Theaterprojekt zum Zweiten Weltkrieg

"Es waren ja nicht die heutigen Deutschen"

Einige Akteurinnen von "Sound in the Silence" in Warschau
"Es geht um unsere Gefühle, um uns selbst im geschichtlichen Kontext" − Akteurinnen von "Sound in the Silence" in Warschau. © Florian Kellermann
Von Florian Kellermann · 03.10.2018
Schüler aus Polen, Deutschland, Finnland und Litauen haben in Warschau das Theaterstück "Sound in the Silence" gezeigt. Zuvor beschäftigten sie sich mit der deutschen Besatzung in Polen, dem Aufstand im Getto 1943 und dem Warschauer Aufstand 1944.
Bedrohlich geht das Menschenspalier auf die Reihen der Zuschauer zu. Im Gegenlicht ist nur seine Silhouette zu sehen. "Mokotow-Marsch" wiederholen die Jugendlichen, erst leise, dann immer lauter - in Erinnerung an das gleichnamige Lied der Kämpfer im Warschauer Aufstand 1944. Damals erhob sich die polnische Heimatarmee gegen die deutschen Besatzer.

"Wie die Leute im Ghetto gelebt haben"

Nun, auf der Theaterbühne, scheint daraus der Aufstand der jungen Generation zu werden gegen eine Welt, in der es immer noch Kriege gibt. Keine leichte Materie, gibt die 17-jährige Vanessa Schlegel zu:
"Wenn man es in der Schule lernt, habe ich das Gefühl, ist das eher oberflächlich. Die ganzen Daten. Hier sieht man die Bilder, wie das aussieht, nachdem Warschau so zerstört wurde. Hier sieht man die Bilder, wie die Leute im Ghetto gelebt haben, was sie gemacht haben, wie das aussah. Ich glaube, ich werde die ganzen Details, die ich hier gelernt habe, nicht vergessen, weil ich sie auf eine andere Art und Weise gelernt habe."
Sieben Tage lang waren die Schüler aus den vier Ländern in Warschau zusammen. Ein Projekt des Europäischen Netzwerks Erinnerung und Solidarität und des Hamburger Vereins für Kultur- und Sozialarbeit Motte.
Besonders die Teilnehmer aus Polen und aus Deutschland freundeten sich dabei an, wie sie selbst sagen. Gabriel Lublik, 18 Jahre alt:
"Wir haben hier eigentlich keine Barrieren zwischen den verschiedenen Nationen gespürt. Dazu hat auch der Workshop für kreatives Schreiben beigetragen. Wir sollten einen Brief schreiben an Menschen, die 65 Jahre in der Zukunft leben. Manche haben das sehr persönlich umgesetzt, haben von ihren intimen Problemen erzählt, etwa, dass sie früher in der Schule gehänselt wurden. So sind wir uns sehr nahe gekommen."
Der polnische Schüler Gabriel Lublik in "Sound in the Silence" in Warschau
Der polnische Schüler Gabriel Lublik in "Sound in the Silence" in Warschau© Florian Kellermann

"Deutschland ist jetzt ein anderes Land"

Von den politischen Spannungen zwischen Deutschland und Polen, die in den vergangenen Jahren zugenommen haben, war bei den Jugendlichen nichts zu spüren. Natalia Zolnowska, 17 Jahre alt:
"Ich bin den deutschen Teilnehmern hier am nächsten gekommen, weil das wunderbare Menschen sind. Als wir durch die Museen oder die Straßen des Ghettos gegangen sind, habe ich ihnen angesehen, dass sie sich schuldig fühlen. Das tut mir leid, denn es waren ja nicht die heutigen Deutschen. Deutschland ist jetzt ein ganz anderes Land − und wir hier verstehen uns sehr gut."
So kam es auch bei den Deutschen an, etwa bei der 17-jährigen Alisa Balle:
"Die wissen auch, das sind nicht wir gewesen, das waren nicht Vanessa und ich. Deswegen spielt das gar keine Rolle für die, um uns kennenzulernen, um uns zu mögen und sich zu unterhalten."
Künstlerischer Leiter des Projekts war Dan Wolf, ein Autor und Regisseur aus den USA, dessen Urgroßvater im Warschauer Ghetto ermordet wurde:
"Unsere Performances sind metaphorisch. Es geht um unsere Gefühle, um uns selbst im geschichtlichen Kontext. Das letzte, was ich will, wäre, die Geschichte nachzustellen. Ihr spielt die Deutschen, und ihr spielt die Polen und so weiter. Damit würden wir die Probleme nur reproduzieren. Die Kunst soll uns verbinden, und deshalb führen wir hier auch schwierige Gespräche."
Der US-Künstler Dan Wolf setzt seit 2011 Projekte mit Jugendlichen zur europäischen Erinnerungskultur um − unter dem Titel "Sound in the Silence" (Klang in der Stille).
Der US-Künstler Dan Wolf setzt seit 2011 Projekte mit Jugendlichen zur europäischen Erinnerungskultur um − unter dem Titel "Sound in the Silence" (Klang in der Stille).© Florian Kellermann
Mit neuen Freunden fahren die Schüler nach Hause. Mehr als das: Der Aufenthalt in Warschau habe ihr Leben verändert, sagt die 17-jährige Vanessa Schlegel:
"Mein einziger Gedanke ist: Was für eine Person möchte ich sein, wenn ich wieder zurückkomme nach Hamburg. Wie möchte ich mit den Menschen umgehen, wie möchte ich mit mir umgehen? Hier hat man gelernt, mal hinter die Fassade zu gucken. Es ist normal, dass man urteilt, wenn man eine Person sieht. Hier lernt man zu fragen: Wie geht's dir? Und dann wirklich zuzuhören und dann weiter nachzufragen."
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