Theo Waigel fordert mehr Engagement gegen Korruption
Deutschland gehört zu den wenigen Ländern, die die UN-Konvention gegen Korruption bislang nicht unterzeichnet haben. Der frühere Bundesfinanzminister Theo Waigel, zuletzt Korruptionskontrolleur bei der Firma Siemens, hält das für einen schweren Fehler.
Joachim Scholl: Wie weit ist Deutschland im Kampf gegen die Korruption? Zumindest einen Schritt weiter, könnte man sagen mit Blick auf den aktuellen Jahresbericht von Transparency International, demnach verbessert sich Deutschland im internationalen Ranking von Platz 14 auf Platz 13 unter 174 Ländern. Am Telefon begrüße ich jetzt Theo Waigel, den früheren Bundesfinanzminister. Bis vor Kurzem war er intensiv mit dem Thema Korruption befasst, als Korruptionskontrolleur bei der Firma Siemens. Guten Tag, Herr Waigel!
Theo Waigel: Ja, Grüß Gott!
Scholl: Ein 13. Platz im aktuellen Korruptionsindex – kann Deutschland damit zufrieden sein?
Waigel: Das ist nicht schlecht, zumal wir uns ja auch verbessert haben, und insofern haben die Anstrengungen der letzten Jahre schon gewirkt, wir stehen gut da, und wir sind in manchen Bereichen sogar Benchmark. Aber es gibt auch noch einiges zu tun, und auch das Bewusstsein, was getan werden müsste, ist noch nicht überall in Politik und Wirtschaft voll gegeben.
Scholl: Ist die Kritik des Europarates berechtigt, dass die deutschen Gesetze gegen die Korruption noch zu lasch seien?
Waigel: Der Pauschalkritik würde ich mich nicht anschließen, aber in einigen Bereichen gibt es noch Verbesserungsbedarf, und sie haben das ja vorher selber angedeutet, dass wir die UNO-Konvention gegen Korruption noch nicht ratifiziert haben, ist ein schwerer Fehler, lastet auf uns und schadet uns.
Scholl: Da kommen wir gleich noch drauf zu sprechen, Herr Waigel, aber erst mal konkret über Ihre Tätigkeit die letzten vier Jahre, das ist nämlich sehr interessant: Sie waren die letzten vier Jahre direkt mit der Problematik beschäftigt, im Siemenskonzern waren Sie ein sogenannter Compliance Monitor. Das heißt, Sie haben die Politik des Konzerns überwacht, der ja 2006 durch Schmiergeldzahlungen von Hunderten von Millionen Euro sehr negative Schlagzeilen machte. Was war genau Ihre Aufgabe?
Waigel: Es war meine Aufgabe, das Compliance-System zu überwachen, ob es funktioniert, ob der Tone from the Top, also sozusagen das, was als Botschaft ausgegeben wird von der Spitze und vom mittleren Management nach unten, auch funktioniert, ob die Kontrollen funktionieren, ob die Finanzkontrollen funktionieren, ob die Compliance Officer, also die Compliance-Beschäftigten, richtig eingestellt sind, ob sie qualifiziert sind, und am Schluss ging es vor allen Dingen im letzten Jahr darum: Ist das Compliance-System, ist die ganze Wertebilanz von Siemens nachhaltig oder war das nur schnell angelegt, um über die Krise hinwegzukommen und bei deutschen Justizbehörden sowie bei der SEC und dem Department of Justice in Amerika gut dazustehen? Oder ist es vom Konzern verinnerlicht, dass man sich darauf verlassen kann, jawohl, hier gibt es kein systemisches Risiko mehr? Und das konnte ich nach einer umfassenden Prüfung am Schluss bei der Abgabe meines letzten Reports bejahen.
Scholl: Das heißt, die Firma ist jetzt völlig sauber, es gibt keine Korruption mehr bei Siemens?
