Thomas Vašek: "Land der Lenker"

Warum verklären so viele Deutsche das Auto?

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Ein voll besetzter Mercedes 32 95, Baujahr 1922, beim Kaiserpreisrennen in Bad Homburg
Autonarren bei der Ausfahrt: Ein voll besetzter Mercedes 32 95, Baujahr 1922, beim Kaiserpreisrennen in Bad Homburg. © picture alliance / imageBROKER / Kurt Möbus
Von Christian Berndt · 26.05.2019
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Trotz Klimakrise und Dieselskandal: Auf ihr Auto lassen Millionen Deutsche nichts kommen. Woher kommt diese spezielle deutsche Liebe? Thomas Vašek sucht in dem Buch "Land der Lenker" nach Gründen – und einer zeitgemäßen Haltung zum Auto.
"Deutschland wird das dichteste und modernste Autobahnnetz Europas, wahrscheinlich der Welt haben. Wir müssen alle mithelfen, das moderne Deutschland zu schaffen."

Nationales Fortschrittssymbol

Der SPD-Wahlwerbespot von 1969 zeigt die Autobahn als Symbol des Fortschritts. In Deutschland wird das Auto bis heute als nationales Symbol verehrt, das für den Aufstieg des Landes zum Exportweltmeister steht. Dabei wurde schon Anfang der 70er-Jahre, wie hier in einem ZDF-Dokumentarfilm, die Zukunftsfähigkeit des Autos hinterfragt:
"14 Millionen Autos drängen sich auf den Straßen der Bundesrepublik. Sie verpesten unsere Atemluft, das Leben in unseren Städten droht in Blech, Abgasen und Lärm zu ersticken."
Die Forderungen nach einer Abkehr von der deutschen Fixierung aufs Auto und nach neuen Perspektiven in Fragen der Mobilität haben durch den Klimawandel an Dringlichkeit gewonnen. Doch ist Deutschland, das aus Rücksicht auf die Autoindustrie als einziges Land der Welt kein generelles Tempolimit auf Autobahnen kennt, dazu in der Lage?
Die Deutschen, so der Chefredakteur des Philosophie-Magazins "Hohe Luft", Thomas Vašek, pflegten eine besondere Liebe zum Auto:
"Ich glaube, dass der deutsche Autofahrer ein Produkt der deutschen Automobilgeschichte ist und des automobilen Systems, das dieses Land wie wenig andere Länder bis in den hintersten Winkel durchdringt."

Das Auto als Selbstzweck

Vašek untersucht in seinem neuen Buch "Land der Lenker", wie es zur speziellen deutschen Auto-Liebe kam, die in der Frühzeit der Motorisierung alles andere als absehbar war:
"Das Auto wurde zwar in Deutschland erfunden, aber bis in die 30er-Jahre konnte von einem Auto-Boom in Deutschland überhaupt nicht die Rede sein. Man wollte damals schon die besten Autos bauen, nicht für die breite Masse, sondern man wollte die technische Perfektion realisieren."
Während die Amerikaner einfache Massenmodelle produzierten, tüftelten deutsche Ingenieure an brillanten Autos für wenige:
"Ich glaube, dass das Auto in Deutschland im Unterschied zu anderen Ländern immer etwas Selbstzweckhaftes ist. Es gibt das berühmte Diktum von Richard Wagner, wenn etwas deutsch ist, dann ist es, eine Sache um ihrer selbst willen zu tun."

Die Deutschen verwechseln freie Fahrt mit Freiheit

Diese Haltung, so Vašek, wirke bis heute nach – erkennbar unter anderem daran, dass immer PS-stärkere Autos konstruiert würden, ohne dass es dafür irgendeinen praktischen Nutzen gebe. Nirgendwo sonst werde das Auto so als Ausdruck eigener Individualität betrachtet und die freie Fahrt auf der Autobahn derart mit Freiheit verwechselt. Vašek sieht in dieser Überhöhung des Autos ein Erbe der deutschen Romantik:
"Das Romantische besteht ja ganz wesentlich in der Verklärung. Angewandt auf das Automobil, einen kühlen, technischen Gegenstand zu überhöhen zu etwas geradezu Magischem. Und das scheint mir charakteristisch für das Verhältnis vieler Deutscher zum Auto."
Der Autor und Philosoph Thomas Vasek ist Chefredakteur der Philosophie-Zeitschrift "Hohe Luft" , aufgenommen am 07.09.2014 in Köln.
Thomas Vasek, Chefredakteur der Philosophie-Zeitschrift "Hohe Luft"© dpa / picture alliance / Horst Galuschka
Die Verbindung von Romantik und Auto zogen schon die Nazis. Goebbels sprach von "stählerner Romantik", auf NS-Werbe-Plakaten sahen die neuen Autobahnen - eingebettet in die Natur - wie Flussläufe aus. In der NS-Diktatur wurden die Voraussetzungen für den Aufstieg des Autos zum nationalen Symbol geschaffen:
"Dank der Maßnahmen der Reichsregierung hat die deutsche Autoindustrie einen ungeheuren Aufschwung genommen."

Im Mittelpunkt steht Fahrspaß, nicht Nachhaltigkeit

Der Autofan Hitler wollte eine Massenproduktion wie in den USA und ließ das Volkwagen-Werk errichten. Aber erst in der Nachkriegszeit konnten die Pläne vom Auto fürs Volk verwirklicht werden. Der VW-Käfer wurde zum weltweiten Exportschlager und Symbol des friedlichen, neuen Deutschlands. Mit dem Käfer wurde die dunkle Vergangenheit verdrängt und integriert zugleich. Heute, so Vašek, sei der trotz Abgasskandalen andauernde, weltweite Erfolg deutscher Autos ein Fluch, weil er notwendige Innovationen blockiere:
"Das deutsche Auto ist so konstruiert, dass der Fahrer immer im Mittelpunkt ist mit seinen Bedürfnissen. Sie haben da lauter technische Features, die im Wesentlichen auf den Fahrer zugeschnitten sind, nicht auf den Beifahrer oder die Leute, die hinten sitzen. Es geht um den Spaß des Fahrers."
Mobilität müsse aber nicht nur wegen des Klimawandels, sondern auch angesichts der digitalen Revolution aus anderen Perspektiven gedacht werden. Für den Architekturkritiker Hanno Rauterberg löse das Smartphone in gewisser Weise das Auto als Mobilitäts-Symbol ab:
"Die These ist, dass speziell die Jungen keine Lust mehr haben, sich in eine Ego-Kapsel namens Auto zu setzen, sondern dass da für viele das Smartphone, Social Media usw. eine neue Form von Verbindung schaffen zwischen A und B."

Neue Autos, neues Land

Die Herrschaft des Autos in Deutschland müsse gebrochen werden, so Vašek, es könnten schlicht nicht immer mehr Autos und Straßen gebaut werden. Wie schwierig diese Auseinandersetzungen aber würden, zeige der Widerstand gegen die Einführung eines Autobahn-Tempolimits, das zum Angriff auf die nationale Identität stilisiert werde.
Der Abschied vom Fetisch Auto erfordert nicht weniger, so Vašek, als die Neuerfindung des Landes.

Thomas Vašek: "Land der Lenker. Die Deutschen und ihr Auto"
wbg Theiss, Darmstadt 2019
192 Seiten, 25 Euro

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