Theodor Fontane und die Frauen

"Ich glaube, er hatte wirklich Mitleid mit ihnen"

Kopf des Fontanedenkmals in Neuruppin, im Hintergrund sind die grünen Blätter eines Baumes zu sehen
Als Apotheker wusste Theodor Fontane, wie es um die Gesundheit der Frauen steht, so die Literaturwissenschaftlerin Christine von Brühl. © imago/Steinach
Christine von Brühl im Gespräch mit Joachim Scholl · 25.09.2018
Theodor Fontane schwärmte für die Frauen – und er wusste um ihren schweren Stand. In "Gerade dadurch sind sie mir lieb" begibt sich Christine von Brühl auf die Spuren der realen und fiktiven Frauen, mit denen sich der Schriftsteller umgab.
Joachim Scholl: "Wenn es einen Menschen gibt, der für Frauen schwärmt und sie beinah doppelt liebt, dann bin ich es." Das schrieb Theodor Fontane im Jahr 1894 in einem Brief und zu dieser Zeit hatte er schon eine ganze Reihe von eindrucksvollen Frauengestalten in seinen Roman geschaffen, Jenny Treibel, Grete Minde, die wohl berühmteste, Effi Briest, die sollte noch kommen. Diesen, aber auch vornehmlich den realen Frauen Fontanes, hat die Autorin, Literaturwissenschaftlerin, Publizistin Christine von Brühl nun ein Buch gewidmet. "Gerade dadurch sind sie mir lieb" lautet der Titel Ihres Buches, ein Zitat Fontanes, das direkt auf sein Verhältnis zu Frauen anspielt.
Wodurch sind sie ihm denn so lieb geworden?
von Brühl: Ich wusste das auch nicht von Anfang an, ich habe mir alles Mögliche angeschaut, was es dazu gibt, von Fontane selbst vor allem, aber auch von anderen. Ich denke, er hat einfach eine ganze große Nähe zu Frauen empfunden, eine Unvoreingenommenheit, auch eine Klugheit, eine Weisheit in Hinsicht auf Frauen, weil er mit ihnen auch einen recht unkomplizierten Umgang pflegte und sich gerne unterhielt.

Sehr enges Verhältnis zur Mutter

Scholl: Wodurch wurden denn diese Fontane-Frauen dann aber Ihnen lieb, Frau von Brühl? Was hat Sie an ihnen interessiert?
von Brühl: Mich interessiert das ja schon länger, die Geschichte der Frauen durch die Kulturen, warum sind wir heute so, wie wir sind, wieso reagieren wir Frauen so, wie wir das von uns kennen oder wie wir es auch von uns teilweise gar nicht verstehen. Und vieles ist ja wirklich in der Vergangenheit begründet, weit, weit müssen wir zurückgehen, um das alles zu verstehen, die Gesetzmäßigkeiten, die Regularien.
Was mich ja auch immer wieder verblüfft, die Mitgift, die doch eigentlich für die Frauen war, ging ja an die Männer, weil der Mann, der Ehemann war derjenige, der das Geld hatte, der das Geld verwaltete. Und so ging auch das Geld seiner Frau bei der Heirat an ihn.
Scholl: Wie würden Sie denn sein Verhältnis zu Frauen charakterisieren, also jetzt wirklich auch so als privater Mensch, noch vor der schriftstellerischen Karriere, die ja erst wirklich sehr spät begann bei Fontane, welche Frauen waren denn für ihn besonders wichtig?
von Brühl: Fontane war ein zurückhaltender, fast scheuer Mann, immer auch ein bisschen hypochondrisch, berühmt mit seinem Schal, er ging nie hinaus ohne Schal, trug auch gerne mal eine Decke über den Knien bei der Arbeit, und in dieser scheuen und unverfänglichen Art war er eben Frauen äußerst zugetan.
Er hatte ein sehr enges Verhältnis zu seiner Mutter, er war der Älteste, hatte herrliche blonde Locken bei der Geburt, und sie liebte ihn aufrichtig, und er blieb ihr sein Leben lang treu, obwohl seine Eltern ja sich verstritten haben, sich getrennt haben. Das lag aber wirklich nur am Vater, der hatte eben Spielschulden, der war ein passionierter, ja, ein Spielsüchtiger.