Waigel: Das können Sie bei 400.000 Beschäftigten nie voll ausschließen. Ich hatte im vorletzten Jahr eine sehr unangenehme Erfahrung, da hatten wir in Kuwait und in einem Land Südamerikas sehr unangenehme Vorfälle. Nur, als ich dann zu den amerikanischen Autoritäten kam und das mit ihnen besprach, haben die zu uns gesagt: Wenn bei euch nichts passieren würde, dann würden wir euch nicht glauben, das Entscheidende ist, wie reagiert ihr, wie reagiert Siemens, wenn so etwas passiert?
Und dass da sofort die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wurde, dass sofort der Monitor benachrichtigt wurde und die amerikanischen zuständigen Stellen, das war in Ordnung. Das heißt, wie geht man dann auch mit Verfehlungen um, wie wird reagiert, was macht die Spitze, verdrängt man oder vertuscht man oder legt man so etwas offen? Und insofern haben auch solche Einzelfälle nicht geschadet, die werden auch künftig vorkommen und dann nicht schaden, wenn der Konzern mit dem umgeht, richtig umgeht, und nicht versucht, wie früher nicht hinzusehen, zu verdrängen oder zu verschweigen.
Scholl: Diesen Fall, den Sie ansprechen, da haben Manager in Kuwait versucht, den Energieminister zu bestechen mit einer stattlichen Summe, das wurde bekannt. Die Mitarbeiter wurden sofort entlassen, das heißt also, diese Mechanismen haben gegriffen. Diese Form des Compliance Monitoring, Herr Waigel, die kommt ja aus den USA. Sollte diese gewissermaßen institutionalisierte Kontrolle auch bei deutschen Unternehmen verbindlich werden?
Waigel: Das könnte man durchaus überlegen. Ich hatte mal das Angebot, in einem anderen Bereich tätig zu sein, obwohl das im deutschen Gesetz nicht ohne Weiteres vorgesehen ist. Aber zum Beispiel die BaFin könnte so etwas auch mal anregen, bei Situationen, wo sie einem Bankinstitut möglicherweise mal eine Zeit lang Bewährung geben möchte. Also so etwas wäre durchaus denkbar, aber wir haben damit noch nicht genügend Erfahrung, und ich war ja auch der erste nichtamerikanische Monitor, der von den Amerikanern eingesetzt wurde, allerdings auf Vorschlag vom Konzern und nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft München I, und lustigerweise haben die gesagt, wir haben gar nichts dagegen, denn meine allererste berufliche Tätigkeit 1968 nach meinem zweiten juristischen Staatsexamen war Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft München I.
Scholl: Deutschland und die Korruption - wir sind hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Theo Waigel. Der frühere Bundesfinanzminister hat in den letzten vier Jahren den Siemens-Konzern überwacht. Wir haben es zu Beginn unseres Gespräches schon angesprochen, die Kritik des Europarates an Deutschland, an Deutschlands Gesetzgebung und auch die Kritik daran, dass Deutschland die UN-Konvention gegen Korruption noch nicht unterzeichnet hat. Sie haben sich dieser Kritik jetzt angeschlossen, Herr Waigel. Warum ist es Ihrer Meinung nach wichtig, dass Deutschland ein solches Abkommen ratifiziert?
Waigel: Ich habe das nicht erst jetzt getan, sondern schon in den letzten beiden Jahren habe ich versucht, Einfluss auszuüben, habe versucht, Parlamentarier zu gewinnen, habe mit den Fraktionsvorsitzenden gesprochen, mit Ministern, mit dem Kanzleramt, mit dem Bundestagspräsidenten, weil ich es einfach für unglücklich halte, dass Deutschland zusammen mit Ländern wie Syrien und Nordkorea das noch nicht ratifiziert hat. Alle europäischen, demokratischen Länder haben ratifiziert, natürlich die USA und viele andere mehr. Wir sitzen bei entsprechenden Konferenzen, zum Beispiel im G-20-Bereich auf der Beobachterbank und können überhaupt nicht eingreifen, obwohl wir mit unserem 13. Platz im Ranking durchaus Anlass hätten, uns aktiv zu beteiligen. Das Problem liegt darin, dass die deutschen Abgeordneten nicht gleichgestellt werden wollen mit Amtsträgern - das kann ich auch voll verstehen ...
