stolz sein auf ihr Land!"
Höcke: "Wir haben den Mut zur Wahrheit!"
Christine Lieberknecht: "Wir leben in einer gefestigten Demokratie und haben eine wunderbare Landesverfassung."
Höcke: "Und ich verspreche Ihnen: Hey – Gummibären laufen immer gut, Kugelschreiber! Viele Leute gehen trotzdem nicht zur Wahl; aber egal: Wir versuchen's!"
Bodo Ramelow: "Es geht am 14. September – in der Tat: Es geht um Lieberknecht oder Ramelow!"
Christine Lieberknecht: "Die Frage stellt sich für mich gar nicht! Sondern für mich stellt sich die Frage, dass ich darum kämpfe, Ministerpräsidentin in Thüringen zu bleiben!"
Manuela Schwesig: "Wir kämpfen darum, dass Heike Taubert Ministerpräsidentin wird!"
Heike Taubert: "Ich muss mich dafür, glaube ich, auch nicht rechtfertigen, dass ich jetzt Spitzenkandidatin geworden bin!"
Jörg Geibert: "Das kann ich mir nicht vorstellen, dass es eine andere Landesregierung geben würde, der die CDU nicht angehören würde."
Bodo Ramelow: "Sie hat ein Recht darauf – als Partei, die so viele Jahrzehnte hier schon wirksam war: vor der Wende, nach der Wende –, diesDie Partei hat ein Recht darauf, sich zu erholen! Und zwar in der Opposition!"
Thüringens Innenminister Jörg Geibert kann sich nicht vorstellen, dass es in Thüringen eine Landesregierung ohne die CDU geben könnte. Die CDU regiert den kleinen Freistaat mit seinen zwei Millionen Einwohnern seit 1990 – ununterbrochen, mit unterschiedlichen Koalitionspartnern: mal mit der FDP, zweimal mit der SPD, einmal sogar allein mit einer absoluten Mehrheit.
Erfolgsserie der Christdemokraten bedroht
Die Ministerpräsidenten Thüringens nach 1990 waren immer Christdemokraten. Doch nie war diese Erfolgsserie stärker bedroht als heute. Christine Lieberknecht:
"Unser Ziel ist klar: Eine Gestaltungsmehrheit im Thüringer Landtag zu haben, mit 40+X, damit keine Regierung an uns vorbei gebildet werden kann."
Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht ist laut Umfragen noch immer die beliebteste Politikerin im Freistaat. Dies liegt zum einen an ihrem ausgleichenden, mütterlich-pastoralen Führungsstil, zum anderen aber auch an der mäßigen Konkurrenz in der Thüringer Landespolitik.
Aber: Lieberknechts Beliebtheit und die der CDU hat im vergangenen Jahr heftig gelitten. Das Ziel von über 40 Prozent der Wählerstimmen gleicht eher dem ängstlichen Pfeifen im Walde als der Realität. Mehrere Skandale haben den Ruf der schwarz-roten Landesregierung heftig ramponiert, vor allem aber den der CDU. Minister und Staatssekretäre, die doppelt abkassieren, ein Regierungssprecher, der mit 37 ohne Not in die komfortable Pension geschickt wird, ein Staatskanzleiminister, der mit juristischen Taschenspielertricks den Staat abzuzocken versucht, den er repräsentieren soll – die Thüringer Landesregierung hat es der Opposition im vergangenen Jahr leicht gemacht. Bodo Ramelow:
"Das Land hat zumindest eine schwarze Traurigkeit satt, hat eine CDU satt, bei der Frau Lieberknecht die nette, freundliche Ministerpräsidentin ist und ihr Fraktionsvorsitzender den nationalen Flügel mal bespielt, mal bespaßt."
Bodo Ramelow, der linke Herausforderer Christine Lieberknechts bei der Landtagswahl, wusste manchmal gar nicht so recht, wie ihm geschah, wenn ihm die schwarz-rote Landesregierung immer wieder neue Steilvorlagen für die Oppositionsarbeit lieferte:
"Aber es gibt auch CDUler, die sagen, 'Es braucht einen Wechsel!', weil auch CDUler in Thüringen mit ihrer Partei nicht mehr glücklich sind! Das merke ich auch bei konservativen Wählern und auch sogar bei Parteimitgliedern."
