Theatertreffen 2016

Früher hinschauen, liebe Jury!

Schauspieler Alexander Khuon auf der Bühne des Deutschen Theaters Berlin 2015 bei der Premiere von "Väter und Söhne" von Brian Friel nach Iwan Turgenjew unter der Regie von Daniela Löffner
Schauspieler Alexander Khuon bei der Premiere von "Väter und Söhne" unter der Regie von Daniela Löffner - warum wurde sie von der Jury erst jetzt entdeckt? © picture alliance / ZB / Claudia Esch-Kenkel
Von Michael Laages · 03.02.2016
Zehn aus 394 Inszenierungen hat die Jury ausgewählt und zum Theatertreffen eingeladen. Es ist junges und überraschendes Theater dabei. Peinlich bleibt allerdings, wie hochnäsig die Juroren den Osten der Theater-Republik ignorieren - und manche Entdeckung kommt spät.
Fünf neue Namen sind im Spiel beim diesjährigen Theatertreffen – und das ist gut so. Anna-Sophie Mahler erarbeitete an den "neuen" Münchner Kammerspielen des Intendanten Matthias Lilienthal Sepp Bierbichlers Roman "Mittelreich" für die Bühne. Daniela Löffner wird "Väter und Söhne", Brian Friels Theaterfassung des Romans von Iwan Turgenjew, auch zum Theatertreffen am Deutschen Theater in Berlin zeigen, wo die Arbeit entstanden ist. Ersan Mondtag kreierte für das Staatstheater in Kassel eine stumme, aber anspielungsreiche Horror-Fantasie unter dem Titel "Tyrannis".
Kroesinger beschert dem Karlsruher Staatstheater eine Einladung
Simon Stone suchte und fand fürs Wiener Burgtheater bei den Wiener Festwochen eine sehr neue Fassung für "John Gabriel Borkman", den Ibsen-Klassiker – die Aufführung ist mittlerweile in Basel zu Hause. Hans-Werner Kroesinger schließlich, sonst bekannt von HAU und Gorki-Theater in Berlin wie von den Salzburger Festspielen, bescherte dem Badischen Staatstheater in Karlsruhe (wie Mondtag dem Haus in Kassel – und auch das ist gut so!) die erste Einladung seit Menschengedenken – Kroesinger recherchierte die Geschichte der Macht-Übernahme durch die Nazis am Karlsruher Theater.
"Das Festival wird weiblicher und jünger" - Hören Sie auch das Gespräch mit "Theatertreffen"-Juror Andreas Wilink im Deutschlandradio Kultur
Wieder dabei sind Herbert Fritsch mit "der die mann" von der Berliner Volksbühne, und Yael Ronen mit der Gorki-Produktion "The Situation". Stefan Puchers sehr zeitgenössische, von Dietmar Dath gefertigte Ibsen-Bearbeitung "Ein Volksfeind" kommt vom Züricher Schauspielhaus. Barbara Bürk bringt eine hinreißend komische "Effi Briest"-Variation im musikalischen Arrangement von Clemens Sienknecht aus Hamburg mit – neben ihrer Schauspielhaus-Intendantin Karin Beier, die Federico Fellinis "Schiff der Träume" mit der Dramaturgin Stefanie Carp zur zugespitzt-aktuellen Alptraum-Fabel vom Verfall Europas und der Ankunft der Geflüchteten umarbeitete – hier, bei Fellini, und ein bisschen auch bei Yael Ronen, ist das politische Thema der Saison zu spüren: unser aller tiefe Rat- und Hilflosigkeit angesichts der unabweisbaren Völkerwanderung, die auch unsere ehedem so friedliche Insel der Seligen erfasst.
Neue Jury-Persönlichkeiten fürs Theatertreffen berufen
Das macht ein Gutteil der Zeitgenossenschaft der Bühnen zurzeit aus – sie wissen, wie sehr gerade sie den Fokus richten können (und müssen!) auf die Front-Stellungen der Gegenwart. Volker Lösch setzte gegen "Pegida" in Dresden mehr auf Wut als auf Kunst – aber mit nicht viel mehr als Provokation und Dokumentation, sagt jedenfalls die Jury, oder nur mit gutem Willen wie bei den "Schutzbefohlenen" nach Aischylos und Jelinek in Leipzig ist das Ticket nach Berlin nicht zu holen. Das mag qualitativ stimmen – peinlich bleibt trotzdem, wie nachgerade hochnäsig die Jury den Osten der Theater-Republik ignoriert; und auch wenn jetzt fünf Jury-Persönlichkeiten neu berufen werden, wird sich daran wohl nichts ändern. Das war tendenziell schon immer und ist im Moment besonders ärgerlich.
Und noch eine Frage – sind selbst die neuen Namen erst dann die Einladung wert, wenn sie mit angeblich edlem Ensemble arbeiten? Daniela Löffner wurde nicht etwa in Braunschweig entdeckt (wo sie viel bewirkt hat), Simon Stone nicht in Oberhausen, und der "Effi Briest"-Erfinder Clemens Sienknecht ist seit Jahren ein Meister-Musiker aus Christoph Marthalers schrägem Geist. Früher hinschauen, liebe Jury!
Und um Frank Castorfs starke Arbeiten an "Judith" und den "Brüdern Karamasow" ist es ein bisschen schade – aber das wird schon noch: einmal, nächstes Jahr, geht der Regisseur ja noch als Intendant der Volksbühne ins Rennen ums "Theatertreffen".
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