Thiele: Regierung hat offensichtlich keinen Überblick

Carl-Ludwig Thiele im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 06.10.2008
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP im Bundestag, Carl-Ludwig Thiele, hat Zweifel am Krisenmanagement der Bundesregierung in der aktuellen Finanzkrise geäußert. Vor dem Hintergrund des erhöhten Liquiditätsbedarfs des Münchner Finanzkonzerns Hypo Real Estate sagte Thiele, wenn die Regierung nicht mehr genau den Überblick über den Sachverhalt habe, stimme das "sehr nachdenklich".
Jörg Degenhardt: Die Einlagen der Sparer sind sicher, sagt die Kanzlerin. Der Staat werde für alle Einlagen der Bürger garantieren. Kann uns das beruhigen? Oder macht uns das erst recht stutzig? – Die in die Krise geschlidderte Hypo Real Estate sorgte jedenfalls auch gestern wieder für Überstunden im Finanzministerium. Jetzt scheint der Immobilienfinanzierer zunächst einmal gerettet. Über das Hilfspaket von Bundesregierung und Banken haben wir ja heute Morgen schon mehrfach berichtet. Weiter geht die heftige Diskussion um die Schuldfrage im aktuellen Krisenfall. Auch darüber wollen wir sprechen mit Carl-Ludwig Thiele. Der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion sitzt im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages. Guten Morgen, Herr Thiele.

Carl-Ludwig Thiele: Guten Morgen, Herr Degenhardt.

Degenhardt: Haben die Kanzlerin und ihr Finanzminister die Lage noch unter Kontrolle?

Thiele: Da sind leider Zweifel angebracht, denn wir hatten in der letzten Woche eine Sondersitzung unserer Fraktion und dort wurde auch seitens des Finanzministers und des Bundesbankpräsidenten über die Situation berichtet und sie stellte sich in der letzten Woche den Äußerungen nach anders dar, als es sich über das Wochenende darstellt. Und wenn dann die Regierung, an der Spitze auch die Bundeskanzlerin, nicht mehr genau den Überblick über den Sachverhalt hat, dann stimmt das sehr nachdenklich, denn wir haben in Deutschland eine Bankenaufsicht und für die Bankenaufsicht ist eben auch der Staat verantwortlich. Und dass die Bankenaufsicht nicht wusste, wie hier die Liquiditätsströme tatsächlich sind, beziehungsweise wann und wie groß ein Liquiditätsengpass werden wird, das erstaunt.

Degenhardt: Ihre Partei kritisiert ja, es würden Milliarden bereitgestellt, ohne dass das Ausmaß der Finanzlücke wirklich bekannt ist. Aber hatten denn Frau Merkel und Herr Steinbrück überhaupt eine andere Wahl, als jetzt erst mal das Geld zur Verfügung zu stellen?

Thiele: Wir kritisieren seitens der FDP nicht, dass die Einlagen der Sparer gesichert werden. Sie müssen gesichert sein, denn wir brauchen keine Beunruhigung der Sparer an der Stelle. Aber es muss einen schon beunruhigen, dass wir ja eine Bankenaufsicht in Deutschland haben, die augenscheinlich nicht funktionierte. Wir haben ein Kreditwesengesetz, in dem bestimmte Regeln vorgeschrieben sind, und eine der Regeln besteht eben auch darin, dass die Liquidität zu prüfen. Das ist Aufgabe der Aufsicht und es ist schon erstaunlich, dass die Liquidität, die am letzten Wochenende geprüft wurde, mit 35 Milliarden Euro Liquiditätsbedarf gedeckt werden konnte und dass sich das Ende letzter Woche und über das Wochenende anders herausstellte, dass also größere Liquidität benötigt wird. In der Sitzung, die wir hatten, wurde uns seinerzeit noch seitens der Regierung erklärt, es würde eine Manndeckung für jede Bank eingeführt und die Liquiditätsströme einer jeden Bank würden entsprechend überwacht. Jetzt stellt sich heraus, dass eben diese Liquiditätsströme viel mehr Geld benötigen als ursprünglich vorhergesehen. Das kann nicht richtig sein.

Degenhardt: Das wäre eine Konsequenz aus der aktuellen Krise, die Aufsicht verbessern. Über eine zweite mögliche möchte ich mit Ihnen noch reden, Herr Thiele. Und zwar gibt es den Vorschlag, dass Manager, Banken-Manager hier in Deutschland ähnlich mit ihren Privatvermögen haften sollten, wie das in Amerika schon an der Tagesordnung ist. Halten Sie das für einen praktikablen Vorschlag, den man auch in Deutschland umsetzen sollte?

