Thomas Bayrle im Lenbachhaus München

Die zarte Schönheit kraftstrotzender Maschinen

Ein Sternmotor von Thomas Bayrle 2012 in der Ausstellungshalle auf der documenta (13) in Kassel
Ein Sternmotor von Thomas Bayrle 2012 in der Ausstellungshalle auf der documenta (13) in Kassel © picture alliance / dpa / Boris Roessler
Von Astrid Mayerle · 12.12.2016
Seit 40 Jahren beschäftigt sich der Pop-Art-Pionier Thomas Bayrle mit Konsumgütern wie dem Automobil. Martialischen Maschinen entlockt er eine eigene Schönheit. Seine neue Wandarbeit "Autobahn" im Münchner Lenbachhaus verbindet Analoges mit den Datenbahnen der Zukunft.
Vor und hinter mir insgesamt 14 Skulpturen, alle gefertigt aus Fahrzeugmotoren. Jede stöhnt, ächzt, atmet anders. Ein chorischer Staffellauf - denn während die eine verstummt, läuft die nächste an.
In das typische Antriebsgeräusch eines Motors mischen sich Rosenkranzlitaneien und christliche Messgesänge.
Die "Save the date"-Ausstellung von Thomas Bayrle im Münchner Lenbachhaus befremdet mich und geht mir dennoch sehr nah. Befremden, weil diesen Maschinenwesen etwas Martialisches eigen ist. Ich rätsle, wie die Einzelteile vormals aussahen. Denn die Motoren sind stark bearbeitet, in der Mitte aufgesägt und wie Schmetterlingsflügel symmetrisch aufgeklappt.

Analogien zwischen Ikonen und Maschinen

Nah geht mir, dass Thomas Bayrle diesen kraftstrotzenden Wesen eine eigene Schönheit entlockt. Im Detail sogar eine zarte Schönheit. Ein ständiges Changieren zwischen buchstäblicher Brachialität und tänzerischer Anmut geht von den silbergrauen Metallgebilden aus. Ihre Vorgeschichte, so Thomas Bayrle, führt nach Russland:
"Künstler machen ja öfters mal ne Behauptung und die ist bei mir ungefähr 40 alt. Dass ich in Russland war und die Ikonen in Susdal und Novogrod gesehen habe und damit auch direkt ne Verbindung zur russischen Avantgarde herstellen konnte, dass die von den Ikonen stark beeinflusst waren. Und das Interessante daran ist, dass die total genormt sind. Das heißt, alle Funktionen der Herstellung einer Ikone sind genormt und zum Beispiel die Proportionen und Farben, die Art wie die Ikone zusammengesetzt wird und so weiter."
... was Thomas Bayrle sofort an die Produktion von Autos erinnerte.
"Das war sofort da, das auf einen Mercedes zu übertragen zum Beispiel. Der hat 8000 Teile und die Ikone vielleicht 80 und die Wiederholung, die immer gleiche Wiederholung, hat ja eine etwas winzige Abweichung. Und das interessiert mich auch. Ich glaube fest daran, dass es in Wirklichkeit nichts Gleiches gibt, nur sehr Ähnliches."
Der Künstler Thomas Bayrle posiert - die Arme ausgebreitet, den Blick zur Decke - 2009 im MACBA Museum in Barcelona vor einem seiner Werke.
Der Künstler Thomas Bayrle vor einem seiner Werke© picture-alliance / dpa / epa / Andreu Dalmau
Wiederholung als Prinzip erkenne ich auch in der reliefartigen Wandarbeit mit dem Titel "Autobahn". Doch der Singular trügt: Ein Flechtwerk sich kreuzender Fahrspuren ist so dicht verwoben wie Kette und Schuss der dunkelblauen Winterjacke, die Thomas Bayrle trägt. Die Autobahn in ihrer invasivsten oder besser noch: in ihrer gefräßigsten Form. Kein Zwischenraum bleibt mehr übrig. Eva Huttenlauch, Kuratorin der Schau:
"Thomas Bayrle ist in Frankfurt groß geworden. Das Frankfurter Kreuz ist eines der ersten Autobahnkreuze in Deutschland und eines der größten in Europa. Täglich fahren 350.000 Autos über dieses Autobahnkreuz."
Diese Transitorte, die beschäftigen ihn seit jeher.
Astrid Mayerle: "Wie ist Ihr Verhältnis zum Auto, was für eins haben Sie?"
Thomas Bayrle: "Ich fahr schon immer den gleichen BMW, den mein Bruder abgelegt hat. Mein Bruder hat 30 Jahre im Werk gearbeitet und ich nehme seine abgelegten Autos an."
Astrid Mayerle: "Was für ein Verhältnis haben Sie zum Auto?"
Thomas Bayrle: "Es ist ein tolles Instrument, ein rückständiges Element. Ich bin total positiv dazu aber weiß genau, was es anrichtet und was es bewirkt – auch Arbeitsplätze und soziale Einrichtungen."
Hier spricht ein heiterer Kulturkritiker oder ein nachdenklicher Kulturoptimist. Einer, der die Dinge gern von beiden Seiten sieht. Die "Autobahn" hat Thomas Bayrle eigens für den Kunstbau, die 110 Meter lange unterirdische Flucht, ein ehemaliges U-Bahn Zwischengeschoss, konzipiert.

Die Autobahn - nur eine Begleitung der Schau

Eva Huttenlauch: "Als wir hier mit Herrn Bayrle vor anderthalb Jahren in diesem Raum standen und er ihn zum ersten Mal gesehen hat, mit Blick auf seine eigene Ausstellung, war vollkommen klar, hier muss erstens ne 'Autobahn' rein und hier müssen zweitens Motoren rein."
30 mal 5 Meter misst das Gebilde, das fast immer in meinem Blick ist und mich auf Schritthöhe lange begleitet. Und genau das bleibt mir diese Autobahn: nur eine Begleitung zur Schau, aber nicht ein wesentliches Element. Mir sind all die Konnotationen, die sie aus der realen Welt, hier hineinträgt in den Kunstbau, zu offensichtlich, zu plakativ.
Vielmehr überzeugen die neun Filme, die zwischen Ende der 70er-Jahre und 2007 entstanden sind. Sie umfassen das filmische Gesamtwerk des Künstlers. In München werden sie für mich zum geistigen Brennpunkt der Ausstellung und gleichzeitig finde ich hier eine ganz eigene und für den Künstler typische Handschrift: Anstelle von Pixeln fügen sich viele kleine Einzel-Bilder zu einem Gesamtbild. Aus tausenden winziger Autos entsteht ein gekreuzigter Christus.
Das ständige Heran- und wieder Wegzoomen generiert ein überraschendes Changieren von abstrakten und konkreten Bildern. Hier zeigt sich der Pionier der Deutschen Pop Art in all seinen Facetten. Allein wegen der Filme lohnt ein Besuch der Schau.

Hören Sie auch ein Gespräch mit dem Künstler Thomas Bayrle zu seiner monumentalen Wandarbeit "Autobahn", die eigens für die Ausstellung im Lenbachhaus entstanden ist:

"Die Autobahn wird immer mehr zum Kontrollsystem. Es wird automatisch abkassiert werden. Es werden automatisch gelenkte Teilstrecken mindestens entstehen. Auf der anderen Seite hat die aber auch was unheimlich Primitives und Glattes. Dieser Begriff, der wird ja auch geradezu wie so ein Dum-Dum-Geschoss überall reingebracht seit Jahrzehnten. Und natürlich Analogien hergestellt zum Geldverkehr, zum Warenverkehr, zu allen möglichen Verkehrssystemen, so dass das ein Weg ist, der in die sogenannte moderne Gesellschaft führt."
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