Think global, act local

Was uns die 68er voraus haben

Von Mirjam Schaub · 18.02.2018
"Kühnes und entschiedenes Handeln" gegen den Krieg forderte Rudi Dutschke vor 50 Jahren auf dem Vietnamkongress - die Initialzündung der Studentenbewegung. Was ist vom revolutionären Elan geblieben? Und was können wir von den 68ern lernen?
Unmögliche Frisuren, die Mao-Bibel unterm Arm und Schachtelsätze voll revolutionärem Elan – das sind die bleibenden Klischés, die uns heute zum Vietnam-Kongress einfallen. Doch verdecken sie die historische Brisanz dieses Gipfels, der zurecht als der Wendepunkt der Studentenbewegung gilt.
Hannah Arendt war es, die der deutschen Studentenbewegung, früh eine moralische Vorreiterrolle attestierte: Die 68er seien die erste soziale Bewegung, die nicht für ihre eigenen Interessen auf die Straße ginge, sondern für die anderer. Nämlich für die der vietnamesischen Zivilbevölkerung.
Doch stimmt das? "Genossen", ruft Rudi Dutschke vom Pult des Audimax der TU Berlin: "Wir haben nicht mehr viel Zeit. In Vietnam werden auch wir tagtäglich zerschlagen, und das ist nicht ein Bild und ist keine Phrase". Ihm geht es um mehr als Solidarität mit einem unter Napalmbomben leidenden Volk. Denn an dessen Beispiel werde die globale Dimension flexibler Kapitalströme sinnfällig. Billige Rohstoffkriege der USA würden auch von deutschem Boden aus logistisch unterstützt, um den Rest der sogenannten "freien Welt" mit Konsumgütern ruhigzustellen. Kriege in der Dritten Welt für westliches Glück, lautet der Vorwurf. Theodor W. Adorno brachte diesen Zusammenhang bereits 1944 auf die Formel des "Verblendungszusammenhangs". Wohlstand erscheint als wirkungsvollstes Mittel der Kulturindustrie, um Widerstand im Keim zu ersticken.
Für die Studentenbewegung ist der Vietnamkrieg somit kein Zufall, sondern Symptom kapitalistischer Entgrenzung, ein Stellvertreterkrieg. Um eine "Fernethik", wie Arendt suggeriert, geht es daher nicht, eher um die Schärfung eines globalen Bewusstseins, das die Ausbeutung der Dritten Welt am "Konsumterror" vor der eigenen Haustür abliest.

Theorie muss endlich praktisch werden - nur wie?

Doch wie kann Globales in lokale Aktionen verwandelt werden? Denn, darin ist sich die Studentenbewegung einig: Theorie muss endlich praktisch werden. Aber wie? Wie reale Macht durch symbolische kontern, an der Grenze der Legalität?
Dutschke schlägt "kühnes und entschiedenes" Handeln vor: Neben Massenprotesten die Gründung sogenannter "taktischer Büros", amerikanische GIs sollten durch Aufklärung zu systematischer Desertion gebracht und Rüstungsexporte mit Sprechchören und Sitzblockaden angeprangert werden. Und dann sagt Dutschke noch diesen Satz: "Geben wir uns aber keinen Illusionen hin."
Es ist nicht einfach, einen "neuen Menschen" zu schaffen, einen, der sich von seinen "falschen Bedürfnissen" befreit, sich von Autoritäten emanzipiert. Einen, der mit seiner freien Zeit wirklich etwas Sinnvolles anzufangen wisse. Die dazu nötige Kulturrevolution habe ja noch nicht einmal die eigenen Universitäten erreicht, so Dutschke selbstkritisch.
Mit dem Vietnam Kongress erreicht die Studentenbewegung nicht nur ihren Höhepunkt, sie überschreitet zugleich ihren Zenit: Ihre Uneinigkeit entfacht sich an der Frage, wie man handeln solle, ohne seine Ideale zu verraten: Die eine machen sich auf den "langen Marsch durch die Institutionen", die anderen zünden Brandsätze in Kaufhäusern, in der vagen Hoffnung, das gewalttätige Konsumsystem könne sich so selbst entlarven. Dutschke sieht die Spaltung voraus und nennt die Wegescheidung: Integration oder Zynismus.
Beide Verhaltensweisen haben überdauert und den Weg von der außer-parlamentarischen Opposition zurück in die Regierungspolitik gefunden. Die Fernethik versagt, die Nahethik triumphiert. Die Zahl der Rüstungsexporte in Krisengebiete ist unter der Großen Koalition von heute so hoch wie nie zuvor. Doch die schon vor 50 Jahren erhobene Forderung nach kostenlosem öffentlichen Nahverkehr, schafft es in den Koalitionsvertrag des Jahres 2018: zumindest probehalber, der guten Luft zuliebe.
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