Theaterstück "Krum" von Hanoch Levin

Eine Entdeckung – 45 Jahre später

07:01 Minuten
Foto von der Inszenierung: Mehrere Menschen am Strand.
Party sieht anders an. Kornél Mundruczó und sein Team haben sich eine Strandsituation ausgedacht, wo alle Figuren die ganze Zeit anwesend sind – und sich anöden. © Armin Smailovic
Michael Laages im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 02.10.2021
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In Israel war der Dramatiker Hanoch Levin gefeierter Star und Hassfigur in einem. In Deutschland sind seine Stücke kaum bekannt. Kornél Mundruczó ändert das und bringt "Krum" in Hamburg auf die Bühne. Unser Kritiker ist begeistert – und fassungslos.
Michael Laages kann es nicht fassen – "Ein Echter Skandal!" –, dass Stücke von Hanoch Levin nicht früher auf deutschen Bühnen zu sehen waren. 45 Jahre ist "Krum. Ein Stück mit zwei Hochzeiten und zwei Begräbnissen" nun alt – und außerhalb von Deutschland kennt man es, nur bei uns "Fehlanzeige!". Am Samstag wurde es im Hamburger Thalia Theater zum ersten Mal in Deutschland aufgeführt – in der Regie von Kornél Mundruczó.
Ein "Schnipselwerk", wie Laages sagt: Die Figuren lieben, leben und sterben – und man weiß eigentlich nie so genau, warum. Ein Stück, das fast völlig frei von Zusammenhängen ist, und doch folgt man den Figuren gern.

Eine typische Oblomow-Figur

Krum, nach dem das Stück benannt ist, ist nicht die Hauptfigur, und dennoch entspinnt sich um ihn herum eine Art Nachbarschaftssituation: Jeder kennt jeden und alle haben mit- oder wollen Beziehungen zueinander. Dabei ist Krum eine typische Oblomow-Figur, wie Laages erklärt: Er tut nicht wirklich was, ist nicht aktiv am Leben beteiligt, nimmt aber alles zur Kenntnis. Einmal sagt er: "Ich habe nichts geleistet, als ich im Ausland war. Und nun komme ich zurück und leiste auch weiterhin nichts."

Literarischer Staatsfeind

Ganz im Gegensatz zum Autor des Stücks. Der israelische Dramatiker und Regisseur Hanoch Levin, der 1999 gestorben ist, war in seiner Heimat seit Ende der 60er-Jahre eine Art literarischer Staatsfeind. Mit seinen Stücken für das renommierte Cameri-Theater hat er sich immer wieder sehr unbeliebt gemacht, wie Laages berichtet.
Dieses Stück in dieser Inszenierung jedoch ist fast frei von israelischen oder jüdischen Bezügen, so Laages. Es spielt an einem Strand – und dieser könnte sich genauso in Rio wie in Los Angeles befinden. Rätselhafte, geisterhafte Figuren wie Krums Mutter oder jemand mit dem sprechenden Namen "Silenti", der fast nichts sagt, sich nur immer wieder ein Bier aus der Kühlbox nimmt, befinden sich permanent auf der Bühne. Sie alle schauen in einen Rundhorizont.

Dystopische Unzukunft

Eine lahme Strandparty, aus der es kein Entkommen gibt. Eine Art "dystopische Unzukunft", wie Laages sagt: Die Figuren denken zwar ab und zu mal darüber nach, wie sie dieser Situation entfliehen können, aber eigentlich sind sie alle wie dieser Krum, der ein Oblomow ist und gar nichts tut.
(ckr)
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