Theaterpreis Berlin 2005 für Peter Konwitschny

Von Ullrich Bohn |
Die Stiftung Preußische Seehandlung vergibt einmal jährlich den Theaterpreis Berlin. Zu den Ausgezeichneten zählten bisher Theaterleute, Regisseure, Schauspieler oder Ausstatter. In diesem Jahr nun gab es eine echte Neuerung, denn erstmals erhält den Theaterpreis Berlin ein Opernregisseur: Peter Konwitschny, der wohl wie kein zweiter in den zurückliegenden Jahren mit seinen Inszenierungen vor allem das theatrale Niveau des Musiktheaters entscheidend angehoben hat.
So tief wie er gräbt keiner. So nachdrücklich wie Peter Konwitschny lotet sicherlich kein anderer Opernregisseur die tieferen Ebenen der Bühnenfiguren und Geschichten aus, um den Kern eines Werkes quasi herauszuschälen. Längst ist er bekannt für seine eindringlich-brennenden Bilder, die keiner so vehement heraufzubeschwören versteht. Und greift immer häufiger auch in den Ablauf, in die Strukturen der von ihm inszenierten Opern ein. Die offene Diskussion von Sachsens Schlussansprache in der Hamburger "Meistersinger"-Inszenierung machte dabei wohl die größten Schlagzeilen. - Und wenn schon! Halten doch solche prägnanten Signale, solche zuweilen auch verstörenden und erschütternden Akzente das Musiktheater weitaus lebendiger als die meisten, noch so trendigen, aber vielfach nur krampfhaften Aktualisierungsversuche. Sicherlich, Peter Konwitschny liebt provokante Aussagen, vor allem klare Aussagen. Etwa die, das es nur zwei Formen von Theater gebe, totes oder lebendiges:

" Wenn wir quasi unser Leben den Figuren auf der Bühne ausleihen, dem Text oder dem Stück, wenn die Gegenwart mehr oder weniger mit hineinspielt, dann entsteht "lebendiges Theater". Beim "toten Theater" hingegen versuchen sich die Darsteller oder der Regisseur, vor allem, wenn man ihm vorschreiben will, es so zu inszenieren wie zur Uraufführung, als Personen herauszuhalten, nicht wirklich auch Stellung zu beziehen. Die Freunde der toten Oper vertrauen also irgendeiner glorifizierten Vergangenheit, wobei ihre Vorstellung davon äußerst nebulös ist. Das sind dann auch jene Zuschauer, die mitten hinein bei den hohen C´s, in einer Situation, die vielleicht tragisch ist, mitten hinein Bravo oder Buh rufen. Und das finde ich dann asozial. Denn da werden Steuergelder nun wirklich zum Fenster hinausgeschmissen, für Leute, die kein Interesse an einer Verbesserung unserer Lebensverhältnisse haben. Denn auch dazu ist Theater letztlich da, dass wir in den Stücken, in ihrer zeitgemäßen Darstellung etwas erkennen, dass wir unsere Gefühle ein wenig reinigen."

Davon ließ sich letztlich auch die Jury bei ihrer Preisvergabe leiten, wobei der Laudator Gerhard Brunner, heute an der Uni Zürich tätig, noch den entscheidenden Unterschied hinzufügte, dass hier nicht etwa das "Regietheater", sondern eine kritische, gegenwartbezogene und schöpferische "Musiktheater-Arbeit" zu würdigen sei:

" Ich beharre auf diesen Begriffen, weil es stets der erste Schritt zur Verteufelung ist, Dich als einen Eponenten des Regietheaters zu bezeichnen. Und an Böswilligen fehlt es bis heute nicht. Regietheater, das Wort enthält die Behauptung, der Regisseur mache in erster Linie sich selbst wichtig, und nicht das Werk, nicht die Musik. Und diese Behauptung, lieber Peter, ist schlichtweg falsch. Sie alle, die vermeintlich Wissenden, die Eingewehten, die Kenner, sie klammern sich an den Krückstock einer Werktreue, die Du vorgeblich verrätst."