"Thüringen steckt im Reformstau"
Anja Siegesmund, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Erfurter Landtag, wird nicht müde zu betonen, dass 24 Jahre CDU genug sind für Thüringen, dass sich Filz breitgemacht habe:
"Thüringen steckt im Reformstau. Dieser Reformstau ist sowohl klimapolitisch als auch bildungspolitisch als auch sozialpolitisch deutlich erkennbar. Und in diesen Reformstau sind wir insbesondere mit der CDU gekommen. Diese Selbstbedienungsmentalität, die sich die CDU in 24 Jahren angeeignet hat, wie sie sich dann das Geld nimmt, wenn sie's braucht, die muss ein Ende haben. 16 Milliarden Euro Schulden kommen nicht von ungefähr!"
Und die SPD? Zwar ist sie an der Regierung beteiligt, aber die Lust, diese fortzusetzen, scheint gering zu sein. Den Reformstau, den auch die SPD moniert, sieht sie nicht mit der CDU für auflösbar. Matthias Hey ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD im Landtag und einer der Hoffnungsträger der Thüringer Sozialdemokraten:
"Mit dem Koalitionspartner ist das in den letzten vier Jahren nicht zu dem Erfolg gekommen, den ich mir gewünscht hätte! Denn wir sagen: Vieles, was an finanziellen Problemen in Thüringen ist, hat auch seinen Grund darin, dass alles so klein und zersplittert und so kleinstaaterisch ist. Das sieht die CDU leider anders."
Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU)
Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) © picture alliance / dpa - Michael Reichel
Drei Staatskanzleiminister kamen und gingen in einer Legislaturperiode, jeweils mit Gepolter und sinkenden Umfragewerten für die CDU und Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht. Seit zwei Monaten ist die Staatskanzlei ohne Führung. Eine glückliche Hand in Personalfragen kann man also Christine Lieberknecht nicht unterstellen. Hinzu kommt, dass sie vor einigen Wochen in einem Interview erklärte, nicht Ministerpräsidentin sein zu müssen. Schließlich sei sie gern Pfarrerin gewesen. Manche Beobachter lesen daraus eine Gelassenheit in Gottvertrauen, andere erkennen Amtsmüdigkeit nach 24 Jahren Landespolitik.Christine Lieberknecht:
"Was mir aber eine gute Gewissheit gibt, ist, dass ich mir jederzeit vorstellen könnte, in meiner ursprünglichen Profession wieder zu arbeiten. Aber im Moment – und darauf lege ich Wert! – bin ich Ministerpräsidentin des Freistaates Thüringen; und ich kämpfe darum, das auch weiterhin zu bleiben."
Lieberknechts erster Kampf um das Amt
Es ist das erste Mal, dass Lieberknecht um das Amt der Ministerpräsidentin kämpft. Vor fünf Jahren hatte sie den nach einem Skiunfall mit Todesfolge schwer angeschlagenen Ministerpräsidenten und Spitzenkandidaten Dieter Althaus kurz nach der Landtagswahl abserviert. Die heute 56-jährige war in der Thüringer Politik schon fast alles, was man im Freistaat werden kann. Kultusministerin, Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten, Landtagspräsidentin, CDU-Fraktionsvorsitzende, Sozialministerin und eben seit 2009 Ministerpräsidentin.
Sie versteht ihr Geschäft, besitzt meist politischen Instinkt und kann ihre innerparteilichen Konkurrenten um den Fraktionsvorsitzenden Mike Mohring ...
Mike Mohring: "Alles zu seiner Zeit!"
... noch im Schach halten, solange sie gute Wahlergebnisse liefert. Dies fällt der Thüringer CDU aber schwerer denn je. In den ersten Nachwendejahren von satten und teilweise absoluten Mehrheiten verwöhnt, verlor sie in den Nuller Jahren fast die Hälfte ihrer Wähler. Größte Fraktion wird die CDU vermutlich dennoch. Und natürlich will sie an der Macht bleiben. Aber es bleiben ihr nicht so viele Koalitionsoptionen: Mit der Linken verbietet sich die Zusammenarbeit von selbst, wie die Ministerpräsidentin eindrücklich auf einem Landesparteitag darlegte:
"Und dann, sage ich, waren es auch die Kommunisten, die ewig Gestrigen – auch, wenn sie manchmal jung mit ihren Leuten daherkommen: Sie saßen sage und schreibe wirklich auf den Bäumen! Wie die Affen auf den Bäumen saßen sie! Und den können wir doch heute nicht das Land anvertrauen, meine sehr verehrten Damen und Herren, meine Freunde!"
