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Debatte in Halle
Umbenennung von Genscher-Gymnasium sorgt für Unmut

Das Hans-Dietrich-Genscher-Gymnasium ist bundesweit die einzige Schule, die nach dem früheren Außenminister, FDP-Politiker und Hallenser Ehrenbürger benannt ist. Bis es soweit war, hat es allerdings ziemlich lange gedauert. Denn nicht alle Hallenser waren und sind von der Umbenennung begeistert.

Von Christoph Richter | 27.10.2017
    Der ehemalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) sitzt am Freitag (27.03.2009) bei einem Besuch des Herder-Gymnasiums in Halle/Saale in seinem alten Klassenzimmer. Genscher besuchte die Schule zwischen 1937-1946. Das 1909 gegründete Reformgymnasium Halle gehört zu den traditionsreichen Schulen des Landes Sachsen-Anhalt. Das 100-jährige Bestehen wird derzeit mit einer Festveranstaltungsreihe gefeiert. Foto: Jens Wolf +++(c) dpa - Report+++ | Verwendung weltweit
    1947 ging Hans-Dietrich Genscher am Herder-Gymnasium in Halle zur Schule, heute trägt die Schule seinen Namen. (dpa/ Jens Wolf)
    Das Hans-Dietrich-Genscher-Gymnasium – übrigens die einzige Schule bundesweit, die nach dem früheren Außenminister benannt wurde – liegt in Halles Innenstadt. Eine preußische Schul-Trutzburg aus den Anfängen des letzten Jahrhunderts. Lange Gänge, hohe Decken, ein einschüchterndes Treppenhaus. Eine Schule, in der schon der Schüler Genscher ein und ausging, 1947 dort sein Abitur machte.
    "Ich finde es was ganz Besonderes, gerade wenn man auch im Namen hervor gehoben wird. Weil wir uns eben nach einem der berühmtesten Schüler benannt haben", sagt die 16-jährige Jennifer Riedel aus der Klasse 11/4. "Freiheit, das ist das große Wort, was bei mir hängen bleibt, wenn ich an Genscher denke."
    Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Schule unter anderem nach Friedrich Nietzsche, Friedrich Engels, nach der Friedlichen Revolution nach dem Aufklärer Gottfried Herder benannt. Nun ist Halles Ehrenbürger Genscher dran. Super Entscheidung, sagt die 16-jährige Swantje Steckel.
    "Mit den Namen Hans-Dietrich Genscher können wir uns als Schüler - ich denke, ich spreche für die Meisten von uns – besser identifizieren. Vor allen Dingen, weil er eine Bindung zur Schule hatte, zu Veranstaltungen kam."
    Umbenennung war keine Selbstverständlichkeit
    Während die Umbenennung für die Schüler eine Selbstverständlichkeit ist, war es in der Stadt höchst umstritten. Monatelang wurde darum gerungen. Denn der Kulturausschuss wollte den Namen nicht. Am Ende aber setzten sich die Eltern in der Schulgesamtkonferenz durch, die für Genscher stimmten. Ein Votum, dem sich dann nach zähem Ringen auch der Stadtrat anschloss.
    Für Lehrerin Sabine Schwarz, die einzig richtige Entscheidung. Eine 50-jährige Power-Frau, die sich vom Gegenwind nicht umwerfen lies. Ihre Stimme für Genscher, sei keine Entscheidung gegen Herder, sie wolle "nur etwas mehr Moderne in dessen Ideale bringen", sagt sie: "Ich konnte nicht immer die Argumentation nachvollziehen. Jetzt haben wir einen der berühmtesten Schüler der Schule, der ist greifbar."
    Linkspartei kam kritischer Blick auf Genscher zu kurz
    Insbesondere bei den Linken gibt es Vorbehalte gegen die Umbenennung von Herder in Genscher-Gymnasium. Der kritische Blick auf Genscher, er käme schlicht zu kurz, sagt Katja Müller, Stadträtin der Linkspartei im Hallenser Stadtrat. Schließlich hätte der FDP-Vorsitzende den Nato-Doppelbeschluss mit unterzeichnet, habe Geschäfte der Bundesrepublik mit der argentinischen Militärjunta in den 1970er -Jahren mit eingefädelt.
    "Jemand der aus Halle kommt, das ist dann immer so eine andere Nummer. Da ist immer im Hintergrund, das ist jemand von uns, und da sieht man manches unkritischer."
    Und was wäre, sagte Katja Müller damals noch auf der Stadtratssitzung, wenn jemand käme, und eine Schule nach Frauke Petry oder Björn Höcke benennen wolle. Worte, die für viel Empörung sorgten.
    Doch nicht nur so mancher Parteipolitiker in Halle tut sich mit Genscher schwer. Auch in der Stadtgesellschaft ist das Thema umstritten. Das merkt man schnell, wenn man auf dem Marktplatz nach Genscher fragt. Die Meisten winken unwirsch ab, wollen nichts von einer Erinnerung an den früheren Außenminister wissen.
    "Ja, die Stadt Halle tut sich schwer", sagt eine Frau, die ihren Namen nicht nennen will. Dabei hätte es Genscher verdient, dass man an ihn erinnere, fügt sie noch schnell hinzu.
    Auch Katja Raab rätselt, warum Teile der Stadtgesellschaft mit Genscher über Kreuz liegen. Sie ist FDP-Mitglied und die Leiterin des Genscher-Hauses in Halle-Reideburg, dem Geburtshaus von Genscher.
    "Die FDP hat sich erst dann eingemischt, als das hier ein bisschen aus dem Ruder lief und die doch sehr öffentlich geführten Diskussionen unseres Empfindens nach, den Namen Genscher beschädigten. Und gar nicht wertschätzt, was man für ein Pfund hat."
    Genscher verbarg nie seine Herkunft
    Genscher selbst verbarg nie seine Herkunft, ganz im Gegenteil. Halle war immer – auch während des Kalten Krieges - seine Heimat. Die ersten sechs Jahre wuchs er auf dem Bauernhof seines Großvaters auf, nach eigenen Worten, eine wunderschöne Kindheit.
    "Der Gedanke an diese Stadt, die ich immer als meine Stadt empfunden habe, als mein zuhause, hat mir in vielen schweren Stunden, die Kraft gegeben, meinen Weg weiterzugehen."
    Beim Namen Genscher glänzen bei Hans–Dieter Wöllenweber die Augen. Er ist für die CDU/FDP-Fraktion im Stadtrat, sitzt bei seinem Lieblings-Griechen am Marktplatz in Halle. Und grübelt über das schwierige Genscher-Gedenken.
    "Es gibt natürlich auch einen großen Teil der Bevölkerung, der desinteressiert ist: An der Geschichte, wie man ein Gedenken organisieren könnte."
    Erst im Frühjahr wurde der Bahnhofsvorplatz - mehr oder weniger ein etwas größerer Taxi-Parkplatz - nach dem früheren Politiker umbenannt. Würdig oder unwürdig? Wöllenweber will nichts dazu sagen. Auch dass man den Flughafen Halle-Leipzig – anders als in Hamburg oder München, wo die Airports nach Helmut Schmidt bzw. Franz-Josef Strauß benannt wurden – nicht den Namen Genscher trägt: Wöllenweber versteht es nicht. Er atmet tief durch. Doch die Hoffnung, nein, die gebe er nicht auf. Sagt er und lacht.
    "Bin noch nicht enttäuscht, weil ich noch hoffe. Jaaa, doch."