Thriller

"Breaking Bad" in Amsterdam

Von Wolfgang Schneider · 25.11.2013
Menschenhasser Fred Moorman trifft in "Odessa Star" auf den Kriminellen Max G.: Aus einer aufgewärmten Freundschaft entwickelt sich ein Thriller zwischen bürgerlichem Milieu und Unterwelt.
"Odessa Star“, im Original 2003 erschienen, ist eine Art Amsterdamer "Breaking Bad". Fred Moorman heißt die Hauptfigur, ein Mann in Midlife-Krise, Kleinwagen-Fahrer und in den Augen seiner Frau und seines pubertären Sohnes schon lange kein Held mehr. Kleinste Anlässe genügen, um bei ihm Anfälle von Menschenhass auszulösen. Auch wenn er mit einem Lächeln gerade noch die Fassade wahrt, sein Innenleben gleicht einem Tarantino-Massaker.
Dabei ist er offenbar recht wohlhabend, immerhin hat er mit seiner Frau ein größeres Haus gekauft. Leider ist die Wohnung unter ihnen noch vermietet an eine alte, kranke Frau, die ihren Hund nicht mehr ausführen kann. Das Tier setzt seinen Kot notgedrungen in Haus und Garten ab. Das stinkt Moorman gewaltig.
Da trifft es sich gut, dass er eines Tages seinen alten Schulfreund Max G. wiedertrifft: Angeberwagen, Frau wie eine Trophäe, alphamännliches, brutales Auftreten. Er ist anscheinend sehr erfolgreich in kriminellen Bahnen unterwegs; der Roman begnügt sich mit Andeutungen des Mafiösen, osteuropäisch Verruchten. Moorman ist beeindruckt und drängt sich Max G. mit seiner alten Freundschaft und seinen neuen Problemen geradezu auf. Bei Max sind Todeswünsche gut aufgehoben. Als Moormans aus dem Urlaub zurückkehren, ist die lästige Alte wie vom Erdboden verschluckt.
Hauptfiguren mit psychischem Getriebeschaden
Herman Kochs Roman „Angerichtet“ war ein Weltbestseller. Das Ungemütliche an seinen Büchern besteht darin, dass er sehr ambivalente Erzähler-Stimmen konstruiert: Männerfiguren mit starken Meinungen und psychischem Getriebeschaden. Die Empfindlichkeit für Zynismus wächst ja, je gerechter und korrekter es in unserer Welt zugehen möchte; gewisse Witze über Minderheiten werden heute nicht einmal mehr hinter vorgehaltener Hand geraunt. Die negativen Affekte dürften aber kaum geringer geworden sein. Hermann Koch hat die Kluft, die sich da auftut, zu seinem literarischen Arbeitsgebiet gemacht.
Anders als in „Angerichtet“ verselbständigt sich in „Odessa Star“ die Gehässigkeit jedoch und bringt unappetitliche Wucherungen hervor. Hässliche Frauen, belgische Senioren – bei jeder Gelegenheit lässt Moorman den inneren Hassprediger von der Leine; gar nicht beruhigen kann er sich über einen Jungen mit Down-Syndrom, der seine Urlaubslaune auf Menorca beeinträchtigt.
Dient das Ganze dazu, Moorman als Vertreter einer haltlos gewordenen Mittelschicht zu entlarven? Schließlich geht es ja auch in „Breaking Bad“ darum, die Scheidewand zwischen bürgerlichem Milieu und Unterwelt aufzuweichen und das Böse in die Existenz eines Durchschnittsbürgers einsickern zu lassen. Nur tut sich Koch schwer damit, diese Struktur in eine plausible, komödiantisch ergiebige Handlung einzukleiden.

Max G. verlangt von Moorman Gegenleistungen für die hilfreichen Eingriffe in seinen Alltag. Bei einem großangelegten Betrug im Quiz „Wer wird Millionär“ soll er den allwissenden Kandidaten mimen. Es kommt anders, und am Ende wird die Charakterstudie eines fiesen Mannes zum Thriller mit Kopfschüssen. Auch wenn „Odessa Star“ schwächer ist als Kochs spätere Werke, sind deren Qualitäten bereits zu erkennen: die Kreuzung von Familienroman und Thriller, die raffinierte Erzählkonstruktion und das gekonnt gehandhabte Stilmittel des unzuverlässigen Erzählers.

Herman Koch: Odessa Star
Aus dem Niederländischen von Christiane Kuby
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013
320 Seiten, 19,99 Euro

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