Die FDP wird allen Umfragen zufolge auch aus dem Thüringer Landtag fliegen – schließlich plakatiert sie schon seit Wochen sarkastisch: "FDP – wir sind dann mal weg". Mit den Grünen kann sich die CDU nach hessischem Vorbild durchaus eine Koalition vorstellen – dafür steht vor allem der CDU-Fraktionsvorsitzende Mike Mohring, der seit Monaten aktiv um die Grünen buhlt:
"Weil ich finde: Große Koalition kann jeder, und das spannendere, das neue Projekt, ist das schwarz-grüne Projekt. Eben gerade, weil die Grünen wie auch wir wertkonservativ sind. Und es gibt da ne Menge Themen, die uns einigen: Wenn es um die Nachhaltigkeit geht, wenn es um die Frage von Generationengerechtigkeit geht, die Frage solider Finanzen, aber auch Bewahrung der Schöpfung und sehen, dass Wachstum auch begrenzt ist."
Die Grünen wollen partout keine Koalitionsaussage treffen
Aber die Grünen zieren sich. Einerseits wollen sie partout keine Koalitionsaussage vor der Wahl treffen, andererseits würde eine Annäherung gerade an den Rechtskonservativen Mike Mohring die Basis zerreißen. Bleibt die AfD, falls sie analog zu Sachsen den Sprung in den Landtag schafft. Die Umfrageergebnisse und der Rückenwind aus Dresden lassen dies wahrscheinlich werden. Mike Mohring drückt sich um eine klare Aussage herum:
"Ich sag mal, die Frage stellt sich nicht, weil mathematisch wird es für AfD und CDU gar nicht zu einer regierungsbildenden Mehrheit kommen, deshalb stellt sich sie Frage gar nicht."
Aber in der CDU-Fraktion gibt es durchaus Stimmen, die hinter vorgehaltener Hand mit der AfD liebäugeln. Die Ministerpräsidentin jedoch hält sich an das Kanzlerinnen-Verdikt:
"Die AFD ist für die Thüringer Union kein Partner. Koalitionsfragen stellen sich nicht, und ich schließe sie auch aus."
Hier könnte Konfliktpotential in der Thüringer CDU liegen, spätestens dann, wenn Christine Lieberknecht bei der Wahl nicht gut genug abschneidet. Denn sie gilt als Sozialdemokratin in der Thüringer CDU, welche auch einen starken konservativen Flügel hat. Die richtigen Sozialdemokraten in der SPD haben auch eine Frau als Spitzenkandidatin, Sozialministerin Heike Taubert. Sie verkündet immer wieder tapfer:
"Wir kämpfen dafür, dass wir eine Option haben, auch an der Spitze stehen können."
Die Zahlen aber sprechen eine andere Sprache. Die SPD liegt bei Umfragen knapp unter 20 Prozent - und ist damit der perfekte Koalitionspartner. Für CDU oder Linke. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Ob es den Genossen gefällt oder nicht. Heike Taubert:
"Ich finde es nicht gut, dass der SPD so etwas verwehrt bleibt. Wir waren auch schon mal Platz 2!"
"Der Wähler kauft die Katze im Sack bei der SPD"
Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht war trotz aller Rumpel- und Rempeleien recht zufrieden mit der schwarz-roten Koalition in Thüringen. Sie würde sie gern fortsetzen; auch mangels realistischer Alternativen angesichts der Schwäche der CDU:
"Indem die SPD einerseits ein klares Bekenntnis abgibt, gegebenenfalls auch unter einem linken Ministerpräsidenten in die Regierung zu gehen, aber auch die Tür zur Union nichts vollends zuschlägt, lässt sie die Sache offen. Der Wähler kauft sozusagen die Katze im Sack bei der SPD. Und deswegen wird die SPD in der klassischen Position des Dilemmas sein, dass die Wähler nicht wissen, was sie mit der SPD bekommen."
Die SPD-Spitzenkandidatin Heike Taubert jedoch pokert: keine Koalitionsaussage – um keinen Preis. Höchstwahrscheinlich wird sie die Königsmacherin sein, denn sie und ihre Partei werden entscheiden, wer Ministerpräsident wird – Christine Lieberknecht oder Bodo Ramelow. Taubert:
"Ich finde es nicht gut, dass wir als Parteien ein Stückweit unter Druck gesetzt werden. Und wenn eine Wahlaussage kommt und eine Zusage, wie das z.B. in Hessen gewesen ist, und dann einer der Partner sich doch mit einem anderen Partner einlassen muss, damit es weitergeht, dann wird man des Wahlbetrugs bezichtigt. Und ich finde das einfach nicht in Ordnung! Und deswegen müssen die Wähler akzeptieren, dass wir im Vorfeld sagen: Wir machen keine Koalitionsaussage!"
Dabei ist in Erfurt bekannt, dass die Stimmung am schwarz-roten Kabinettstisch immer eisiger wurde und dass es seit Wochen rot-rot-grüne Gespräche gibt. Darüber, wie man in einer Koalition zusammenarbeiten könnte. Bodo Ramelow, der Fraktionschef und Spitzenkandidat der Linken, läuft schon seit Monaten so staatstragend durch den Landtag, als sei er längst Ministerpräsident. Er steht für ein rot-rot-grünes Reformbündnis:
"Ja, wir wollen gestalten; wir werden gestalten; und wir werden die Kraft entwickeln, damit wir einen Auftrag bekommen von den Wählerinnen und Wählern!"
Bodo Ramelow kämpft seit Jahren für eine linke Koalition
Sollte es zu einer rot-roten oder rot-rot-grünen Koalition kommen, wäre das ein enormer Gewinn für Bodo Ramelow, der schon seit Jahren dafür kämpft, und für die Linke, die noch nie einen Ministerpräsidenten stellen durfte. Nach der letzten Landtagswahl 2009 war Rot-Rot-Grün schon einmal möglich, es scheiterte aber an Egoismen und Unerfahrenheit der Akteure. Damals hätte die Linke sogar einen nicht-linken Ministerpräsidenten akzeptiert, obwohl sie die stärkste Partei in der Koalition gewesen wären. Ramelow:
"Jetzt gehen wir mit erhobenem Haupt in die Wahlkampfauseinandersetzung und sagen den Wählerinnen und Wählern: Wer die Linke wählt, wählt die CDU in die Opposition und den Vertreter der Linken, Bodo Ramelow, in die Staatskanzlei. Und die SPD wie auch die Grünen haben mittlerweile signalisiert, dass es keine Ausschließeritis mehr gibt."
Und in der Tat überbieten sich SPD wie Grüne in Berlin wie in Erfurt darin, der Linken in Thüringen Regierungsfähigkeit zu bescheinigen. Bodo Ramelow sei eigentlich Sozialdemokrat, ist von vielen zu hören. Und auch in der Landtagsfraktion der SPD scheint es eine Mehrheit zu geben, die einen Politikwechsel will. Ob dies aber auch für die Basis gilt, ist ungewiss. Matthias Hey, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD steht für einen Politikwechsel, für Rot-Rot-Grün:
"Ja, zumindest bei mir im Ortsverein ist es schon so, dass es Pari-Pari ist. Also 50 Prozent der Leute sagen: Um Gottes Willen, nicht mit denen, die früher mal die SED vertreten haben! Das sind meist ältere Leute, die auch eine bestimmte biografische Erfahrung mit dieser Partei haben. Und die anderen sagen: Politik ist auch ein wechselndes Geschäft; Thüringen braucht irgendwann mal andere Bilder; warum nicht Rot-Rot oder Rot-Rot-Grün? Und ich denke, es ist am besten, dass man vielleicht nach den Wahlen auch mal die Basis befragt."
Die Mitgliederbefragung soll nicht etwa nach, sondern vor den Koalitionsverhandlungen abgehalten werden. Die gut 4.000 SPD-Mitglieder in Thüringen würden also darüber bestimmen, mit wem ihre Partei eine Koalition eingehen, wem sie zur Macht verhelfen soll: Christine Lieberknecht oder Bodo Ramelow.
Kleinteilig, zersplittert und kleinstaaterisch
Wichtiges Thema für die SPD und auch für die Linke ist eine Verwaltungs- und Gebietsreform. Thüringen hat sechs kreisfreie Städte – deutlich mehr als jedes andere Bundesland, bezogen auf die Einwohnerzahl. Thüringen ist in 17 Landkreise unterteilt – Sachsen mit doppelt so vielen Einwohnern reichen 10.