Scholl: Das ist so der Punkt, es geht um den Passus der Abgeordnetenbestechung. Die deutsche Regierung stellt sich auf den Standpunkt, dass Abgeordnete in ihrer Arbeit zu sehr eingeschränkt würden, wenn man sie nicht mal auf ein Abendessen einladen darf. Jetzt hat aber der Vorsitzende des Rechtsausschusses, der Siegfried Kauder von der CDU, einfach gesagt, Abgeordnete könne man gar nicht bestechen - basta! Herr Waigel, ich wette, Sie haben mit dem auch gesprochen, oder?
Waigel: Also noch nicht, bei Siegfried Kauder weiß ich auch nicht, ob es Sinn macht, denn der war einer der Haupt-Ablehner im Rechtsausschuss. Ich habe gehört, er soll seine Meinung jetzt etwas revidiert haben, aber da er dem nächsten Parlament nicht mehr angehört, versuche ich mit denen zu reden, die vielleicht längerfristig tätig sein können. Aber es ist nicht Auffassung der Regierung, die Regierung ist sehr wohl der Meinung, dass ratifiziert werden solle, im Parlament sind die Widerstände, und da geht es um das freie Mandat des Abgeordneten. Man will natürlich nicht haben, dass jedes Gespräch, jede Intervention eines Abgeordneten, die vielleicht zufällig aus einem Bereich kommt, wo dann auch für einen Wahlkampf gespendet wird, das gleich unter Verdacht gerät und möglicherweise dann abgeordnete unaufhörlich mit Ermittlungsverfahren überzogen werden.
Hier müsste, wie ich meine, ein gesonderter Tatbestand gefunden werden, wo das freie Mandat des Abgeordneten herausgekehrt wird, aber es kann nicht so sein, dass nur die Stimmabgabe, die gekauft ist, strafbar ist. Aber so etwas Ähnliches, wie man einem früheren österreichischen Europaparlamentarier vorgehalten hat, der sich - wahr oder nicht wahr, kann ich jetzt nicht beurteilen - offensichtlich darauf eingelassen hat, Anträge zu stellen, für die er dann bezahlt werden sollte, was alles fingiert war, aber wenn so etwas in Wirklichkeit stattfinden würde, dann ist das natürlich ein inkriminierter Tatbestand, der auch in Deutschland unter Strafe gestellt werden muss.
Scholl: Es gab im Sommer einen interessanten Schulterschluss zwischen Nichtregierungsorganisationen wie Transparency International und der Wirtschaft: Über 30 deutsche Großunternehmen, darunter Mercedes – auch Siemens? – ...
Waigel: Auch Siemens.
Scholl: ... haben die Politik aufgefordert, dieses Abkommen zu ratifizieren, weil man fürchtet, dass die deutsche Wirtschaft im Ausland Schaden nimmt, sehen Sie das auch so?
Waigel: Ja, das sehe ich auch so. In der Tat werde ich danach gefragt, und versteht man es nicht, warum Deutschland, das in so vielen Dingen Vorbild ist, hier abseits steht, und wenn man also in 30 europäischen Demokratien Regelungen gefunden hat auch für die Abgeordneten, dann müsste es doch mit dem Teufel zugehen, wenn das in Deutschland nicht möglich sein sollte. Ich kann also die Bedenken nicht nachvollziehen, und ich hoffe, dass es doch im nächsten Jahr oder spätestens zu Beginn der nächsten Legislaturperiode gelingt, auch in Deutschland diese Geschichte ordentlich und befriedigend vom Tisch zu bringen.
Scholl: Sie haben die Arbeit bei Siemens beendet, Herr Waigel. Wie man hört, sind Sie jetzt in eine Kommission der Deutschen Bank berufen worden, die das Vergütungssystem für das Management regeln soll. Da wird es dann sicherlich auch um die ominösen Millionen-Bonuszahlungen gehen, so weit ist das Thema nicht vom Thema Korruption entfernt, oder?