Thiele: Man muss jedenfalls sehen, dass es nicht sein kann, dass die Gewinne privatisiert und die Verluste ausschließlich verstaatlicht werden. Das kann nicht der richtige Weg sein. Wenn Banken in Schieflagen geraten – und das trifft ja zum Glück nicht jede deutsche Bank, sondern das sind absolute Ausnahmefälle der deutschen Banken -, dann ist es natürlich vollkommen klar, dass die in den Kreditinstituten Verantwortlichen auch zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Das haben wir heute schon gegenüber den Aktionären, denn die Aktionäre sind ja die Eigentümer und die Aktionäre haben natürlich bei den Banken und insbesondere bei Hypo Real Estate schon eine drastische Vermögensabwertung hinnehmen müssen, so dass hier unser System im Grundsatz funktioniert und jemand, der nicht ordnungsgemäß handelt, wird schon zur Rechenschaft gezogen.

Degenhardt: Das heißt, der muss dann auch mit seinem Privatvermögen haften? Das ist ja momentan noch nicht so.

Thiele: Wir haben momentan ja schon durchaus Schadensersatzansprüche, die an Organe von Aktiengesellschaften gerichtet werden und gerichtet werden müssen. Erinnern Sie sich an den Fall Siemens. Aber wir müssen hier natürlich sehen: Wir stehen hier am Beginn einer Aufklärung, denn der erste Fall war vor gut einem Jahr die IKB. Bei der IKB trägt eben der Staat als Miteigentümer die Verantwortung und da ist der Verantwortliche im Endergebnis der Steuerzahler. Wie dort seitens der Regierung der Steuerzahler belastet wurde, das muss tatsächlich noch aufgearbeitet werden.

Degenhardt: Die von den USA ausgehende Finanzkrise hat Europa inzwischen mit voller Wucht getroffen, eben auch Deutschland. Die Banken werden offensichtlich nicht alleine mit der Situation fertig. Braucht es nicht vielleicht doch noch eine Art Notfahrplan für Europa?

Thiele: Wir brauchen auf alle Fälle eine stärkere Überprüfung der Liquidität, denn das Problem besteht ja darin, dass die Banken sich wechselseitig nicht mehr trauen, weil keine Bank weiß, ob die andere Geschäftsbank ihr die Wahrheit sagt. Da besteht das Grundproblem und deshalb ist es erforderlich, hier die Risiken zu überprüfen. Aber deshalb haben wir den Bankensektor reguliert. Es ist keine freie Marktwirtschaft, die dort besteht, sondern es ist eine streng beaufsichtigte Wirtschaft, die sich an bestimmte Regeln zu halten hat. Wenn diese Regeln verletzt werden, dann müssen natürlich die Verletzer dieser Regeln zur Verantwortung gezogen werden, und das sind eben die Vorstände der entsprechenden Banken. Zusätzlich muss die Aufsicht natürlich funktionieren. Wir beschäftigen uns seit Jahren im Finanzausschuss mit der Frage, wie die Aufsicht tatsächlich ausgestattet sein muss, was zu prüfen ist, und dass hier diese Liquiditätsklemmen überhaupt nicht der Aufsicht im Vorhinein aufgefallen sein können, das kann nicht richtig sein. Das bedarf einer stärkeren Aufklärung und zuständig für die Aufsicht ist eben das Finanzministerium in der Bundesregierung. Hier reicht es nicht, sich nur als Feuerwehrmann aufzuspielen, sondern hier hat man im Vorhinein die Verantwortung wahrzunehmen und man muss sie jetzt zumindest kurzfristig wahrnehmen. Das heißt, wir werden seitens der FDP im Finanzausschuss drängen, dass hier die Aussagen endlich konkretisiert werden. Und es ist auch schon erstaunlich: Letzte Woche, als der Finanzminister uns berichtet hat, hat er erklärt, die Hypo Real Estate werde abgewickelt. Diese Aussage wurde danach aus dem eigenen Finanzministerium dementiert. So kann natürlich eine Informationspolitik nicht aussehen, die darauf angelegt ist, Vertrauen wiederzugewinnen. Hier werden wir als Opposition nachhaken.

Degenhardt: Der FDP-Finanzpolitiker Carl-Ludwig Thiele zur aktuellen Finanzkrise. Vielen Dank für das Gespräch hier im Programm von Deutschlandradio Kultur.


Das Gespräch mit Carl-Ludwig Thiele können Sie bis zum 6. März 2009 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio