Theresa Hannig: "Die Optimierer"

Willkommen in der digitalen Diktatur!

Theresa Hannig: "Die Optimierer"
"Die Optimierer" steht in der Tradition von George Orwell. © imago stock&people / Bastei Lübbe
Von Elena Gorgis · 07.11.2017
Die "Bundesrepublik Europa" im Jahr 2052: keine Autos, kein Fleischkonsum, Roboter erledigen die niederen Arbeiten. Was Theresa Hannig in ihrem Debütroman "Die Optimierer" zunächst als futuristisches Schlaraffenland skizziert, entpuppt sich als reine Diktatur.
In George Orwells Roman "1984" werden die Gefahren staatlicher Überwachung so eindringlich geschildert wie in kaum einem anderen fiktionalen Text. Die Unterdrückung der Menschen durch das totalitäre Regime ist in diesem 1948 veröffentlichten Roman so vollkommen, dass jeglicher Widerstand von Anfang an zum Scheitern verurteilt scheint. "1984" wirkt wie ein düsteres Mahnmal, es bloß niemals so weit kommen zu lassen.
Theresa Hannigs Debütroman "Die Optimierer" steht ganz klar in der Tradition Orwells. Die Münchner Autorin entwirft eine ähnlich düstere Zukunftsvision. In dieser Dystopie lebt der Protagonist Samson Freitag im Jahr 2052 in einer "Bundesrepublik Europa", die sich vom Rest der Welt abgeschottet hat. Es herrscht die Ideologie der "Optimalwohlökonomie" – hinter diesem wolkigen Namen verbirgt sich reine Diktatur.

"Jeder an seinem Platz!"

Doch im Gegensatz zum Totalitarismus bei Orwell wirkt Theresa Hannigs Gesellschaft zunächst wie ein futuristisches Schlaraffenland, in dem Antworten auf fast alle Probleme unserer Zeit gefunden worden sind: Tiere werden nicht mehr getötet, weil es einen schmackhaften Fleischersatz gibt; niemand fährt mehr Auto, weil der öffentliche Verkehr viel effizienter ist; Handys braucht man nicht mehr, eine künstliche Augenlinse verbindet die Menschen mit dem Informationsnetz; niedere Arbeiten erledigen Roboter, und das Frühstück wird jedem morgens pünktlich von der vollautomatischen Küche serviert. Wer keinen Beruf findet, der den eigenen Interessen und Fähigkeiten entspricht, darf sein Leben mit einem bedingungslosen Grundeinkommen genießen. Die Parole lautet: "Jeder an seinem Platz!" – eine Formulierung, die sofort an den zynischen Satz "Jedem das seine" denken lässt, den die Nationalsozialisten in das Lagertor des KZ-Buchenwald einarbeiten ließen.
Man ahnt also: Die Geschichte kann kein gutes Ende nehmen. Zunächst kommt sie aber mit einer wunderbaren Leichtigkeit daher, die selten ist in der Science-Fiction-Literatur und die einen sofort in den Bann zieht: Samson hat Spaß an seinem Leben. Als Lebensberater weist er Menschen ihren Platz in der Gesellschaft zu, seine Karriere geht steil bergauf. Als das System damit beginnt, ihn fallen zu lassen, hält er das für ein dummes Missverständnis. Aber es ist noch immer die selbst erfahrene Ungerechtigkeit, die die meisten Menschen zum Umdenken bewegt, plötzlich beginnt er, die Dinge zu hinterfragen.

Orwell ins digitale Zeitalter übersetzt

Kann ein einziger Widerstandsgedanke schon der entscheidende Stein sein, der ein totalitäres Regime zum Einsturz bringt? Orwell war deutlich in seiner Antwort: Ist die lückenlose Überwachung erst einmal installiert, ist jeder Widerstand zwecklos.
Auch wenn wir Orwells düstere Zukunftsvision kennen, scheint die darin liegende Warnung heute für viele Menschen bedeutungslos zu sein. Es dominieren die Freude und Bequemlichkeit, die Smartphones, soziale Netzwerke und digitale Assistenten mit sich bringen.
Theresa Hannig schreibt aus diesem Lebensgefühl heraus. Mit klarer Sprache und Humor holt sie uns da ab, wo wir gerade sind, steuert dann aber geschickt auf ein Ende zu, das einen erschrecken lässt. Sie schafft es, Orwell und sein Thema in die Gegenwart zu bringen, ohne belehrend zu wirken, und warnt so auf kluge Art vor der Sorglosigkeit, mit der wir neue Technologien in unser Leben lassen. Ein beeindruckendes Debüt und ein wichtiger Roman in unserer Zeit.

Theresa Hannig: "Die Optimierer"
Bastei Lübbe, Köln 2017
303 Seiten, 10 Euro

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