Waigel: Also die Dinge haben nichts miteinander zu tun, und ich bitte um Verständnis. Wir haben vereinbart, dass wir, bis dieses Gremium zu Ende getagt hat, darüber nichts verlautbaren.
Scholl: Dann viel Erfolg erst mal dafür!
Waigel: Danke schön!
Scholl: Wie weit ist Deutschland im Kampf gegen die Korruption? Das war Theo Waigel, Bundesfinanzminister a. D. und inzwischen Experte für Korruption. Herr Waigel, schönen Dank für das Gespräch!
Waigel: Auf Wiedersehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Theo Waigel: Ja, Grüß Gott!
Scholl: Ein 13. Platz im aktuellen Korruptionsindex – kann Deutschland damit zufrieden sein?
Waigel: Das ist nicht schlecht, zumal wir uns ja auch verbessert haben, und insofern haben die Anstrengungen der letzten Jahre schon gewirkt, wir stehen gut da, und wir sind in manchen Bereichen sogar Benchmark. Aber es gibt auch noch einiges zu tun, und auch das Bewusstsein, was getan werden müsste, ist noch nicht überall in Politik und Wirtschaft voll gegeben.
Scholl: Ist die Kritik des Europarates berechtigt, dass die deutschen Gesetze gegen die Korruption noch zu lasch seien?
Waigel: Der Pauschalkritik würde ich mich nicht anschließen, aber in einigen Bereichen gibt es noch Verbesserungsbedarf, und sie haben das ja vorher selber angedeutet, dass wir die UNO-Konvention gegen Korruption noch nicht ratifiziert haben, ist ein schwerer Fehler, lastet auf uns und schadet uns.
Scholl: Da kommen wir gleich noch drauf zu sprechen, Herr Waigel, aber erst mal konkret über Ihre Tätigkeit die letzten vier Jahre, das ist nämlich sehr interessant: Sie waren die letzten vier Jahre direkt mit der Problematik beschäftigt, im Siemenskonzern waren Sie ein sogenannter Compliance Monitor. Das heißt, Sie haben die Politik des Konzerns überwacht, der ja 2006 durch Schmiergeldzahlungen von Hunderten von Millionen Euro sehr negative Schlagzeilen machte. Was war genau Ihre Aufgabe?
Waigel: Es war meine Aufgabe, das Compliance-System zu überwachen, ob es funktioniert, ob der Tone from the Top, also sozusagen das, was als Botschaft ausgegeben wird von der Spitze und vom mittleren Management nach unten, auch funktioniert, ob die Kontrollen funktionieren, ob die Finanzkontrollen funktionieren, ob die Compliance Officer, also die Compliance-Beschäftigten, richtig eingestellt sind, ob sie qualifiziert sind, und am Schluss ging es vor allen Dingen im letzten Jahr darum: Ist das Compliance-System, ist die ganze Wertebilanz von Siemens nachhaltig oder war das nur schnell angelegt, um über die Krise hinwegzukommen und bei deutschen Justizbehörden sowie bei der SEC und dem Department of Justice in Amerika gut dazustehen? Oder ist es vom Konzern verinnerlicht, dass man sich darauf verlassen kann, jawohl, hier gibt es kein systemisches Risiko mehr? Und das konnte ich nach einer umfassenden Prüfung am Schluss bei der Abgabe meines letzten Reports bejahen.
Scholl: Das heißt, die Firma ist jetzt völlig sauber, es gibt keine Korruption mehr bei Siemens?
Waigel: Das können Sie bei 400.000 Beschäftigten nie voll ausschließen. Ich hatte im vorletzten Jahr eine sehr unangenehme Erfahrung, da hatten wir in Kuwait und in einem Land Südamerikas sehr unangenehme Vorfälle. Nur, als ich dann zu den amerikanischen Autoritäten kam und das mit ihnen besprach, haben die zu uns gesagt: Wenn bei euch nichts passieren würde, dann würden wir euch nicht glauben, das Entscheidende ist, wie reagiert ihr, wie reagiert Siemens, wenn so etwas passiert?
