Theater-Lexikon "Megapedia"

"Synapsenschaltungen eines Theaterkollektivs von sieben Jahren"

Das Opernhaus (vorn), dahinter das Theater auf dem Platz der Alten Synagoge in Dortmund.
Mit drei Stücken wurde die Reihe "Stadt der Angst" am Theater Dortmund eröffnet. © dpa picture alliance / Horst Ossinger
Von Bernhard Doppler · 03.03.2018
Im Stil der wissenschaftlichen Reihe der Suhrkamp-Taschenbücher hat das Theater Dortmund ein Lexikon herausgebracht. In 481 Begriffen von Aalborg bis Zwiebelsuppe gibt es Auskunft über das Schaffen des Dortmunder Ensembles in den vergangenen sieben Jahren.
Erklärbär, der: Wenn er auf die Vorstellung kommt, werden alle nervös. Dann wird die Theaterpolizei gerufen, und die fragt dann: Was ist hier los und die Künstler sagen: siehe "man kennt die Absicht und man ist verstimmt". Der Erklärbär ist daran schuld. Das geht natürlich gar nicht, sagt die Theaterpolizei und zwingt den Erklärbär zum Tanz auf der heißen Platte der Widersprüche, siehe "Stellplatz der Widersprüche" bis wieder genug Ambivalenz im Kunstwerk ist, siehe "Beliebigkeit."
Der Dortmunder Intendant Kay Voges kann auf ein eigene Enzyklopädie zurückgreifen, wenn er über sieben Jahre Theaterarbeit an seinem Haus Auskunft geben will: Megapedia, ein 200 Seiten umfangreiches Buch mit 481 Begriffen von Aalborg bis Zwiebelsuppe, mit Anekdoten, Personen und Theorien. Megapedia - ein Wörterbuch zum lauten Vorlesen vor Publikum, wie es sich die Gebürder Grimm allen Ernstes für ihr Wörterbuch zunächst gewünscht haben, ist es freilich nicht. Kay Voges:
"Megapedia, die macht sich ganz gut in Badezimmern, neben dem Klo, dass man da immer mal für fünf Minuten reinlesen kann, jeden Tag wieder. Es kann sein, dass die Sitzungen dann länger werden, wenn man immer die Querverweise von A zu Z zu B zu D geht. Wir können jetzt direkt Beliebigkeit mal machen…. Beliebigkeit, die. Wenn man im Zuschauerraum sitzt und schreien möchte, jetzt packt doch verdammt noch mal ein echtes Thema auf die Bretter, wenn also nicht klar ist, was in dem Spiel der Spiele eigentlich auf dem Spiel steht, wenn also kein brennendes Fragezeichen vom Schnürboden gelassen wird."

Simultanes Nebeneinander der Bilder und Begriffe

Beliebig ist aber Megapedia gerade nicht, auch wenn es zunächst so erscheint, wenn beim Buchstaben K zwischen den Begriffen Klassenzimmerstück und Klischee als Eintrag Klaus Theweleits Schuhe auftauchen. "Antrazitfarbene Verlourlederhalbschuhe mit roten Schnürsenkeln". Dramaturg Alexander Kerlin dazu:
"Theweleits Schuhe, ja das war interessant, als Klaus Theweleit, der Denker, bei uns zu Gast war und aus dem Buch 'Das Lachen der Täter' gelesen hat, da sind wir vorher in unsere Büros gegangen, dann hat er sich schick gemacht für die Lesung, die gut besucht war, und auf dem Weg dorthin hat er seine Schuhe noch einmal ausgezogen und seine Schuhe auf der Treppe stehen lassen."
Megapedia bezieht sich dabei durchaus auch auf den Geist der 70er-Jahre, auf die Jahre der Theorie. In der schlichten Schrift auf dunklem Grund sieht es der wissenschaftlichen Reihe der Suhrkamp Taschenbücher, die Adorno, Foucault einem breiteren Publikum zugänglich machten, zum Verwechseln ähnlich.
"Das Design ist gleichzeitig eine Verbeugung vor dem Suhrkamp Taschenbuch, aber so bisschen auch ein Augenzwinkern. Alles ist ja Behauptung und man behauptet zuerst einmal einen ganz seriösen Inhalt und das hat uns interessiert, und da wir sowieso viel über die Kulturtechnik des Zitierens nachdenken bei unseren Stücken, ist auch das gefakte Suhrkamp-Taschenbuch Cover für uns eine Art Zitat."
Und doch, so sehr auffällig ein analoges Medium zitiert wird, der Theaterästhetik von Kay Voges Inszenierungen entspricht im Buch vor allem das simultane Nebeneinander der Bilder und Begriffe.
"Das ist unsere Theorie, alles hängt mit allem zusammen. Es sind Synapsenschaltungen eines Theaterkollektivs von sieben Jahren und das sind Schaltungen, Netzwerke, die natürlich sehr ans Internet erinnern und es geht sehr viel um Digitalisierung um Kopie, um Mash-up. Wenn alles miteinander zusammenhängt, dann ist dieses Megapedia vielleicht ein einigermaßen vollständiger Blick aus verschiedensten Perspektiven, auf das, was wir gemacht haben in den letzten sieben Jahren."
Mehr zum Thema