Dazu hat Thüringen doppelt so viele Kommunen wie Sachsen. Ein Drittel der Kommunen kann keinen ausgeglichenen Haushalt aufstellen, ein Kreis steht – deutschlandweit erstmalig – unter Zwangsverwaltung; in Gera, der drittgrößten Stadt des Landes, haben Stadtwerke und Verkehrsbetriebe Insolvenz angemeldet – auch dies einmalig in Deutschland. Matthias Hey:
"Vieles von dem, was an finanziellen Problemen ist in Thüringen, hat auch seinen Grund darin, dass alles so kleinteilig und zersplittert und so kleinstaaterisch ist. Wenn eine Stadt wie Eisenach, die locker unter 60.000 Einwohner hat, sämtliche Aufgaben übernehmen muss, die eigentlich auch ein Landkreis hat, die aber kreisfrei ist, wenn sie also den Nahverkehr, die Schulen, die Gymnasien, alles weitere selbst finanzieren soll und keine eigenen großen Gewerbesteuereinnahmen hat, denn die großen Betriebe, die viel zahlen, liegen im Umfeld von Eisenach, gehören aber nicht zum Stadtgebiet, dann ist es klar, dass so eine Stadt auf Dauer nicht überleben kann."
Diese Haltung der SPD teilen die Linke, in großen Teilen auch die Grünen. Carsten Meyer in der grünen Landtagsfraktion war selbst lange Kommunalpolitiker:
"Das wäre eine der Aufgaben, die man in einer Rot-Rot-Grünen Koalition anpacken muss, denn die Strukturprobleme lösen sich nicht dadurch, dass man wegschaut. Und Politik muss mal den Mut haben zu sagen: Das ist einer der Gründe dafür, warum wir eben so etwas auch mit klaren Vorgaben machen müssen. Und die heißen dann auch: Die Starken dürfen auch für die Schwachen solidarisch eintreten."
Streit um Gebietsreform
Die CDU jedoch will von Gebietsreformen nichts wissen. Der Erhalt aller Landkreise ist ein wichtiges Wahlversprechen von Christine Lieberknecht. Ihr Finanzminister Wolfgang Voß kennt die Strukturprobleme sehr genau – und er verteidigt vor dem Mikrofon die Thüringer Kleinstaaterei:
"Die Ministerpräsidentin und die CDU sagt also: Das geht nicht; das geht an der Wirklichkeit von Thüringen vorbei – und das möchten wir nicht."
Bodo Ramelow: "Die CDU läuft mit einem Alarmismus durchs Land und schreit: Die Linken wollen Monster-Kreise! Das ist keine Politik, die zukunftstauglich ist. Die Strategie der CDU war über zwei Jahrzehnte hinweg: Wir sind die Thüringen-Partei; wir sind gut verankert über die Landräte und Oberbürgermeister. Und über diese Strategie eine Landräte-Politik hat man sozusagen eine Landrats-Republik entwickelt. Tatsächlich ist das alles nicht mehr tragfähig."
Die Gebietsreform ist Linken, SPD und Grünen wichtig. Die CDU hat neben einem eher allgemeinen "Weiter So!" nur eines anzubieten: Den Verweis darauf, wie gut es dem Freistaat Thüringen geht. Und deshalb sei alles, was das Land brauche:
"Stabilität und Kontinuität"
... wie es die Ministerpräsidentin nicht müde wird zu wiederholen. Das schöne Thüringen habe eigentlich die CDU erfunden
"Thüringen ist das Land der Originale. Und dafür müssen wir stehen!"
