Theatertreffen der Jugend

Rampensäue in der Pubertät

"Anne" nach dem Tagebuch der Anne Frank aufgeführt vom Jungen Schauspiel Frankfurt beim Theatertreffen der Jugend 2015 in Berlin.
"Anne" nach dem Tagebuch der Anne Frank aufgeführt vom Jungen Schauspiel Frankfurt beim Theatertreffen der Jugend 2015 in Berlin. © Theatertreffen der Jugend - Birgit Hupfeld
Von Gerd Brendel  · 01.06.2015
Beim Theatertreffen der Jugend im Haus der Berliner Festspiele stehen Menschen auf der Bühne, die so sind, wie die erwachsenen Zuschauer einmal waren. Unmittelbar, echt und fragend: "Wie bin ich ein Mensch als ich selbst?"
"Wie bin ich ein Mensch als ich selbst?"
Theatertreffen der Jugend, der Eröffnungsabend. Die geladenen Ensembles stellen sich gegenseitig vor. Eine Frage bleibt im Kopf hängen.
"Wie bin ich ein Mensch als ich selbst?"
Auf der Bühne stehen in der Regel Menschen, die nicht so sind wie man selbst. Profi-Schauspieler spielen vor Publikum. Und wenn es klappt, erkennen sich die Zuschauer in den Rollen wieder. Beim Theatertreffen der Jugend stehen Menschen auf der Bühne, die so sind, wie die erwachsenen Zuschauer einmal waren. Das nicht Perfekte und Unfertige gehört zum Programm wie die Begeisterung: Wenn Jugendliche auf der Bühne stehen, spielen sie immer sich selbst, ihre Fragen und Antwortversuche.
"Die jugendliche Perspektive fragt danach, die Welt zu begreifen, oder teilt erste Erkenntnisse mit."
... sagt Martin Frank, Juryvorsitzender und langjähriger Begleiter des Jugend-Theater-Treffens. Das gilt auch, wenn es im Stück vordergründig um andere geht. Wie in "Anne". Das junge Schauspiel Frankfurt, die Nachwuchsbühne des städtischen Schauspieltheaters, spielt das "Tagebuch der Anne Frank". Wobei die Darsteller weniger spielen als zitieren. Der Alltag im Versteck, die Konflikte mit Eltern und der Schwester Margot werden szenisch kaum umgesetzt.
Aber als einer der jungen Performer minutenlang an der Schulter einer Mitspielerin wörtlich Rotz und Wasser heult, ist die holprige Dramaturgie vergessen.
"Ich glaube, was dieses Amateur- oder Laienhafte ist, das ist einfach die Tatsache, dass man diesen Ensembles zugesteht, dass sie auch bei wohl durchgedachten Konzepten, irgendwann sich im Spiel verlieren und in diesem Verlieren des Spiels auch eine Konzeption verlieren und nur noch sie sind, und wir für Augenblicke das miterleben."
Erster Sex und Geschlechterrollen
Wie bin ich ein Mensch? Wer bin ich? Wer will ich sein und vor allem: Wer will ich nicht sein? Fragen, die auch den "Aktionistinnen" vom Berliner Maxim Gorki Theater keine Ruhe lassen. In "Kritische Masse" spielen, erzählen und tanzen 13 junge Frauen zwischen 15 und 25 ihr Leben. Erster Sex, Rollenklischees und die uralte Frage: "Bin ich schön genug?" Das alles wird rasend schnell und mitunter saukomisch verhandelt.
"Das ist schön!",
... sagt eine Darstellerin und schlägt kokett die Beine übereinander.
"Das ist hässlich!",
Sie fläzt sich breitbeinig auf ihren Stuhl. Sie wirft den Kopf wie ein Model in den Nacken.
"Das ist schön - aber anstrengend!"
Um Geschlechterrollen geht es auch in "Gender-Ding". "Junge Sterne" nennt sich das Hamburger Performance-Kollektiv selbstbewusst, das sich unter dem Dach des Kulturvereins Hajuson zusammengefunden hat. Die Darsteller aus Afrika, dem Iran und Afghanistan spielen mit Geschlechterrollen: wortwörtlich. Sie schlüpfen in die Rolle des jeweils anderen Geschlechts.
"Es gab im Unterricht im Iran einen Jungen der war anderes."
... erinnert sich Hamed Ahmadi an seine Schulzeit.
"In meinem Herzen schreibt jeder seine eigene Geschichte, aber bei ihm haben die anderen seine Geschichte geschrieben."
Eine der berührendsten Momente beim Eröffnungswochenende des Jugendtheater-Treffens: Der unbedingte Wunsch, die eigenen Geschichten zu erzählen, das ist das, was all die Jugendlichen und jungen Erwachsenen verbindet. Und wir, die erwachsenen Zuschauer, erinnern uns traurig daran, was aus unseren eigenen Geschichten geworden ist, und sind glücklich, dass sie andere für uns weiter erzählen.
Martin Frank: "... und wir für Augenblicke das miterleben und plötzlich Dinge auch anders sehen und uns befreit befinden."
Ein großer erwachsener Theatermann, (Friedrich Schiller) hat das vor über 200 Jahren so formuliert, in seinem 15. Brief über die ästhetische Erziehung des Menschen:
"Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt."
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