"This is not Greece"

Über das Scheitern deutscher Journalisten

Deutsche Tageszeitungen am 13. Juli 2015
Deutsche Tageszeitungen vom 13. Juli 2015. Thema Nr.1: Griechenland. © Deutschlandradio-Maurice Wojach
Axel Schröder · 07.08.2015
Warum berichten deutsche Medien in der Griechenland-Krise so einseitig? Mit dieser Frage beschäftigt sich die Schwerpunkt-Reihe "This is not Greece" beim Sommerfestival im Hamburger Kampnagel.
Griechenland muss liefern, seine Hausaufgaben machen. Auch wenn es den Griechen schwerfällt, wenn sie endlich mal richtig arbeiten müssen - wie wir Deutschen! In Hamburg, auf Kampnagel wurde heute das Kontrastprogramm zu diesen gängigen Phrasen der Griechenland-Krise geboten. Oder war es nicht vielleicht doch auch eine Krise des deutschen Journalismus, die die immer gleichen Berichte, den immer gleichen Tenor in fast allen deutschen Zeitungen, TV- und Radio-Sendern hervorbrachte?
Genau so sieht es die Kuratorin des Griechenland-Schwerpunkts des Sommerfestivals auf Kampnagel Margarita Tsoumou. Für das deutsch-griechisch gemischte Publikum hielt sie ihr Eingangs-Statement auf Englisch:
"The Greek was finally portrayed as lazy and greedy. As a "Trickser", a swindler, a "Betrüger", "ein unaufrichtiger Kleinkrimineller", a corrupt little criminal. And also as a undisciplined schoolchild, ein "undiszipliniertes Schulkind". "This is not Greece!" This is a phantasma! This is a myth! The facts state the opposite! No! This is not Greece!"
Eindimensional beschrieben
"This is not Greece" ist die Schwerpunkt-Reihe des Sommerfestivals überschrieben. Warum die deutschen Medien, eine erdrückende Mehrheit von deutschen Journalisten Griechenland und die Griechen so eindimensional wie in den letzten Monaten beschrieben haben, darauf suchte Margarita Tsoumo heute Abend Antworten. Und zwar zusammen mit drei Journalisten, die einen anderen Blick auf die Krise haben als die meisten ihrer Kollegen.
Mit dem österreichischen Autoren Robert Misik, dem Spiegel-Reporter Georg Diez und dem Wirtschaftsjournalisten Harald Schumann. Für seine Arte-Dokumentation über die Bankenrettung war Schumann 2013 mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet worden.
"Ich bin seit 32 Jahren Journalist. Und was da passiert ist, habe ich in 32 Jahren nicht erlebt! Wenn mir jemand vor einem gesagt hätte, sämtliche deutschen Qualitätsmedien - von der Tagessschau über die FAZ, der Süddeutschen und meiner eigenen Zeitung, dem Tagesspiegel - würden über mehrere Monate journalistische Standards brechen - also, nicht mal ausnahmsweise... das passiert andauernd - also bei einem Thema kontinuierlich journalistische Standards brechen, dann hätte ich gesagt: "Ey Alter, lass die Kirche im Dorf! Wir sind schlecht! Aber so schlecht sind wir auch nicht!"
Sicht der Regierung eins zu eins übernommen
Und trotzdem, so Schumann, ist genau das passiert. Geschätzte, kritische Kollegen hätten plötzlich den differenzierten Blick auf die Dinge verlernt, ausgeblendet und hätten die Sicht der deutschen Regierung auf die Krise eins zu eins übernommen. Aber warum?
"Die einzige Erklärung, die ich dafür gefunden habe, ist: da findet ein Akt der Selbstüberhöhung statt. Von Menschen, die selbst schwer unter Druck sehen. Die das Gefühl haben, ihnen wird auch nichts geschenkt., die unheimlich hart arbeiten müssen, die im Stress stehen und so weiter. Und die deswegen latent und schon seit langer Zeit unter starken Statusängsten leiden! Und denen ist eine Projektionsfläche angeboten worden, mit deren Hilfe sie sich selber erhöhen können, dadurch, dass sie sagen: "Wir Deutschen sind besser als die Griechen!" Ich meine: dieses Erzählung war von Anfang an Quatsch!"
Aber diese Sicht, nach Schumann: dieses nationalistische Ressentiment war immerhin Regierungsmeinung geworden. Vorgetragen von der Bundeskanzlerin und altgedienten, im Volke beliebten Ministern. Auch Georg Diez vom Spiegel befürchtet, dass die Zukunftsängste von Zeitungsjournalisten in Zeiten boomender, kostenfreier Online-Nachrichten zum Schwund an kritischer Recherche geführt haben. In diesen Zeiten sähen viele die Nähe zur Macht, den Zugang zu Informationen von möglichst hochrangigen Regierungsvertretern als Garant dafür, den eigenen - auch finanziellen - Status zu sichern.
"Das ist der wahre Finger, der ein Problem ist"
Auch am nächsten Tag wird dem Publikum diese andere Perspektive auf Griechenland geboten. Dann berichtet der kroatische Philosoph Srecko Horvat das Sommerfestival auf Kampnagel. Horvat war es, der den geschassten griechischen Finanzminister Giannis Varoufakis einst zu seinem "Subversive Festival" nach Zagreb eingeladen hatte. Lange bevor er Finanzminister wurde, zeigte er dort bei einem Vortrag den Deutschen, besser: der deutschen Austeritätspolitik, den Mittelfinger. Die Aufregung darum versteht Srecko Hrovath bis heute nicht:
"Ist es wirklich dieser Finger, der ein Problem ist? Oder ist der Finger der Austeriätswirkungen der wahre Finger, der ein Problem ist? In Griechenland gibt es heute mehr als eine Millionen Menschen ohne Arbeit. Das sind etwa 30 Prozent der Population.. 60 Prozent der jungen Leute haben keine Arbeit. Und ich würde sagen: das ist der wahre Finger, der ein Problem ist. Und nicht eine symbolische Geste vor zwei Jahren von einem Mann, der da nur ein Ökonomist war..."
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