Thriller mit Verschwörungstheorien

21.01.2010
"Blut will fließen" ist der Abschluss der Underworld-Trilogie von James Ellroy. Das Werk ist eine Tour durch die jüngere amerikanische Geschichte, in die der Autor sämtliche Verschwörungstheorien einfließen lässt.
Der "Triebtäter der amerikanischen Literatur" ("Süddeutsche Zeitung") hat wieder zugeschlagen. Immerhin acht Jahre hat es gedauert, bis der Großmeister des modernen Grand-Guignol mit "Blut will fließen" den dritten und letzten Teil seiner sogenannten Underworld-Trilogie vollendete.

Nach dem in den Vierziger- und Fünfzigerjahren spielenden L.A.-Quartett nahm sich Ellroy damit die Sechzigerjahre vor, das Jahrzehnt, in denen die USA mit dem Krieg in Vietnam, den Studentenunruhen an der Heimatfront und den Morden an John F. Kennedy, Martin Luther King und Robert Kennedy endgültig ihre Unschuld verloren.

Waren "Ein amerikanischer Thriller" und der Nachfolger "Ein amerikanischer Albtraum" unmittelbar vor beziehungsweise nach dem ersten Kennedy-Mord angesiedelt, beginnt "Blut will fließen" nach den Attentaten auf Robert Kennedy und Martin Luther King, als das Land am Abgrund steht und der unaufhaltsame Aufstieg eines gewissen Richard "Tricky Dick" Nixon zur Präsidentschaft beginnt. Das organisierte Verbrechen leckt noch immer die Wunden, die ihm durch Castros Revolution und den Verlust der Kasinos auf Kuba entstanden sind, und will sich in der Dominikanischen Republik neue Einkommensquellen erschließen.
J. Edgar Hoover, der berüchtigte Direktor des FBI, hockt nach wie vor auf seinem Aktenhort, mit dem er die gesamte politische Elite des Landes erpresst, und plant weitere schmutzige Aktionen gegen "Rote" und "Subversive", Gewerkschafter also, Studenten und vor allem Schwarze. Und hoch oben, abgeschottet in seinem keimfreien Elfenbeinturm, zieht der wahnsinnige Milliardär Howard Hughes seine Fäden.

Altbekanntes Personal taucht wieder auf, etwa der FBI-Mann Dwight Holly als "Eintreiber" und Vertrauensmann von Hoover. Die interessanteste Figur aber ist Don Crutchfield, ein Spanner, Botenjunge und Abhörspezialist, zumal Ellroy mit dem bekannten Privatdetektiv erstmals eine noch lebende Person in den Mittelpunkt eines Romans stellt und sie quasi als sein Alter Ego auftreten lässt.

Ansonsten serviert der Autor die bekannte Kost: Zur Exposition gibt es eine blutige Straftat, um deren Aufklärung sich dann der Rest der Geschichte dreht. Dazu kurze Stakkatosätze, die den Leser unter Dauerbeschuss setzen, sowie die üblichen Dokumenteneinschübe, Tagebucheintragungen, Abhörprotokolle etc.

Und nachdem der Autor über fast 600 Seiten mit einem vielhundertköpfigen Personal, darunter allerlei verlotterte Prominenz aus Film, Musik und Sport, ein schier undurchdringliches Labyrinth mit gefühlten Tausenden von Todesopfern angelegt hat, räufelt er das Knäuel auf den letzten Seiten nach und nach auf.

Das Erstaunliche dabei ist immerhin, dass Ellroy, der sich selbst als reaktionär bezeichnet, diesmal nicht nur eine geradezu befremdliche Sympathie für die "subversiven Elemente" erkennen lässt, sondern überdies auch noch eindringlich zeigt, was der Preis ist, den man für den bedingungslosen Erhalt der Macht zahlen muss.

"Blut will fließen" erreicht, wie schon die Vorgänger, nicht die konzentrierte Wucht, die Ellroys Frühwerk ("Browns Grabgesang", "Heimlich" oder "Stiller Schrecken") auszeichnete, aber es ist einmal mehr eine aberwitzige Tour de Force durch die jüngere amerikanische Geschichte, in die der Autor sämtliche Verschwörungstheorien einfließen lässt, die landauf, landab kursieren.

Besprochen von Georg Schmidt

James Ellroy: "Blut will fließen",
Aus dem Amerikanischen von Stephen Tree
Ullstein Buchverlage Berlin, 782 S., 24,90 Euro