Und einiges spricht dafür, dass vieles gut gelaufen ist in den vergangenen 24 Jahren: Eine florierende Wirtschaft, die Arbeitslosigkeit unter 8 Prozent, intakte Verkehrswege, sanierte, schmucke Städte, niedrige, aber doch steigende Löhne, beste Plätze bei Bildungsrankings; erstmals wurden Schulden getilgt. Thüringen ist zusammen mit Sachsen das Musterkind im Osten. Gerade in Bildungsfragen. Und obwohl der derzeitige Kultusminister Christoph Matschie in der SPD ist, schreibt sich die CDU die Erfolge auf die Fahnen und warnt vor Rot-Rot-Grün. Vor allem der Fraktionsvorsitzende Mike Mohring, der vor ein paar Wochen verkündet hat, die Stimmung in den Lehrerzimmern Thüringens sei so schlecht wie zuletzt unter der DDR-Bildungsministerin Margot Honecker:
"Wenn man jetzt nur noch Ideologie in den Vordergrund stellt, wenn man die Lehrer demotiviert und nicht motiviert, wenn man keine Qualitätsdebatten führt, sondern Inklusion mit Gewalt umsetzen will und nicht Inklusion mit Augenmaß macht, wenn man Gemeinschaftsschule flächendeckend zwangsweise einführen will und nicht Vertrauen hat in die Strukturen vor Ort, dann rutscht das Bildungssystem ab. Und dafür kämpfen wir, dass das nicht passiert."
"Es ist alternativlos, neue Lehrerinnen einzustellen"
In der Tat ist die Stimmung an den Schulen schlecht, die verordnete Inklusion von körperlich oder geistig benachteiligten Kindern funktioniert oft nicht, weil es an Ausbildung und Personal fehlt. Die Lehrer sind alt und oft krank. Daran trägt aber auch die CDU Verantwortung, die jahrelang die Einstellung junger Lehrer blockiert hat. Doch nun hat die CDU die Bildungspolitik als Thema entdeckt. Wenn Rot-Rot-Grün an die Macht käme, so Fraktionsvorsitzender Mike Mohring, dann würde an den Schulen die Schreibschrift abgeschafft, das Gymnasium ebenso und bis zur 8. Klasse auch die Noten. Christoph Matschie ist der kritisierte Kultusminister der SPD.
"Die CDU plakatiert ja gerade überall, dass es um Schulnoten geht. Das ist natürlich kompletter Quatsch! Niemand will in Thüringen die Schulnoten abschaffen. Aber der Eindruck wird erweckt im Wahlkampf."
Die Linke sieht sich in Bildungsfragen mit SPD und Grünen weitgehend auf einer Linie. Die linke Parteivorsitzende Susanne Henning-Welsow ist Bildungsexpertin der Fraktion:
"Alle drei Parteien haben ein kostenloses Kita-Jahr in ihren Wahlprogrammen. Wir wollen das längere gemeinsame Lernen, den Ausbau der Gemeinschaftsschulen. Es ist alternativlos, neue Lehrerinnen einzustellen. In den nächsten sieben Jahren steigen 5.000 altersbedingt aus."
Das längere gemeinsame Lernen bis zur 9. Klasse, die Gemeinschaftsschule, mehr Chancengleichheit für alle – das ist der große Unterschied zur CDU. Das Thüringer Schulgesetz sieht diese Schulform bereits vor. Henning-Welsow:
"Ich glaube, wir reden von 45 Gemeinschaftsschulen in Thüringen zum neuen Schuljahr bei etwa 850 staatlichen Schulen. Das heißt, das ist ein minimaler Anteil derjenigen Schülerinnen, die wirklich länger miteinander lernen können. Wir wollen den Ausbau der Gemeinschaftsschule, so, wie er gesetzlich festgeschrieben ist. Also, wir wollen keine Experimente ausführen, sondern das ausbauen, was es gibt."
Finanzielle Spielräume werden kleiner
Die Debatten über Noten oder Nicht-Noten, über Schreibschrift oder Druckschrift wird wohl mit dem Wahltag enden. Die Diskussion um Gemeinschaftsschulen wird dann erst richtig losgehen, falls es in Thüringen zu einem Rot-Rot-Grünen Bündnis kommt. Denn die CDU sieht das Gymnasium als Schulform und den Schulfrieden in Gefahr. Und damit das gute Abschneiden Thüringens in den Bildungsrankings.
Der Freistaat ist im Großen und Ganzen in einem soliden Zustand. Ob der mit einem "Weiter-So!" in die Zukunft verlängert werden kann, wie es die CDU propagiert, oder ob es entscheidender Veränderungen bedarf, etwa in der Kommunalstruktur, um Geld zu sparen, und in der Bildungspolitik, um mehr Chancengerechtigkeit herzustellen, darüber müssen die Wähler am 14. September entscheiden.
Die finanziellen Spielräume der neuen Landesregierung werden kleiner werden. Denn sicher ist: Die kommende Schuldenbremse und der auslaufende Solidarpakt machen die Länder nicht reicher.
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