Und dass da sofort die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wurde, dass sofort der Monitor benachrichtigt wurde und die amerikanischen zuständigen Stellen, das war in Ordnung. Das heißt, wie geht man dann auch mit Verfehlungen um, wie wird reagiert, was macht die Spitze, verdrängt man oder vertuscht man oder legt man so etwas offen? Und insofern haben auch solche Einzelfälle nicht geschadet, die werden auch künftig vorkommen und dann nicht schaden, wenn der Konzern mit dem umgeht, richtig umgeht, und nicht versucht, wie früher nicht hinzusehen, zu verdrängen oder zu verschweigen.
Scholl: Diesen Fall, den Sie ansprechen, da haben Manager in Kuwait versucht, den Energieminister zu bestechen mit einer stattlichen Summe, das wurde bekannt. Die Mitarbeiter wurden sofort entlassen, das heißt also, diese Mechanismen haben gegriffen. Diese Form des Compliance Monitoring, Herr Waigel, die kommt ja aus den USA. Sollte diese gewissermaßen institutionalisierte Kontrolle auch bei deutschen Unternehmen verbindlich werden?
Waigel: Das könnte man durchaus überlegen. Ich hatte mal das Angebot, in einem anderen Bereich tätig zu sein, obwohl das im deutschen Gesetz nicht ohne Weiteres vorgesehen ist. Aber zum Beispiel die BaFin könnte so etwas auch mal anregen, bei Situationen, wo sie einem Bankinstitut möglicherweise mal eine Zeit lang Bewährung geben möchte. Also so etwas wäre durchaus denkbar, aber wir haben damit noch nicht genügend Erfahrung, und ich war ja auch der erste nichtamerikanische Monitor, der von den Amerikanern eingesetzt wurde, allerdings auf Vorschlag vom Konzern und nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft München I, und lustigerweise haben die gesagt, wir haben gar nichts dagegen, denn meine allererste berufliche Tätigkeit 1968 nach meinem zweiten juristischen Staatsexamen war Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft München I.
Scholl: Deutschland und die Korruption - wir sind hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Theo Waigel. Der frühere Bundesfinanzminister hat in den letzten vier Jahren den Siemens-Konzern überwacht. Wir haben es zu Beginn unseres Gespräches schon angesprochen, die Kritik des Europarates an Deutschland, an Deutschlands Gesetzgebung und auch die Kritik daran, dass Deutschland die UN-Konvention gegen Korruption noch nicht unterzeichnet hat. Sie haben sich dieser Kritik jetzt angeschlossen, Herr Waigel. Warum ist es Ihrer Meinung nach wichtig, dass Deutschland ein solches Abkommen ratifiziert?
Waigel: Ich habe das nicht erst jetzt getan, sondern schon in den letzten beiden Jahren habe ich versucht, Einfluss auszuüben, habe versucht, Parlamentarier zu gewinnen, habe mit den Fraktionsvorsitzenden gesprochen, mit Ministern, mit dem Kanzleramt, mit dem Bundestagspräsidenten, weil ich es einfach für unglücklich halte, dass Deutschland zusammen mit Ländern wie Syrien und Nordkorea das noch nicht ratifiziert hat. Alle europäischen, demokratischen Länder haben ratifiziert, natürlich die USA und viele andere mehr. Wir sitzen bei entsprechenden Konferenzen, zum Beispiel im G-20-Bereich auf der Beobachterbank und können überhaupt nicht eingreifen, obwohl wir mit unserem 13. Platz im Ranking durchaus Anlass hätten, uns aktiv zu beteiligen. Das Problem liegt darin, dass die deutschen Abgeordneten nicht gleichgestellt werden wollen mit Amtsträgern - das kann ich auch voll verstehen ...
Scholl: Das ist so der Punkt, es geht um den Passus der Abgeordnetenbestechung. Die deutsche Regierung stellt sich auf den Standpunkt, dass Abgeordnete in ihrer Arbeit zu sehr eingeschränkt würden, wenn man sie nicht mal auf ein Abendessen einladen darf. Jetzt hat aber der Vorsitzende des Rechtsausschusses, der Siegfried Kauder von der CDU, einfach gesagt, Abgeordnete könne man gar nicht bestechen - basta! Herr Waigel, ich wette, Sie haben mit dem auch gesprochen, oder?
