Therapie nach Kassenlage - woran krankt unser Gesundheitssystem?

31.08.2013
Unser Gesundheitssystem ist eine teure Dauerbaustelle. Zuletzt lagen die Kosten bei 300 Milliarden Euro jährlich - rund 3600 Euro pro Kopf. Aber ist es auch gut, effizient und gerecht? Darüber sprechen wir mit dem Pharmakritiker Peter Sawicki und Reinhard Busse, Professor für Management im Gesundheitswesen.
Aber ist es auch gut, effizient und gerecht? Derzeit sorgen Meldungen für Diskussionen, dass die gesetzlichen Krankenkassen immer häufiger Leistungen verweigern; auf langzeiterkrankte und alte Patienten werde vermehrt Druck ausgeübt, wieder zu arbeiten oder die Kasse zu wechseln. Und nun prescht Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr mit dem Vorschlag vor, die privaten Kassen für alle zu öffnen.

Woran krankt unser Gesundheitssystem?

"Ich glaube, dass man für diese 300 Milliarden Euro im Jahr die Patienten besser betreuen könnte", sagt der Internist Prof. Dr. Peter Sawicki. Der Gesundheitswissenschaftler gilt als vehementer Pharmakritiker. Bundesweit wurde er bekannt, als er 2010 als Chef des IQWIG, des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, abberufen wurde.

"Es gibt viel zu viel Medizin und zu wenig Versorgung. Die Patienten fühlen sich im Krankenhaus verarztet, aber nicht versorgt, Ärzte und Personal haben zu wenig Zeit – es ist der ökonomische Druck. Wir haben eine Überversorgung, zu viele OPs, es gibt sehr große Unterschiede zwischen den Krankenhäusern, auch bei den niedergelassenen Ärzten. Da wären schon Veränderungen notwendig."

Die Kontrollen und etwaigen Ablehnungen durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) sieht der Mediziner nicht als so problematisch an: "Irgendjemand muss das ja mit ärztlichem Sachverstand überprüfen. Ich halte es aber nicht für gut, dass es ein abhängiger Dienst ist. Wenn sie von den Krankenkassen finanziert werden, ist eine gewisse Abhängigkeit gegeben."

Ein großes Problem sei dagegen die unterschiedliche Honorierung der ärztlichen Leistungen; für viele Ärzte und Krankenhäuser sei es attraktiver, teure Technik einzusetzen oder zu operieren, als die Patienten eingehend zu beraten.

"Es geht auch um Gerechtigkeit", sagt Prof. Dr. Reinhard Busse, Professor für Management im Gesundheitswesen an der Technischen Universität Berlin. "Es geht auch um die finanziellen Beiträge, um die Teilung von gesetzlichen Krankenkassen und privaten Krankenkassen. Was tragen die Leute bei? Wie sieht es bei den Gesundheitsleistungen aus? Warum muss man zwei komplett unterschiedliche Systeme betreiben, die hochgradig ungerecht sind?"

Von dem Vorschlag, die privaten Kassen für alle zu öffnen, hält der Wissenschaftler gar nichts. " Dreiviertel von denen, die die Wahl haben, bleiben in der gesetzlichen Krankenversicherung – und das sind schon die Besserverdienenden. Durch den Vorschlag besteht die Gefahr, dass es Leute gibt, die zu schnell zu den privaten Krankenversicherungen wechseln. Wenn aber gleichzeitig die Regelung bleibt, dass man nicht zurückwechseln kann, besteht die Gefahr, dass die Leute in Konkurs gehen. Besser wäre: Jeder zahlt in einen Fonds und kriegt eine Art Voucher und damit kann er hingehen, wohin er will, zur GKV oder PKV."

Therapie nach Kassenlage – woran krankt unser Gesundheitssystem?
Darüber diskutiert Dieter Kassel heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit Peter Sawicki und Reinhard Busse. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 00800 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.


Informationen im Internet:
Über Prof. Dr. Reinhard Busse

Literaturhinweis:
Ursel Sieber, "Gesunder Zweifel. Einsichten eines Pharmakritikers – Peter Sawicki und sein Kampf für eine unabhängige Medizin", Berlin Verlag, 2010
Mehr zum Thema