Theaterpremiere von "Die Parallelwelt"

"Das ist ein Erlebnisabend"

Uwe Schmieder, Stephanie Eidt und Sina Martens während der Fotoprobe zu "Die Parallelwelt" im Berliner Ensemble
Uwe Schmieder, Stephanie Eidt und Sina Martens während der Fotoprobe zu "Die Parallelwelt" im Berliner Ensemble © imago/Martin Müller
Kay Voges im Gespräch mit Shanli Anwar · 15.09.2018
Eine Geburt in Berlin, ein Tod in Dortmund. Dann bewegen sich beide Aufführungen zeitlich aufeinander zu, sagt Regisseur Kai Voges. Verbunden durch ein Glasfaserkabel feiern Schauspiel Dortmund und Berliner Ensemble gemeinsam Premiere von "Die Parallelwelt".
Shanli Anwar: Eine ungewöhnliche Theateruraufführung, und die Besonderheit wird im Titel schon angedeutet: "Die Parallelwelt" wird heute auf zwei Bühnen aufgeführt, eben parallel am Theater in Dortmund und im Berliner Ensemble. Ein ähnliches Bühnenbild, sieben Figuren, die es in doppelter Ausfertigung gibt. Dabei wird die Geschichte eines Lebens im Grunde gespielt. Berlin beginnt von Geburt bis zum Tod, Dortmund das Ganze dann rückwärts, so "Benjamin Button"-mäßig. Und dann gibt es einen Punkt, die Mitte des Lebens, eine Hochzeit, da treffen die sieben Figuren zeitlich aufeinander, auf ihre Parallelwelt.
O-Ton Parallelwelt: Ich bin doch auf meiner eigenen Hochzeit nicht im Hintergrund … – Was soll das heißen, auf deiner Hochzeit? Das ist meine Hochzeit! – Meine Hochzeit! Vielleicht hörst du mal besser zu. Ich bin die Braut!
Anwar: Zwei Orte, zwei Bühnen. Regie hatte der Intendant des Theaters Dortmund, Kay Voges. Wir konnten gestern vor der letzten Probe mit ihm sprechen. Hallo, Herr Voges!
Kay Voges: Hallo, grüße Sie!
Anwar: Sie waren heute Morgen noch im Berliner Ensemble, jetzt wieder der Weg ins Theater in Dortmund. Ist das jetzt Ihr Alltag?
Voges: Genau, so sahen die letzten drei Wochen aus. Die Masse ist träge, habe ich gelernt, und die Deutsche Bahn oft verspätet. Die Proben allerdings fanden natürlich zeitgleich statt, und durch die Glasfaserkabel, die Sie da bespielen, können wir in Lichtgeschwindigkeit miteinander kommunizieren. Wir sehen einander, wir hören einander. Außer dass der Körper nicht anwesend war, konnte ich bei jeder Probe dabei sein, überall.

"Jeden Morgen sitzen wir zusammen vor einer Leinwand"

Anwar: Sie sprechen schon die Glasfaserkabel an. Also, Sie nutzen ja schon länger Multimediaelemente im Theater. Was wird dem Publikum denn bei dieser Uraufführung konkret geboten, also was ist auf der einen Seite in Dortmund zu sehen, auf der anderen in Berlin?
Voges: Das Schauspiel Dortmund beschäftigt sich jetzt schon die neunte Spielzeit immer wieder mit den Fragen der Gegenwart. Wie wirkt die digitale Revolution sich aus auf unsere Gesellschaft, auf unser Menschenbild, auf unsere Kommunikation? Und diesmal haben wir uns gefragt: Wie funktioniert das denn, dass die virtuelle Welt das, was wir nicht körperlich sehen, was nicht dreidimensional vor uns ist, trotzdem so einen starken Einfluss auf unser Dasein hat? Und so kam die Idee zutage, dass wir gesagt haben: Wie ist es denn, wenn die Leute, die existieren, die wir aber nicht sehen können, trotzdem vorhanden sind? Und so sehen wir jetzt aus zwei Perspektiven ein Stück, das gemeinsam gespielt wird. Und zum einen sehen wir die echten Schauspieler in der jeweiligen Stadt, und wir sehen die Schauspieler aus der anderen Stadt, projiziert. Wir hören sie, und wir spielen zusammen, obwohl wir eigentlich physisch gar nicht zusammen sind.
Anwar: Ist denn die Technik eine Herausforderung? Was, wenn die Leitung zusammenbricht?
Voges: Da können wir heute Abend alle die Daumen drücken, dass das nicht passiert. Seit anderthalb Wochen läuft die stabil, die Leitung. Es gibt natürlich eine Latenz. Auch Lichtgeschwindigkeit ist eine Geschwindigkeit. 0,2 Millisekunden braucht das Signal, um von Dortmund nach Berlin zu kommen und umgekehrt. Und wir verschicken so pro Tag in so einer Probe – morgens und abends wird geprobt, dazwischen noch kommuniziert –, sind das so sieben bis neun Terabyte an Daten, die hin- und hertransferiert werden. Und jetzt heißt es Daumen drücken, dass die Leitung weiterhin so stabil läuft. Weil wenn der Faden reißt, dann sind wir getrennt voneinander.
Kay Voges, Regisseur und Intendant, spricht während einer Probe im Großen Haus im Berliner Ensemble. Im Theater wird für die Uraufführung des Stückes "Die Parallelwelt - Eine Simultanaufführung zwischen dem Berliner Ensemble und den Schauspiel Dortmund" geprobt". Die beiden Ensembles spielen in zwei identischen Bühnenwelten. Verbunden durch ein Glasfaserkabel interagieren die Aufführungen miteinander.
Kay Voges, Regisseur und Intendant, spricht während einer Probe im Großen Haus im Berliner Ensemble. © picture alliance/Wolfgang Kumm/dpa
Anwar: So weit die technische Herausforderung. Wie sieht es künstlerisch aus? Proben mit doppelter Besetzung, gleichzeitig?
Voges: Es stimmt nicht ganz, dass wir immer nur getrennt geprobt haben. Fünf Wochen vor den Ferien haben wir zusammen in Berlin geprobt, haben uns kennengelernt und haben zusammen eine Spielweise entwickelt, wie das gehen könnte, und sind dann jetzt seit drei Wochen getrennt voneinander, die zwei Ensembles. Und trotz alledem, jeden Morgen sitzen wir alle zusammen vor einer Leinwand und werden jeweils in die andere Stadt übertragen. Wir unterhalten uns miteinander, wir machen Kritik miteinander. Wir sind also schon sehr miteinander verbunden, auch wenn wir körperlich nicht zusammen sind.

