Thomas de Padova: "Alles wird Zahl"

Die wenig bekannte Vergangenheit unserer Mathematik

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Das Buchcover "Alles wird Zahl" von Thomas de Padova ist vor einem grafischen Hintergrund zu sehen.
Das uns heute so vertraute Zahlensystem mit den zehn Ziffern von 0 bis 9 etablierte sich erst im 15. Jahrhundert in Europa. © Deutschlandradio / Hanser Verlag
Von Gerrit Stratmann · 12.05.2021
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Wir alle benutzen die Symbole +, - und = mit großer Selbstverständlichkeit. Dass es dafür aber Mönche, Kaufleute, Drucker, Glücksspieler und Künstler brauchte, erzählt der Wissenschaftsjournalist Thomas de Padova in seiner spannenden Zeitgeschichte.
Thomas de Padova wirft in seinem üppig mit Zeitkolorit angefüllten Buch "Alles wird Zahl" einen Blick auf die deutsch-italienische Renaissance. Seine Hauptakteure aber sind weder Herrscher, Päpste noch Handelsdynastien, sondern Mönche, Kaufleute, Drucker, Glücksspieler und Künstler.
Ihnen ist nicht nur die Wiederentdeckung der antiken griechischen Mathematik zu verdanken, sondern auch ihre Transformation. Ein neues Zahlensystem und eine neu entwickelte Formelsprache führen die europäische Mathematik aus dem Mittelalter in die Neuzeit.

Ein neues Zahlensystem

An alten Bauwerken hat das römische Zahlensystem in Jahreszahlen wie MCCCCLXII bis heute überlebt. Aber in der Mathematik spielt es zum Glück keine Rolle mehr, denn zum Rechnen ist es denkbar ungeeignet.
Das uns heute so vertraute Zahlensystem mit den zehn Ziffern von 0 bis 9, das in Indien entwickelt und in arabischen Quellen des Mittelalters überliefert wurde, etablierte sich erst im 15. Jahrhundert in Europa, an der Wende vom Spätmittelalter zur Renaissance.

Albrecht Dürer, ein Geistlicher und ein Glücksspieler

In diese Zeit taucht Thomas de Padova mit seinem Buch ein und holt eine Reihe bekannter und weniger bekannter Protagonisten ans Tageslicht, ohne deren Bemühungen sich dieser folgenschwere Wandel kaum vollzogen hätte.
Johannes Müller, der als Regiomontanus bekannt wurde, weil er aus Königsberg stammte, der italienische Glücksspieler Girolamo Cardano sowie der protestantische Geistliche Michael Stifel sind seine Helden. Außerdem Künstler wie Leonardo da Vinci und Albrecht Dürer.

Die neue Null

Zwischen Pest, Kreuzzugsplänen und Astrologie-Gläubigkeit erzählt de Padova von der langsamen Akzeptanz der neuen Null unter Kaufleuten, die mit ihren Rechnungen und Geschäftsbriefen dafür sorgten, dass sich das neue Zahlensystem verbreitete.
Von der Wiederentdeckung der griechischen Geometrie ist die Rede, von der Einführung der Zentralperspektive in die Malerei und dem Eifer, mit dem da Vinci und Dürer ihre Kunst als genaue Wissenschaft behandeln.

Kunst und Kultur wären ohne Mathematik ärmer [AUDIO]
Die Mathematik eigne sich zum Träumen, sagt der Wissenschaftsjournalist Thomas de Padova im Interview mit der "Lesart". Als Beispiel nennt er von Künstler Gerhard Richter gestaltete Fenster im Kölner Dom. Das wunderbare Lichtspiel entstand nach einem mathematischen Zufallsprinzip.

Porträt des Autors Thomas de Padova.
© © Götz Schleser
Von der Wirkung des Buchdrucks, der innerhalb weniger Jahrzehnte für eine nie dagewesene Verfügbarkeit von altem und neuem Wissen sorgte. Und von der Weiterentwicklung der Mathematik zu einer neuen, einheitlichen Formelsprache mit den uns heute noch bekannten Zeichen +, -, = und √.

Detailreicher Blick in die Geschichte

"Alles wird Zahl" besticht durch seinen detailreichen Blick auf eine historische Epoche, in der die Mathematik sich endgültig von der anschaulichen Geometrie löste und mit den Formeln der Algebra anfing, eigenständige Wege zu gehen.
Thomas de Padova zeichnet ein lebendiges Panorama dieser Zeit, die trotz ihrer Bedeutung für die moderne Mathematik selbst unter Mathematikstudenten bis heute kaum bekannt ist. Das zu ändern, ist dem Wissenschaftshistoriker mit seiner facettenreichen Geschichtslektion auf wunderbare Weise gelungen.

Thomas de Padova: "Alles wird Zahl. Wie sich die Mathematik in der Renaissance neu erfand"
Hanser/ München 2021
384 Seiten, 25 Euro

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