Zwei herrliche Schwestern

Dann hatte er zwei herrliche Schwestern, mit denen er sehr innig verkehrte, eine, die nur ein Jahr jünger war als er, und dann eine, die sehr viel mehr Jahre jünger war als er, deren Patenschaft er mit übernahm, Elise, die ihm dann auch half, seine Geschichten zu recherchieren. Ja, und dann kam die Ehefrau, die heißgeliebte Emilie Rouanet-Kummer, mit der er sich natürlich auch bisweilen stritt über die vielen Jahre der Ehe hinweg, natürlich, ganz selbstverständlich.
Vorher kam Emmy Danckwerts ins Spiel, eine Apotheker-Elevin, die er ausgebildet hat, und dann kam eben Martha zur Welt, seine heißgeliebte Tochter. Martha kam 1860 zur Welt, und ab dann wurde Fontane ja auch zum Prosa-Romanschriftsteller. Und viele, viele Frauenfiguren in seinen Romanen gehen eins zu eins zurück auf diese zauberhafte Martha.
Scholl: Wie würden Sie das charakterisieren, was er mit den Frauengestalten in seinen Romanen auch macht? Wir kennen ja doch einfach diese Figuren, die Namen sind eigentlich in das kollektive Gedächtnis unserer Kultur eingegangen, also allen voran vielleicht Effi Briest, aber auch Jenny Treibel, Grete Minde – Frauen, die immer ein doch tragisches Schicksal eigentlich erleiden in ihrer Zeit. Ist das wirklich auch eine Art von Verarbeitung des Zeitgefühls, das Fontane hier macht, oder wie, würden Sie sagen, kommen diese Frauen in seine Bücher?
von Brühl: Das ist natürlich genau das Spannende, weil Fontane bezeichnete sich nicht als politisch oder als zeitkritisch, obwohl er doch so ungeheuer nah an der Zeit war und so präzise beobachtete und beschrieb und Details aufführt, die uns heute noch begeistern. Auch Historiker lesen ja gerne Fontane, weil sie wissen, damit können sie in diese Zeit einsteigen, dieses mittlere und späte 19. Jahrhundert, in dem er lebte.

Fontane konnte mit Frauen mitfühlen

Ich glaube, er hatte wirklich Mitleid mit den Frauen. Er wusste, wie es ist, wenn man sich benachteiligt fühlt, er fühlte auch sich immer wieder gedemütigt, weil sein Werk nicht in der Form anerkannt wurde, wie er es schuf, und vor allem nicht der Fleiß, mit dem er es betrieb. Keiner griff ihm da auch finanziell, pekuniär unter die Arme, er musste also seine sechsköpfige Familie ernähren und wollte doch trotzdem ein bürgerliches, gutes, gebildetes Niveau aufrechterhalten.
Und dann sah er die Frauen und die Frauen hatten ein furchtbares Leben, sie waren benachteiligt, sie wurden nicht ernstgenommen. Er konnte da eben mitfühlen, und dann gerieten sie auch noch in Konflikt mit der Moral ihrer Zeit, gar nicht aus Absicht, teilweise absichtslos, und ja, da konnte er einfach mitfühlen und empfinden für sie.
Scholl: Wenn wir diese Romane lesen, fühlen wir natürlich immer instinktiv mit den Frauen, die sich nach dem Moralkodex ihrer Zeit zwar schuldig gemacht haben, uns erscheinen sie aber immer als die eigentlichen Opfer. Das war ja zu Zeiten Fontanes, als diese Romane erschienen, nicht so. Also, ein Herr von Innstetten, den wir als bescheuert empfinden, und natürlich Effi Briest mit ihrer Flucht, mit ihrer Affäre, für sie empfinden wir alle Sympathie.
Wie war eigentlich damals die Reaktion der Zeitgenossen auf diese doch moralischen Dilemmata, die Fontane hier schilderte. Und bei ihm musste man ja auch davon ausgehen, dass die Sympathie den Frauen gehörte.