Eine Geburt in Berlin - ein Tod in Dortmund

Anwar: In "Parallelwelt" geht es ja um eine Simultanaufführung über die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. In Bezug auf Ihr Stück "Borderline-Prozession" haben Sie von diesem Überforderungsphänomen auch schon mal gesprochen und da den Musiker Funny van Dannen zitiert. Wir hören mal kurz rein.
O-Ton: Während du lachst, sind viele andere traurig, und wenn du stirbst, werden viele einen Orgasmus haben. Das hört sich schlimm an, ist es aber nicht ganz, denn zum Glück gibt es die räumliche Distanz.
Anwar: Herr Voges, was reizt Sie denn an der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen?
Voges: Zum Beispiel zu Beginn wird es eine Geburt in Berlin geben und einen Tod in Dortmund. Und wir sehen beide Vorgänge nebeneinander und sehen Differenzen, aber auch Übereinstimmungen. Und vielleicht ist in diesem Nachspüren von diesen großen Momenten des Lebens, vom Laufenlernen und Laufenverlernen, und so Gegenüberstellungen, da schließt sich vielleicht ein Kreis. Dass diese Gegensätze vielleicht doch mehr miteinander zu tun haben, und wenn man sie von gewissen Perspektiven betrachtet, vielleicht sogar eine Einheit geben. Das ist so eine Suche danach, wie vielleicht es einfach nur verschiedene Perspektiven auf das Gleiche geben kann.
Peter Moltzen und Xenia Snagowski während der Fotoprobe zu "Die Parallelwelt" im Berliner Ensemble
Peter Moltzen und Xenia Snagowski während der Fotoprobe zu "Die Parallelwelt" im Berliner Ensemble© imago/Martin Müller
Anwar: Das klingt komplex.
Voges: Ja, ich glaube, das ist ein Abend, der gar nicht so sehr über das Verstehen allein funktioniert, sondern das ist ein Erlebnisabend. Es ist ein Erlebnis, wie man einfache Situationen miterleben kann, wie man durch eine Parallelerzählung vielleicht auch richtig auf Entdeckungsreise gehen kann mit seinen Ohren, mit seinen Augen, mit seinem Herzen. Und es werden viele Texte, die wir geschrieben haben, aber auch Texte von Heiner Müller, von berühmten Physikern und Literaten hervorgezogen. Das es eine Meditation über die Einmaligkeit, über die Perspektive und vielleicht auch über das Träumen werden kann.
Anwar: Und wo werden Sie die Uraufführung erleben, in welcher Stadt?
Voges: Ich hab überlegt, ob ich nicht vielleicht Salzgitter-Bad sein werde. Das ist genau 210 Kilometer zwischen Dortmund und Berlin. Das ist so ein Bahnhof, da ist genau der Punkt in der Mitte. Und wenn ich da …
Anwar: Da bräuchte es ja noch eine Übertragung, zwei Monitore und so …
Voges: … mein Ohr an die Glasfaser lege, vielleicht kommt da was raus.
Anwar: Kay Voges, Intendant des Theaters Dortmund, führt die Regie beim Stück "Die Parallelwelt". Das feiert heute Abend die Uraufführung im Berliner Ensemble und im Theater Dortmund, gleichzeitig. Und wir haben natürlich auch zwei Theaterkritiker losgeschickt, heute Abend werden die beiden dann von ihren Eindrücken in unserer Sendung "Fazit" berichten, also: Parallel zuschalten und Kritik verdoppeln können wir auch, Herr Voges. Danke Ihnen!
Voges: Ich danke Ihnen! Wiederhören, tschüs!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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