Theaterfestival Fast Forward

Fast alles ist Performance

Die Kuratorin des Festivals "Fast Forward", Barbara Engelhardt, steht am 23.02.2011 in Braunschweig vor dem LOT-Theater.
Die Kuratorin Barbara Engelhardt präsentiert beim Festival Fast Forward junges Theater aus ganz Europa. © picture alliance / dpa / Holger Hollemann
Von Michael Laages · 27.11.2016
Krimi-Komik, Schuhplatteln, Öl-Catchen: Europas junge Regietalente kümmern sich kaum um die Traditionen des Schauspieler- und Literatur-Theaters. Die vier Abende des Festivals Fast Forward in Braunschweig boten Überraschungen und viel Performance.
Erstaunlich häufig ist vom Tod die Rede gewesen in diesen Braunschweiger Fast-Forward-Festivaltagen, so viele junge Regietalente erzählten vom Sterben, im Finale gar vom Mord. Davy Pieters aus den Niederlanden spielt in "How Did I Die?" (Wie bin ich gestorben?) eine Menge Was-Wäre-Wenn-Situationen durch – was geschehen sein könnte, bevor das Mädchen tot auf der Straße lag.
Und für dieses Spiel nutzt sie einen der haltbarsten Tricks der darstellenden Künste – hier wird regelmäßig rückwärtsgegangen, wenn die Geschichte vom Mord des Jungen an dem Mädchen noch einmal neu verhandelt werden soll. So wird ein erstaunlich komischer Krimi draus.

Hass-Tiraden aus dem Netz

Am Duo der tschechischen Performerin Nela Kornetova mit der Norwegerin Lärke Gröntved ist eigentlich gar nichts komisch. Klingt lieblich – aber während die beiden einander misshandeln wie im Sado-Maso-Studio, singen sie Hass-Tiraden und Abschlacht-Aufrufe der schlimmsten Sorte aus dem Internet. Die beiden Frauen enden in einer Art Schlamm-, besser Öl-Catchen und am Erkenntnisgewinn dieser Zumutung darf durchaus gezweifelt werden. Dass die sozialen, besser: asozialen Medien voller Psychopathen sind, war ja schon bekannt.
Der Münchner Falckenberg-Student Kevin Barz lässt derweil über Totenpflege fantasieren:
"Bakterien, Maden, Würmer, Bakterien ..."
Ein höchst konzentriertes Tryptichon vom Sterben ist da entstanden, und ein Hasen-Kadaver verwest dazu im Video.
Natürlich ist auch in der Antike (und gerade dort!) unentwegt vom Tod die Rede – der georgische Regisseur Data Tavadze versammelt grausame Geschichten vom Tod im Krieg um die Fabel um Andromache, die Gattin des getöteten Trojaner-Feldherrns Hektor, die nun auch noch den Sohn und sich selber opfern soll; und fünf Schauspielerinnen kreieren diese große Litanei vom Leiden – wohl die eindrucksvollste Inszenierung im Festival. Ödipus hält da nicht mit.
Denn Maria Protopappa verlegt das grausige Schicksal des antiken Kommissars in eigener, tödlicher Sache doch bloß in die lärmende Kaserne – das war das mit Abstand albernste Gastspiel.

Skurriler Tanzwettbewerb von 1844

Auch der Wettbewerb in Imitation war eher komisch – die kleine Recherche von Oliver Zahn und Julian Warner, von der Münchner August-Everding-Akademie über das Berliner Ballhaus Ost nach Braunschweig gekommen, basiert auf einem skurrilen Wettbewerb von 1844, in dem zwei Tänzer, ein weißer und ein schwarzer, gegeneinander antraten.
"Man war sich uneinig, welcher der beiden Performer der besser schwarze Tänzer war – das Original oder die Fälschung?"
Dann legen sie los; und wir lernen, dass bayerisches Schuhplatteln und zum Beispiel südafrikanische Stammestänze sich kaum voneinander unterscheiden.
Die Tradition der historischen Minstrel-Show (wo Weiße sich schwarz schminkten) mischt die kleine Show hier pfiffig mit der Blackfacing-Debatte (wo sich bekanntlich Weiße schwarz anmalen) und so verspielt ist junges europäisches Theater nur selten.
Ernster denn je kommt es daher noch bei der Schweizerin Corinna Maier, die mithilfe eindrucksvoller Nonnen von der Sehnsucht nach echtem tiefen Glauben erzählt; wie bei der türkischen Regisseurin Gülce Ucurlu, die in "Es war einmal ein Haus" wortreich und formal sehr streng vom familiären Wechsel der Zeiten erzählt; und vom Umbruch der Großstadt Istanbul.

Ein Ereignis der Diversität der Kulturen

Von der Türkei bis Norwegen – "fast forward" ist ein bedeutendes Ereignis der Diversität der Kulturen. Aber sind sie tatsächlich "so", die jungen Regisseurinnen und Regisseure in Europa? Oder wollen Kuratorinnen wie in Braunschweig zum Beispiel Barbara Engelhardt sie nur "so" sehen?
Klar wird an jedem der vier überraschungsreichen Braunschweiger Abende, wie wenig sich die junge Generation noch um die Traditionen des Schauspieler- und Literatur-Theaters kümmert. Nur aus Griechenland und Georgien kamen Auseinandersetzungen mit echten Texten, und auch dort immer fundamental gebrochen. Ansonsten ist praktisch alles "Performance" – und wer will damit schon wirklich an die großen Häuser; und nicht vor allem in die freie Szene? Dies Ungleichgewicht bleibt als Thema nach dem Abschied des Festivals aus Braunschweig.
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