Herr von Innstetten – ein altes Ekel

von Brühl: Ja, das ist interessant. Ich habe ja den Konflikt aufgegriffen, in den diese Frauen geraten sind, durch die Überschriften. Ich nenne zum Beispiel Grete Minde knallhart "die Brandstifterin", obwohl sie in der Tat Tangermünde nicht angezündet hat. Nachdem Fontane sie so einfühlsam in seinem Grete Minde beschrieben hat, wurden die Prozessakten noch mal geöffnet und man stellte fest: Nein, sie war an dem Tag des Stadtbrands gar nicht in der Stadt, sie hat es nicht sein können, obwohl man sie aufs Grausamste gefoltert, verurteilt und verbrannt hat.
Ich nenne sie noch mal "die Brandstifterin", in Anführungsstrichen wohlgemerkt, auch die Ehebrecherin taucht bei mir auf und die Fürstengeliebte, was in der Tat nicht in Anführungsstrichen gemeint ist, weil das war so, Cécile war wirklich an einen Fürsten entliehen, um ihn zu bespaßen. Es heißt bei Fontane, sie las ihm vor, über Weiteres schweigt der Autor.
Es ist schon ganz interessant und die Männer, die in diesen Geschichten vorkommen, das waren eigentlich Helden oder, sagen wir mal, die Herren, die ihre Ehre bewahrten, die irgendwie das Land in Ordnung hielten und das machten, was man von ihnen verlangte. Auch zum Beispiel ein Duell, das durfte ja gar nicht mehr sein, es war streng verboten, sich zu duellieren, aber es gab auch da einen Trick, die Männer duellierten sich, um ihre Ehre zurückzugewinnen, und dann wurden sie verurteilt und dann nach wenigen Wochen vom Kaiser selbst wieder begnadigt.
Also ein ganz mieser Trick, wie ich finde. Aber das ging einfach wohl aus damaliger Sicht nicht anders. Und trotzdem: Nachdem Fontane also losgelegt hat und diese Frauen so einfühlsam beschrieb, hieß es ja von Innstetten zum Beispiel, er sei ein altes Ekel.

Als Apotheker wusste er, wie es um die Frauen steht

Scholl: Sie widmen Ihr Buch, Christine von Brühl, allen Apothekerinnen dieser Erde. Das dürfte damit zu tun haben, dass Fontane ja als Apotheker angefangen hat, das war sein gelernter Beruf, bevor er zum Journalist und Schriftsteller wurde. Waren denn hier auch die Frauen entscheidend hinter der Apothekentheke?
von Brühl: Zu Fontanes Zeiten natürlich noch nicht, muss ich sagen. Ich kenne eigentlich keine Apothekerin aus Fontanes Lebenszeit. Aber das war für mich so eine Leidenschaft und das war auch eine Hilfe, ich habe mich ja immer gefragt, woher hatte dieser Mann die Chuzpe überhaupt, sich so nah an Frauen zu wagen, und wie konnte er das wissen.
Ich denke, er war eben auch Naturwissenschaftler, er war Apotheker, deswegen wusste er, wie es um die Frauen steht, wie es um die Gesundheit der Frauen steht, er ist dort relativ unvoreingenommen und nah damit in Berührung gekommen. Und ich weiß einfach das zu schätzen, was uns Apotheker und Apothekerinnen schenken mit ihrem Wissen und ihrem Können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Christine von Brühl: "Gerade dadurch sind sie mir lieb – Fontanes Frauen"
Aufbau-Verlag, Berlin 2018
368 Seiten, 22 Euro

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