Theaterkritiker Bernd Sucher

Der lange Schatten der Mutter

33:36 Minuten
Curt Bernd Sucher steht an ein Fensterbrett gelehnt und schaut in die Kamera. Er trägt ein blaues Sakko und eine rot gemusterte Krawatte.
Theaterkritiker Bernd Sucher hat seine Kindheitserlebnisse in dem Buch "Mamsi und ich" verarbeitet. © Thomas Dashuber
Moderation: Tim Wiese · 02.07.2019
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Sein Leben war geprägt von seiner Mutter. Die überlebte den Holocaust und litt unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Befreiung fand Bernd Sucher durch die Liebe zu seinem Mann, das Theater, ein Buch und – durch die Kraft der Vergebung.
"Alle wundern sich, wie normal ich geworden bin – bei dieser Kindheit", sagt der Theaterkritiker Bernd Sucher.
Als der spätere Kulturredakteur seiner Mutter gestand, dass er schwul ist, wurde er verprügelt. Der Vater war autoritär, die Mutter ängstlich und hart.
Trotzdem sagt Sucher heute, dass seine Eltern, was sie taten, letztlich aus Liebe taten – und wenn sie versagten, dann nur, weil sie es nicht besser konnten.
"Was die Nazis meiner Mutter angetan haben, hat sie auf mich übertragen. Und mein Vater entschuldigte sich kurz vor seinem Tod für alles, was er mir angetan hatte. Das ist das Größte, was Eltern tun können."
Erst als auch seine Mutter starb, fand er den Mut, sich durch ein ihr gewidmetes Buch von ihr zu befreien – und seinen Eltern zu vergeben. So entstand "Mamsi und ich – Die Geschichte einer Befreiung".

Wenn Kritiker kritisiert werden

"Wer austeilt, muss auch einstecken können", sagt er. Kritik ist für den Kritiker nicht immer leicht zu ertragen: "Ich weiß erst, dass ich gut bin, wenn man es mir sagt. Und natürlich habe ich bei diesem Buch besondere Furcht, denn: Wer es liest, weiß alles über mich. Ich kann mit Kritik umgehen, wenn sie fair ist, ich gebe aber zu, dass negative Kritik mich verletzt."
Grundlage für "Mamsi und ich" ist sein Tagebuch, das er führt, seit er ein Jugendlicher ist.
"Ich habe mit 14 Jahren angefangen, Tagebuch zu schreiben, um meine Sorgen und Kümmernisse, um mein Coming-out zu verarbeiten. Das hab ich bis heute beibehalten."
Die Liebe zum Theater ist ihm nicht in die Wiege gelegt worden. Dennoch musizierte, las und sang er und wurde zu einem der bekanntesten Theaterkritiker Deutschlands.

Hinwendung zum Judentum

Im Lauf seines Lebens fand Bernd Sucher zum Judentum – auch wenn das gegen den Willen des Vaters war. Seine Mutter, eine Jüdin, hatte unterschrieben, dass ihr Sohn protestantisch erzogen wird. Heute ist Sucher Mitglied einer liberalen jüdischen Gemeinde in München, geht aber auch mit seinem Mann in die Kirche und singt im Kirchenchor.
"Meine Hinwendung zum Judentum hat auch theologische Gründe. Denn die Dreifaltigkeit habe ich nie verstanden. Mit nur einem Gott kann ich dagegen gut leben."

Prügel für eine Drei

Ohne sein Tagebuch wäre das Buch "Mamsi und ich" nicht entstanden, sagt Sucher. Und vor dem Tod seiner Mutter hätte er auch nie den Mut gehabt, sich mit dem Schreiben zu befreien.
"Meine Mutter wollte einen extrem intellektuellen Sohn haben. Sobald ich eine Drei in der Schule hatte, sagte sie: Ich habe einen Idioten in die Welt gesetzt! In der Küche hing eine siebenriemige Lederpeitsche, mein Vater schlug zu und meine Mutter schaute zu."

Bernd Sucher: Mamsi und ich - Die Geschichte einer Befreiung
Piper Verlag, München 2019
256 Seiten, 20,00 Euro

(AB)
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