Thomas-Struth-Werkschau in München

Wenn Fotos die Straßenfluchten ordnen

Besucher vor Thomas Struths großformatigen Foto "Ulsan 2" in der Ausstellung "Thomas Struth: Nature and Politics" im High Museum of Art Atlanta, aufgenommen am 13.10.2016
Besucher vor Thomas Struths großformatigen Foto "Ulsan 2" © picture alliance / dpa / Erik S. Lesser
Von Tobias Krone · 04.05.2017
Thomas Struth wurde bekannt für seine großflächigen Panoramen von Metropolen weltweit. Das Haus der Kunst in München zeigt mit "Figure Ground" nun eine Gesamtschau zum Werk des Fotografen. Dort ist erstmals sein privates Archiv zu sehen.
Nüchtern liegen sie da, Straßenfluchten aus der westdeutschen Nachkriegszeit in Schwarz-Weiß, posturbane Stillleben – sonntäglich leergefegt. Wie in einer Vergleichsstudie hängen sie Bild an Bild: Fotografien aus Detmold finden sich hier in einer Reihe mit dem Financial District Manhattans und einem Slum in Lima. Thomas Struth stellt Stadtstrukturen nebeneinander. Von Beginn an hat er sie analysiert – nicht nur in eigenen Fotografien, wie er erzählt:
"Ich hab zufällig damals als Student irgendwo im Sperrmüll glaub ich so zehn komplette Jahrgänge Spiegel gefunden, und hab gedacht, okay, ich will Architekturfotografie – interessiert mich, ich schneide einfach alle Architekturfotos aus, die in den zehn Jahren sind und montier die auf so kleine Blätter und untersuche, hat sich in den zehn Jahren im Blick auf die Architektur was geändert in der Zeit."

"Es gab keine seriösen Künstler oder keine Künstlerin meiner Generation, der oder die Maler, Malerin gewesen wäre." Das sagt der Fotograf Thomas Struth. Er selbst hat bei Gerhard Richter angefangen Malerei zu studieren, dann Fotgrafie bei Bernd Becher. Empfindet er die Fotogragie, seine Form des künstlerischen Ausdrucks, also als zeitbedingt? Wäre Malerei für ihn "unzeitgemäß"gewesen? Das hat Max Oppel ihn unter anderem in "Kompressor" gefragt.
Audio Player

Das Privat-Archiv ist ausgestellt

Zum ersten Mal ist nun auch sein privates Archiv zu sehen – die Ausstellung "Figure Ground" im Haus der Kunst zeigt Struths Werk hinter dem Werk. In seinen frühen Sammlungen von Architekturfotos aus Magazinen und auf Postkarten zeigt sich sein "Bedürfnis nach Struktur", wie Struth es nennt, Chaos gebe es schließlich genug:
"Gebrochenheit, Verzweiflung, Gewalt, - das ist sozusagen auch schon um uns herum die ganze Zeit."
Die Strukturen im Werk von Thomas Struth erschließen sich oft erst im Betrachtenden selbst. Etwa im sogenannten Berlin Projekt von 1997, einer 4-Kanal-Videoprojektion: Vordergründig filmen Struth und sein Partner Klaus vom Bruch in chinesische Innenstadtstraßen hinein, die über und über mit Werbebotschaften vollgehängt sind. Ein chaotischer Himmel aus Zeichen; für den europäischen Betrachter verwebt er sich ironischerweise zu einer abstrakten harmonischen Textur.
Die monumentale Größe und Höhe der Räumlichkeiten im Haus der Kunst ist ideal für Struths großformatige Bilderserien: Die Werke suchen sich ihren Platz – und entfalten hier ihre eigentümliche Monstrosität. Etwa die Serie "Nature and Politics", eine jüngere Arbeit, in der Struth die Versuchsaufbauten in naturwissenschaftlichen Forschungsinstituten porträtiert: Spektrometer und andere Messgestelle, teils wild zusammenimprovisiert aus Kabeln und Schläuchen:
"Also ich hab einfach angefangen, die Türen zu öffnen zu einigen von diesen Plätzen, um das zu untersuchen: Wie sieht das eigentlich aus? Was für eine Art von Skulpturen sind das, die aus Gedankenstrukturen geronnen sind und welche Ausstrahlung haben diese Skulpturen?"
Für Struth drücken diese Bilder eine Skepsis aus:
"Wie kann ich thematisieren, dass ich etwas Zweifel habe an dem Heilsversprechen der Technologie? Also ich bin da prinzipiell gar nicht dagegen, ich bin natürlich auch gar nicht gegen Wissenschaft, aber ich bezweifle, dass es die die alleinseligmachende Hoffnung ist."
Wie wird Handwerkliches zur Kunst, wo genau liegt das Moment der Sakralisierung? In seiner Videoarbeit "Play it like seeing it for the first time” von 2003 sieht Thomas Struth mit der Kamera dem Gitarrenvirtuosen Frank Bungarten dabei zu, wie er zusammen mit seinen Studierenden an der Hochschule Luzern die musikalische Perfektion erarbeitet.

Fokus auf Reaktionen des Museumspublikums

Thomas Struth dekonstruiert sie auch, die Kunst – etwa in seinen "Museum Photographs". Darin ergründet er in großen Kunsttempeln die Interaktion der Gemälde mit dem massentouristischen Kunstpublikum – und nimmt es gleichzeitig aufs Korn. Struth treibt sein Spiel mit Schatten und Perspektiven, mit den Figuren auf dem Gemälde und den Figuren, die davorstehen - eine Lockerungsübung des Publikums:
"Die Leute in den Museen, die ich da sah, die haben einfach zu viel Respekt, im Louvre fühlen sich die Leute von den Werken eingeschüchtert. Die haben größtenteils gar keinen Zugang dazu, dass die Leute, die das gemacht haben, auch frühstücken mussten und duschen mussten, und Sorgen hatten, die man den Bildern nicht mehr ansieht."
Wem es gelingt, eine solche Ironie dem schwergewichtigen Werk Thomas Struths abzugewinnen, der dürfte an dieser Ausstellung große Freude haben.

Die Ausstellung "Thomas Struth: Figure Ground" ist vom 5. Mai bis zum 17. September 2017 im Haus der Kunst in München zu sehen.

Mehr zum Thema