Theater

Im Tunnelblick

Oper und Schauspiel in Frankfurt am Main: Die beiden Häuser teilen sich ein Gebäude, das an Schlichtheit nicht zu überbieten ist.
Oper und Schauspiel in Frankfurt am Main: Die beiden Häuser teilen sich ein Gebäude, das an Schlichtheit nicht zu überbieten ist. © picture alliance / dpa
Von Alexander Kohlmann · 09.05.2014
Der Seelenzustand ist Ibens "Nora" in dieser Inszenierung so deutlich anzusehen, dass es fast keines weiteren Textes bedarf. Die Botschaft des Regisseurs Michael Thalheimer erschließt sich nach zwei Minuten, die Interpretation des Ibsen-Textes verharrt trotz ästhetischer Kunstfertigkeit auf Proseminar-Niveau.
Es waren die bekannten Versatzstücke einer jeden Thalheimer-Inszenierung, die da am Freitagabend in Frankfurt zu sehen waren. Die Bühne ist, wie immer, ein von Olaf Altmann entworfener Einheitsraum, der die Architektur des Frankfurter Zuschauersaals aufgreifend auf der Bühne einen auf eine spitze Ecke zulaufenden, düsteren Schacht gebaut hat. Man könnte auch sagen Tunnel, denn dann ist man ganz schnell beim Tunnelblick mit dem Bettina Hope als Nora ganz sicher geschlagen ist.
Sie steht ganz vorne, blickt in den Zuschauerraum und bemüht sich mit einer enormen emotionalen Kraft nicht wahrzunehmen, wie ihr Leben wirklich aussieht. Die Menschen, die da immer wieder durch die Tür hinter ihr ganz am Ende des Schachts die Bühne betreten, sie sieht sie nicht. Das ist auch besser so, denn Thalheimer wäre nicht Thalheimer, wenn man nicht jeder Figur ihren Seelenzustand in Körperlichkeit und Äußerlichkeit so deutlich ansehen würde, dass es keines weiteren Textes mehr bedarf, um die individuellen Befindlichkeiten zu erklären. Das beginnt beim schmierigen Rechtsanwalt Krogstadt (Viktor Tremmel), der einem ertrinkenden gleich um sich schlägt und patsch-nass über die Bühne schlittert.
Die leidlich bekannte Geschichte mit dem Schuldschein, sie wird im sprachlichen Rekordtempo heruntergerattert, was sollen auch die wohl gebauten Ibsen-Dialoge, wenn doch alles auf dem ersten Blick augenfällig ist. Ganz ähnlich verhält es sich mit Frau Linde (Verena Bukal), der ein schweres, leidgeprüftes Leben schon ins ausgemergelte Gesicht geschrieben steht und dem in Nora verliebten Dr. Rank (Michael Benthin): Wenn er sich, kaum mehr laufen könnend, mit verzerrtem Gesicht in Noras Tunnel schiebt, merkt auch der letzte, dass der Mann nicht nur körperlich, sondern auch emotional verschoben ist.
Trotz Kürze macht sich Müdigkeit breit
Nur Nora sieht die wahren Gesichter ihrer Mitmenschen nicht, auch nicht die Gorilla-Fratze ihres Ehemanns Helmer (Marc Oliver Schulze). Denn Thalheimer setzt auf seine ohnehin schon offensichtliche äußere Charakterisierung der Menschen in Noras Leben noch einen drauf: Zum Maskenball ertönt der eine lange und überlange Sound, den wir in jeder Thalheimer-Inszenierung erwarten dürfen. Dazu kommt das Panoptikum mit Tiermasken durch die Tür am Ende des Tunnels, der Anwalt mit dem Kopf eines Schakals, Frau Linde als Ziege, der arme Doktor als alter Esel - und eben Helmer, als brutaler Gorilla!
Mehr Eindeutigkeit war selten. Und da Eindeutigkeit und Zuspitzung immer auch Verzicht auf Geheimnis und Komplexität bedeuten macht sich, trotz der sagenhaften Kürze von 80 Minuten, Müdigkeit breit. Thalheimers Botschaft von der Nora, die sich weigert ihr Leben so zu sehen, wie es wirklich ist, erschließt sich nach zwei Minuten, die Interpretation des Ibsen-Textes verharrt trotz ästhetischer Kunstfertigkeit auf Proseminar-Niveau.
Thalheimer erschließt einmal mehr routiniert einen Klassiker, weiß uns aber nicht zu erzählen, was ihn speziell an diesem Text interessiert. Der ohnehin mit einer Frau, die sich in der Singvögelchen-Rolle nicht mehr wohlfühlt, inzwischen seltsam anachronistisch daherkommt. Wenn der Regisseur seine Nora zu Beginn an der Rampe wie ein nervöses Vögelchen zwitschern lässt, ist das jedenfalls keine Vergegenwärtigung, sondern eine erstaunlich konservative und biedere Bebilderung. Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass man das einmal über einen Thalheimer-Abend sagen wird?
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