Samstag, 20. April 2024

Archiv

Pille gegen Alkoholsucht
Forscher testen neuen Wirkstoff

Schon seit Jahren suchen Forscher nach geeigneten Medikamenten, die alkoholabhängigen Menschen helfen können, langfristig die Finger vom Alkohol zu lassen - bisher ohne Erfolg. Nun haben schwedische Forscher erstmals einen Wirkstoff an süchtigen Menschen getestet, der direkt in das Belohnungszentrum im Gehirn eingreift. Die Ergebnisse der Tests sind vielversprechend.

Von Christine Westerhaus | 29.12.2015
    Der Schatten einer Frau, die nachdenklich vor einem Glas Wein sitzt,
    Die Forscher sind sicher, dass die getestete Substanz vielen Menschen helfen kann, von der Sucht loszukommen. (picture alliance )
    Wenn wir Sport treiben oder Sex haben, schüttet unser Gehirn Opiate aus, die uns glücklich machen. Dafür ist das sogenannte Belohnungssystem verantwortlich – es ist ein Teil unseres Gehirns, der positive Gefühle mit guten Erfahrungen verknüpft. Gesteuert wird das Belohnungssystem vor allem durch den Neurotransmitter Dopamin, erklärt der schwedische Nobelpreisträger Arvid Carlsson, der Ende der 1950er Jahre entdeckt hat, wie dieser Botenstoff im Gehirn funktioniert. Drogen wie Alkohol oder Kokain bringen das Gehirn dazu, mehr Dopamin auszuschütten, als nötig. Dadurch werde das Belohnungssystem gewissermaßen kurzgeschlossen, erklärt der 92-jährige Forscher:
    "Wenn man Alkohol oder andere Drogen zu sich nimmt, braucht man nichts dafür zu tun, um dieses Glücksgefühl, diese Euphorie zu bekommen. Das ist das große Problem mit Rauschmitteln. Es wäre also denkbar, dieses Belohnungssystem einfach auszuschalten, indem man den Dopaminstoffwechsel blockiert. Doch hier haben wir das Problem, dass Dopamin auch an vielen anderen Stoffwechselprozessen beteiligt ist, die dann nicht mehr funktionieren würden."
    Nach der Behandlung weniger Lust auf einen Drink
    In den Neunzigerjahren hat Arvid Carlsson jedoch eine Substanz entwickelt, die den Dopaminstoffwechsel regulieren kann, ohne ihn vollends zu blockieren. Diesen Wirkstoff mit dem sperrigen Namen OSU 61/62 hat Pia Steensland vom Karolinska Institut in Stockholm erfolgreich getestet. Zunächst an alkoholsüchtigen Ratten.
    "Tiere, die mit OSU 61/62 behandelt wurden, tranken weniger Alkohol und waren weniger motiviert, an Alkohol zu kommen. Zudem beobachteten wir, dass es seltener zu Rückfällen kam, wenn die Tiere schon längere Zeit abstinent waren und dass sie weniger starke Entzugserscheinungen hatten."
    Später testeten die Forscher OSU61/62 in einer Placebo-kontrollierten Studie an 56 Menschen, die bereits seit Längerem alkoholkrank waren. Die Probanden wurden Situationen ausgesetzt, die in ihnen normalerweise einen starken Drang nach Alkohol auslösen. So wurde ihnen beispielsweise ein Video gezeigt, in dem Gäste auf einer Party Alkohol trinken. Später sollten sie sich ein Glas ihres Lieblings-Getränks einschenken und daran riechen. Doch diejenigen, die mit OSU behandelt wurden, verspürten danach weniger Lust auf einen Drink als jene, die ein Scheinmedikament bekommen hatten. Dann ließen die Forscher ihre Probanden jeweils ein Glas Alkohol trinken. Dabei berichteten die OSU behandelten Personen, dass sie dabei nicht den gleichen Kick erlebten, wie er ihnen Alkohol normalerweise gibt. Deshalb ist sich Pia Steensland sicher, dass die getestete Substanz vielen Menschen helfen kann, von der Sucht loszukommen.
    "Was OSU von den Wirkstoffen in anderen Medikamenten unterscheidet ist, dass es direkt in den Dopaminstoffwechsel eingreift. Andere Substanzen wirken nur auf die Opiate, deren Ausschüttung das Belohnungssystem bewirkt. Dopamin ist aber die wichtigste Signalsubstanz in der Alkoholabhängigkeit und deshalb glauben wir, dass OSU besser wirkt, als andere Wirkstoffe, die schon auf dem Markt sind."
    Beweis in größeren klinischen Studien steht noch aus
    Wie genau OSU 61/62 auf das Dopaminsystem wirkt, haben die Forscher noch nicht vollends entschlüsselt. Schon jetzt ist aber klar, dass auch diese Substanz die vielen alkoholkranken Menschen auf der Welt nicht von einem Tag auf den anderen von ihrer Sucht heilen wird. Sie kann ihnen höchstens dabei helfen, sich selbst aus der Alkoholabhängigkeit zu befreien, so Steensland.
    "Die Alkoholsucht ist eine sehr komplexe Krankheit. Wir glauben deshalb nicht, dass sie mit einem Medikament so einfach schnell geheilt werden kann. Doch wenn wir den Drang nach Alkohol minimieren, helfen wir Süchtigen, erst mal ihren Alltag zu bewältigen. Wenn sie diese Kontrolle zurückgewonnen haben, können sie eine Therapie machen, mit der sie ihre Sucht hoffentlich längerfristig in den Griff bekommen."
    Zunächst müssen Arvid Carlsson und Pia Steensland aber in größeren klinischen Studien beweisen, dass OSU 61/62 Alkoholsüchtigen wirklich dabei hilft, abstinent zu werden. Erst dann können sie ein neues Medikament auf den Markt bringen. Hält der Stoff was er verspricht, könnte er auch Menschen mit anderen Süchten helfen, meint Arvid Carlsson, der trotz seines stolzen Alters (von 92 Jahren) nicht die Finger von der Forschung lassen kann.
    "Andere Drogen wie Amphetamine oder Kokain haben eine sehr ähnliche Wirkung auf das Belohnungssystem. Sie bewirken, dass mehr Dopamin ausgeschüttet und eine Euphorie ausgelöst wird. Wir glauben deshalb, dass OSU 61/62 auch bei anderen Drogen hilft, die Suchterkrankung zu bekämpfen."