Theaterdonner

Der König im Bärenfell

Der österreichische Schauspieler Klaus Maria Brandauer als Lear während einer Probe zu William Shakespeares "König Lear" im Wiener Burgtheater am 19. Dezember 2013.
Der österreichische Schauspieler Klaus Maria Brandauer als Lear am Wiener Burgtheater. © picture alliance / dpa / Hans Klaus Techt
Von Tobias Wenzel · 22.12.2013
Ein gut aufgelegter Klaus Maria Brandauer, der sich angenehm zurückhält und ein einfallsloser Peter Stein: Die Inszenierung von "König Lear" am Burgtheater Wien gibt am Jahresende nochmal kräftig Futter für die Feuilletonisten.
"Chodorkowski ist schon frei, Pussy Riot und die Greenpeace-Aktivisten kommen bald frei. Ist Wladimir Putin in Weihnachtsstimmung?", fragt die TAZ und Friedrich Küppersbusch antwortet:
"Ja, und Ostern sammelt er alle Eier wieder ein. Scheint, als ob die weltweiten Ungemütlichkeiten mit den Winterspielen in Sotschi Wirkung zeigen. Und danach kann man alles wieder zurückwillküren. Chodorkowski wird wissen, warum er zuallererst aus dem Land eilte. Nun wird auch ein Schuh draus, warum Merkel über das Solo unseres Eitelscheitels Joachim Gauck 'not amused' war."
Bevor sich die Theaterkritiker in den Weihnachtsurlaub verabschieden durften, um sich Spekulatius, Marzipan und ganze Schokomänner einzuverleiben, reisten sie alle nach Wien. Um am Samstag im Burgtheater Peter Steins Inszenierung des "König Lear" zu begutachten, mit Klaus Maria Brandauer in der Hauptrolle.
"Wieder einmal widerlegt Brandauer alle lange gehegten Vorurteile, er sei ein Übertreibungskünstler", schreibt Matthias Heine leise anerkennend in der WELT.
"Er nimmt sich zurück. Sein väterliches Kotzbrockentum bleibt genauso auf einer mittleren Betriebstemperatur wie sein Irrsinn."
"Jeder Zoll kein König", mit dieser Überschrift gibt sich Martin Lhotzky äußerst enttäuscht in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. Peter Stein sei in dieser Inszenierung "nicht viel eingefallen", abgesehen davon, dass er seine Schauspieler in "seltsam-zeitlose Kostüme aus viel Fell und Leder beziehungsweise die Irren in sackartige Hemden" stecke oder "sie gleich ganz nackt" auf die Bühne schicke. Das Fazit des NZZ-Kritikers: "ein blasser Abend". Ein knapper, klarer Verriss.
Andere holen da weiter aus. Gerhard Stadelmaier hieße nicht Gerhard Stadelmaier, wenn er sich nicht ausführlich an die geglückten Inszenierungen des jeweiligen Regisseurs erinnerte, um ihn dann aus himmlischen Lobeshöhen in die tiefste Hölle des Verrisses plumpsen zu lassen. So denkt der FAZ-Theaterkritiker genüsslich an die "wunderbarste Theaterpaarbildung der vergangenen Jahre" zurück und meint Regisseur Peter Stein und den Schauspieler Klaus Maria Brandauer, besonders die Inszenierungen von "Ödipus" und "Wallenstein". Nun aber zum neuen "König Lear" am Wiener Burgtheater:
"Würden irgendwo Asterix und Obelix auftauchen, man wäre nicht sehr überrascht."
Und dann der Absatz mit abschließendem Todesstoß:
"Es riecht hier sofort nach sauber gezeichneter theatralischer Ur-Suppe. Wobei sowohl die Standbein-Spielbein- wie die Sprach- und Sprechfertigkeit des Personals jedwedem Ur hohnspricht. Als tänzelten lauter hochgelenke Bärenfell-Briten durch einen Renaissancesalon, der zu einem vorgeschichtlichen keltischen Kostümfest geladen hat. Und da wirkt es schon sehr sonderbar, aber äußerst dekorativ, wenn Brandauers Lear nur so aus einer Art Zottellaune heraus kieksend und bramarbasierend und hochfahrend mit der Peitsche durch die leere Raumluft haut, sich in einen Sessel fläzt und mit einer Landkarte Reichteilung und Töchterexaminierung treibt, als habe er nur mal in ein besonders saftiges Stück überm Spieß gebratener Spaß-Lende gebissen. König Zier. Doch davon geht die Welt nicht unter."
Wenn die Welt doch mal unterginge, anstatt in Vorweihnachtslethargie zu erstarren! Dann müsste die FAZ auch nicht die Feuilletonseiten krampfhaft füllen, indem sie ein umfangreiches Interview mit einem Blockflötisten veröffentlicht, dessen spannendster Satz der folgende ist:
"Flöten ist das Einzige, was ich richtig gut kann."
Edo Reents von derselben Zeitung braucht gar kein Blockflöten-Interview mehr, um wahnsinnig zu werden. Er ist es schon jetzt. "Ratter-ratter-ratter", schreibt er. Und "rtrtrtr-rtrtrtr-rtrtrtr" und "rrrrrrr-rrrrrr-rrrrrr". Dieser Lärm hat Reents um den Verstand gebracht. Es ist der Lärm von Rollkoffern. Da kann man dem Autor nur wünschen, niemals nach Mexiko-Stadt oder Bogotá zu reisen. Dort gäbe es für ihn wohl nur eine Rettung: den Freitod.
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