Aber, und diese Frage ist Peter Konwitschny schon oft gestellt worden, können seine unbequemen und streitbaren Inszenierungen, kann das Theater heute überhaupt noch ein gesellschaftliches Korrektiv sein? - Oder muss man sich nicht doch damit zufrieden geben, den Finger mehr oder weniger stark in die Wunde zu legen?

" Das allein wäre ja schon eine wichtige Sache. Zustände zu benennen, die wirklich schlimm sind. Die Medien profitieren ja nur noch davon. Und wenn Sie mich so direkt fragen, das Theater wird unser Ende nicht verhindern können. Meiner Meinung nach ist unsere abendländische patriarchalische Zivilisation in ihre Endphase getreten. Denn viele Symptome, die ich aus der gesellschaftlichen Entwicklung zur Kenntnis nehme, deuten auf ein Absinken hin: Geistig, kulturell und zivilisatorisch. Natürlich, was soll Theater dann noch bewirken, in einem Prozess, der sowieso insgesamt den Bach hinuntergeht. Doch je älter ich werde, merke ich, dass man sich davon nicht so schnell abwenden sollte. Es muss ja auch in Würde gestorben werden, so ein Untergang will ja auch gemeistert sein. Außerdem weiß gar keiner im Moment, wie lange das alles noch so geht, ob es vielleicht nicht doch noch Wunder und Dinge gibt, die wir mit unserem beschränkten Geist gar nicht so erfassen können. Meine Lebenslust steigt jedenfalls in dem Maße, wie ich erkenne, dass das hier alles den Bach runtergeht, ganz merkwürdig. Es wächst zusehends die Begierde, aus den Stücken etwas Sinnvolles herauszuholen, sie nicht nur belanglos und im Grunde genommen verlogen auf die Bühne zu bringen. Und sinnvoll heißt immer, das Übel beim Namen zu nennen. "

Das die Preisverleihung in der Komischen Oper Berlin stattfand, hatte sogar etwas Versöhnliches. War Peter Konwitschny doch hier einst, weil er Smetanas "Verkaufte Braut" zu ernst nahm, Gefühle von Menschen zeigen wollte, kurzerhand von der damaligen Leitung des Hauses hinausgeworfen worden. Was bei ihm eine große künstlerische Krise auslöste, ihn letztlich aber bestärkte, seinen Weg, unbeirrbar und mittlerweile auch höchst erfolgreich, weiterzugehen. Insofern schließt sich der Kreis. Denn nicht nur mit dem Berliner Theaterpreis, auch mit seiner Inszenierung von Mozarts "Don Giovanni", im Herbst wird "Cosi fan tutte" folgen, ist Peter Konwitschny nach Berlin zurückgekehrt. Wo er auch hingehöre, wie es Gerhard Brunner in seiner Laudatio denn auch deutlich formulierte:

" Weil diese Ehrung nicht nur Rückschau bedeutet, sondern auch Ausblick, Hoffnung, dass Du spät, aber nicht zu spät endlich dort landen wirst, wo Du eigentlich hingehörst. Dass Du Dein Zuhause findest, wo Du Deine Wurzeln hast. Deiner Erziehung nach, wie Deinen intellektuellen Anspruch. Das ist keine Bestätigung einer aktuellen Rang- oder Hackordnung, weil oben stets der Ort oder das Haus sein wird, in dem Du gerade arbeitest. Aber letztlich gehört eine Arbeit dorthin, wo sie die größte Wirkung entfaltet. Wo sie die Dummheit und die Selbstgewissheit am wirkungsvollsten stört. Also ins Zentrum. Dort liegt Dein Forum, dort sollst Du uns mit Deinen Fragen behelligen. Beunruhigen, mit verblüffenden, provozierenden, bohrenden, nicht selten auch mit sperrigen, mit schmerzhaften, mit quälenden Fragen."