Waigel: Also noch nicht, bei Siegfried Kauder weiß ich auch nicht, ob es Sinn macht, denn der war einer der Haupt-Ablehner im Rechtsausschuss. Ich habe gehört, er soll seine Meinung jetzt etwas revidiert haben, aber da er dem nächsten Parlament nicht mehr angehört, versuche ich mit denen zu reden, die vielleicht längerfristig tätig sein können. Aber es ist nicht Auffassung der Regierung, die Regierung ist sehr wohl der Meinung, dass ratifiziert werden solle, im Parlament sind die Widerstände, und da geht es um das freie Mandat des Abgeordneten. Man will natürlich nicht haben, dass jedes Gespräch, jede Intervention eines Abgeordneten, die vielleicht zufällig aus einem Bereich kommt, wo dann auch für einen Wahlkampf gespendet wird, das gleich unter Verdacht gerät und möglicherweise dann abgeordnete unaufhörlich mit Ermittlungsverfahren überzogen werden.
Hier müsste, wie ich meine, ein gesonderter Tatbestand gefunden werden, wo das freie Mandat des Abgeordneten herausgekehrt wird, aber es kann nicht so sein, dass nur die Stimmabgabe, die gekauft ist, strafbar ist. Aber so etwas Ähnliches, wie man einem früheren österreichischen Europaparlamentarier vorgehalten hat, der sich - wahr oder nicht wahr, kann ich jetzt nicht beurteilen - offensichtlich darauf eingelassen hat, Anträge zu stellen, für die er dann bezahlt werden sollte, was alles fingiert war, aber wenn so etwas in Wirklichkeit stattfinden würde, dann ist das natürlich ein inkriminierter Tatbestand, der auch in Deutschland unter Strafe gestellt werden muss.
Scholl: Es gab im Sommer einen interessanten Schulterschluss zwischen Nichtregierungsorganisationen wie Transparency International und der Wirtschaft: Über 30 deutsche Großunternehmen, darunter Mercedes – auch Siemens? – ...
Waigel: Auch Siemens.
Scholl: ... haben die Politik aufgefordert, dieses Abkommen zu ratifizieren, weil man fürchtet, dass die deutsche Wirtschaft im Ausland Schaden nimmt, sehen Sie das auch so?
Waigel: Ja, das sehe ich auch so. In der Tat werde ich danach gefragt, und versteht man es nicht, warum Deutschland, das in so vielen Dingen Vorbild ist, hier abseits steht, und wenn man also in 30 europäischen Demokratien Regelungen gefunden hat auch für die Abgeordneten, dann müsste es doch mit dem Teufel zugehen, wenn das in Deutschland nicht möglich sein sollte. Ich kann also die Bedenken nicht nachvollziehen, und ich hoffe, dass es doch im nächsten Jahr oder spätestens zu Beginn der nächsten Legislaturperiode gelingt, auch in Deutschland diese Geschichte ordentlich und befriedigend vom Tisch zu bringen.
Scholl: Sie haben die Arbeit bei Siemens beendet, Herr Waigel. Wie man hört, sind Sie jetzt in eine Kommission der Deutschen Bank berufen worden, die das Vergütungssystem für das Management regeln soll. Da wird es dann sicherlich auch um die ominösen Millionen-Bonuszahlungen gehen, so weit ist das Thema nicht vom Thema Korruption entfernt, oder?
Waigel: Also die Dinge haben nichts miteinander zu tun, und ich bitte um Verständnis. Wir haben vereinbart, dass wir, bis dieses Gremium zu Ende getagt hat, darüber nichts verlautbaren.
Scholl: Dann viel Erfolg erst mal dafür!
Waigel: Danke schön!
Scholl: Wie weit ist Deutschland im Kampf gegen die Korruption? Das war Theo Waigel, Bundesfinanzminister a. D. und inzwischen Experte für Korruption. Herr Waigel, schönen Dank für das Gespräch!
Waigel: Auf Wiedersehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.